Raels Blick war gesenkt, sie suchte in sich nach Antworten, auf die es keine gab. Die Frage, um die sich alles zu drehen schien war: Wieso kannst Du Dein Feuer nicht kontrollieren? Und egal wie sie es drehte und wendete, kam immer die gleiche Antwort. Gar nicht! Wie konnte man das jemandem erklären, der solches Feuer nicht verspürte? Wie sollte sie all das erklären, schließlich war es immer noch sie gewesen, die diese Abscheulichkeiten ausgesprochen hatte und nicht das Feuer. Auch wenn das Feuer aus ihr gesprochen hatte, war es wie es ist. Sie war dem Feuer wieder einmal erlegen und verbrannte alles um sich herum zu heißer Asche.
Mit einem Mal riss Ezekiel sie wieder aus den Gedanken und sie spürte, wie sich seine andere Hand auf ihre Wange legte und sie dazu zwang aufzuschauen. Rael blickte auf, blickte ihm in die Augen und schluckte abermals. Sein Blick hatte sich verändert. Eine Nuance, die sich nicht zu definieren vermochte, hatte sich zu seinem ohnehin schon irritierenden Blick hinzugesellt. Fragend blickte sie ihn an, erwartete, dass er irgendwas sagte oder tat. Wobei sie das nicht hoffen wollte, denn es wäre ja wohl wirklich mehr, als sie in hundert Jahren erwarten konnte. Sie fuhr sich mit der Zunge unbewußt über ihre Lippen, als Babe aus dem Lager den Namen Eomers brüllte.
Rael runzelte die Stirn, denn der Ruf nach dem Krieger klang nach Schwierigkeiten. Selbst in ihrer Predigt, in der jeder von ihnen etwas abbekommen hatte, klang der Tonfall keineswegs, wie er nun klang. Ezekiel wandte sich mit einem Mal um, schob sie regelrecht hinter sich, als bereits etwas aus dem Wald auf sie zu sprang. Rael keuchte und fluchte. Sie taumelte nach hinten, blickte sich suchend nach einer Waffe um, nur um zu realisieren, dass Ezekiel sein Schwert aus der Hand gegeben hatte. Er hatte ihr Gesicht umfasst und somit das Schwert beiseite gelegt. “Verdammt…!“, brüllte Rael aus Reflex. Sie hatten kaum Zeit zum reagieren, die Warnung Ezekiels wäre fast zu spät gekommen. Diese Bestie sprang direkt auf Ezekiel zu, verbiss sich in seinen Arm und das Gewicht des Tieres warf sowohl den Engel, als auch den Angreifer selbst um. Dieses kahle Geschöpf der Hölle ließ jedoch nicht locker. Einmal in ihre Beute verbissen, würde der Kiefer sicher erst wieder zum Fressen entspannt werden. Raels Augen weiteten sich, die Pupillen verengten sich. Jetzt war nicht die Zeit dumm rum zu stehen und Rael warf sich förmlich nach vorne, in die Reichweite von Ezekiels Schwert.
Es war verpackt und Rael rupfte und riss an dem Stoff, in den das Schwert eingeschlagen war. Mit zitternden Händen suchte sie das Schwert zu befreien, ihr ging all das nicht schnell genug. Ezekiel kämpfte mit bloßen Händen gegen diese wolfsgroße Bestie und sie ließ sich einfach zu viel Zeit, selbst in den Kampf einzugreifen. Waffe. Sie brauchte eine Waffe. Vor Schreck vergaß sie das Messer, welches ihr Ezekiel gegeben hatte. Zu sehr war sie daran gewöhnt mit Schwert zu kämpfen. Ihr Herz pumpte in Höchstgeschwindigkeit Blut durch ihren Körper, Adrenalin trieb sie an und so riss sie das Schwert endlich, endlich aus den Stoffbahnen heraus. Sie umfasste den langen Griff und fuhr mit einem entschlossenen Blitzen in den Augen herum. Hier würde niemand weiter verletzt werden, außer diesem Wesen, welches sich aus den dunkelsten Gefilden herausgetraut zu haben schien.
Wut packte sie, als sie das Blut an Ezekiels Arm heruntertropfen sah. Sein Blut vermischte sich mit der Erde und bildete dort eine dunkle Masse, die von der Verletzung zeugte, die das Tier ihm zugefügt hatte. Rael zögerte nicht weiter, schritt voran und holte aus, das Schwert in den Leib des Tieres zu treiben. Die Haut war ledern, nicht wie menschliches Gewebe und keineswegs schnell zu durchdringen. Doch Rael wollte zumindest Ezekiel von dem Kiefer des Tieres befreien und so suchte sie mit aller Kraft den Eineinhalbhänder in das Fleisch zu treiben und größtmöglichen Schaden anzurichten. Sie stand seitlich zum Geschehen und das Tier schien sie zu riechen. Bevor das Schwert die Bestie berührte, entließ er Ezekiel aus seiner Umklammerung, um ein unmenschliches Brüllen in Raels Richtung loszulassen. Mit ausgefahrenen Krallen fegte es sie förmlich von den Füßen. Sie schlidderte ein paar Meter, hielt jedoch die Klinge verzweifelt umklammert. Ohne Waffe war sie verloren. Hart prallte sie gegen einen Baum. Für einen Moment stieß ihr der Aufprall die Luft aus den Lungen, doch grinste sie befriedigt. Auch wenn sie nicht viel erreicht hatte, hatte sie erreicht, dass das Tier Ezekiels Arm losgelassen hatte, um sich ihr zuzuwenden.
Rael war vorerst außer Reichweite und so wandte sich dieses Ding Ezekiel abermals zu, knurrte ihn an, geiferte förmlich nach seinem Opfer, während es den Engel umkreiste. Blut und Geifer troff von seinen Reißzähnen und das Tier setzte die Hinterbeine an, um abermals auf sein Opfer zuzuspringen. Rael richtete sich unter Schmerzen auf, drückte sich vom Boden ab und griff das Schwert fester. Und dann preschte das Tier abermals los, sprang auf Ezekiel zu. Rael zögerte nicht, rannte ihrerseits los und holte mit langem Arm erneut mit der Klinge aus. Sie wollte es ihm in die Seite rammen und bat zu ihren Göttern, dass sie nicht auf die Rippen treffen würde, denn das würde für sie furchtbar unangenehm werden.
Temperament ist ein vorzüglicher Diener, doch ein gefährlicher Herrscher.
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