Beitrag #7
RE: Die Katakomben Roms
Das Leben hatte ihn frühzeitig altern lassen. Ein Heim hatte er niemals besessen, die schmutzigen Gassen Roms waren seine Kinderstube gewesen. Gebettelt hatte er, um etwas zu beissen, eine Münze, freundliche Worte. Selten hatte er das Erbetene bekommen, zu oft Prügel bezogen, Beschimpfungen über sich ergehen lassen müssen. Doch er hatte rasch gelernt, wurde flink wie ein Wiesel, beharrlich wie ein Frettchen, gelenkig wie eine Ratte. Er stahl, was er zum Überleben brauchte, plünderte selbst die Toten auf den Friedhöfen, lebte von der Hand in den Mund. Mit hungrigen Augen hatte er, aus der Ferne, jene betrachtet, die in Reichtum und Luxus badeten. Ihm selbst waren die Götter nicht hold gewesen, hatten ihm jene genommen, die zu seinen wenigen Freunden zählte, einzig das nackte Überleben hatten sie ihm gewährt, zum Sterben zuviel, zum Leben zuwenig zukommen lassen...
Irgendeine Gottheit musste sich vor kurzem entschlossen haben, ihm huldvoll Glück zu bescheren. Er hatte sich durch rasche Flucht in die Katakomben vor jemandem retten müssen, der leider den Verlust seiner Börse viel zu früh bemerkt hatte. Sein Wissen über die Wege in den Katakomben war beschränkt, beinahe wäre er in ein Loch gestürzt, nur seine raschen Reflexe hatten ihn vor dem Sturz in die Tiefe bewahrt. Ein morscher Balken über das Loch, dieses bedeckt von einer Moosmatte... das konnte kein Zufall sein. Er hatte die Tiefe des Loches nicht abschätzen können, doch fünf Manneslängen tiefer gab es einen Gang, ab dieser Höhe führten metallene Sprossen als Leiter in die Tiefe. Vertrauen erweckten diese verrosteten Streben nicht. Er hatte seine Neugier bezähmt, das Loch und seine Versuchung ignoriert, folgte dem Gang weiter auf der Suche nach einem Ausgang, stiess alsbald auf einen Raum mit... Leichnamen. Übelst zugerichtet. Gewiss nicht nur durch Ratten. Entsetzen in den erloschenen Augen noch sichtbar. Doch das war es nicht, was ihn so entzückte. Lederne Beutel mit Denari, edler Schmuck, Goldene Ringe... ein Schatz harrte seiner. Wer immer diese vom Leben zu Tode befördert hatte, war nicht an deren Reichtum interessiert gewesen. Im Gegensatz zu ihm... er plünderte diese wie im Rausch.
Er hätte es wissen müssen, dass ihm die Götter nicht lächelten, sondern hämisch kicherten. Das nervöse Gebaren des Hehlers, dem er den Schmuck hatte verkaufen wollen, hätte sämtliche Alarmglocken in ihm erklingen lassen müssen. Kalter Stahl an der Kehle, im Nacken, am Hals, Schwerter von Soldaten, deren Augen keinerlei Wärme zeigten, ein älterer Mann vor ihm, dessen Lächeln ihn frieren liess, mit falscher Sanftheit in der Stimme sprach: "Nun, Bursche, Nicken oder heftig den Kopf schütteln, wäre momentan nicht ratsam. Eines der Schmuckstücke, das Du hier gerade hattest versetzen wollen, ist der Siegelring eines Senators von Rom. Ich möchte nur eines wissen- woher hast Du diesen? Ich empfehle Dir, dies mir kurz, prägnant und wahrheitsgemäss zu berichten. Wenn nicht, wird Dein Leiden lang, qualvoll und Dein Bericht letztendlich auch wahrheitsgemäss sein. Wähle weise!"
Und ob er geplaudert hatte! Seine Hände waren gefesselt, gnädigerweise nicht hinter seinem Rücken, sondern vorne zusammengebunden. Trost gab dies ihm das nicht, der Soldat hinter ihm hatte sein Kurzschwert bereit. Die Katakomben umgaben ihn und seine Begleiter. Er gab sich keinen Hoffnungen hin, sobald er diese Leute an den Ort geführt hätte, an dem die Toten lagen, wäre sein Schicksal besiegelt. Er sah es in den Augen des reich gekleideten Mannes, der ihn befragt hatte, und in den Augen der Soldaten. Er würde die Katakomben nicht mehr lebend verlassen! Eine schwache Hoffnung hatte er noch... jenes Loch, das in die Tiefe führte...
Gleich musste es kommen, er wappnete sich, zögerte nicht- der Boden gab unter ihm nach! Er flehte zu den Göttern, während er fiel, seine gebundenen Hände suchten nach den Sprossen, sein Flehen ward erhört, seine Hände schlossen sich um die rostiges Eisen, wilder Schmerz raste durch seine Schultern. Ein schriller Schrei ertönte hinter ihm, in die Tiefe entschwindend, er blickte nach unten, sah das Licht einer Fackel entschwinden, einen Körper beleuchten- der Soldat, der hinter ihm gewesen war. Rasch zog er sich hoch, rollte sich in den Gang, schwer atmend. Er musste schnell weiter... Schreie erklangen, diesmal von oben, die ihm das Blut in den Adern gefrieren liessen. Voller Panik rannte er in den Gang hinein, prallte in der Dunkelheit gegen Wände, eilte weiter- bis der Boden unter seinen Füssen erneut nachgab!
Er fiel, doch nicht tief, rutschte in einem engen Gang, dessen Wände mit Schleim bedeckt waren, vermochte sich nirgends festzuhalten, wurde schneller, der Gang führte in die Tiefe, liess ihn schneller in die Tiefe schlittern, bis er abrupt abgebremst wurde, weil er mit den Füssen voran gegen Fels prallte. Schmerz durchfuhr seine Knöchel, er rollte sich vorsichtig herum, tastete mit gefesselten Händen umher. Es war stockfinster, er schien sich auf einem Felssims zu befinden, den eine Art von Balustrade zu begrenzen schien. Zu hören waren nur das Rieseln von Staub...
Er suchte- und fand- einen scharfkantigen Felsvorsprung, säbelte geduldig, bis seine Fesseln durchtrennt waren. Massierte seine nun befreiten Hände. Er hatte das Gefühl, dass er sich in einem grossen Raum befand, wollte schon rufen, um dies anhand des Echos abschätzen zu können, besann sich aber eines Besseren. Rufen war eine ganz schlechte Idee, wer immer hier auch lebte- und diese Fallen hatten mit Sicherheit hier Lebende errichtet- sollte er so direkt nicht aufmerksam machen, sondern eher verwirren!
Er liess den schrillen Schrei der Elster erschallen, dieser breitete sich aus, Echos erklangen, vielfältig- er musste sich in einem riesigen Gewölbe befinden. Die Echos schienen sich zu vervielfältigen lauter zu werden, seine Augen weiteten sich... das war kein Echo, sondern das Krächzen einer Krähe. Das konnte nicht sein! Es sei denn, sie war hier... Erinnerungen überschwmmten ihn...
Corva sah zu ihm auf: "Wollen wir Verstecken und Fangen spielen? Du bist die Elster, ich die Krähe!" Corva, mit der die anderen Kinder nicht spielen wollten. Haare so weiss wie der Schnee, Haut so bleich wie Marmor, Augen so rot wie Blut... andere Kinder mieden Corva, er nicht, sie hatte ein sonniges Gemüt, ein bezauberndes Lachen...
Der Schmerz... sehen konnte er nichts mehr, Blut lief in seine Augen, Stimmen "Die Kleine wird uns einen vorzüglichen Preis einbringen, ich kenn einige, die den Reiz des Ungewöhnlichen zu schätzen wissen. Marduk, der Kleine hätte uns auch einige Denari eingebracht. Aber Du musstest ihm ja den Schädel zertrümmern..." Eine mürrisch klingende Stimme: "Dieses Frettchen hat mich gebissen, und wenn ich zuschlag', dann schlage ich zu!" Er versank in Dunkelheit, in die er den Klang der ersten Stimme mitnahm: "Na gut, wirf ihn zu den anderen ins Loch..."
Corva lebte. Hier in den Katakomben. Er wusste nicht, wie und warum. Sie lebte. Er liess den Schrei der Elster erneut erschallen, das Krächzen der Krähe als Antwort erfolgte unmittelbar- sehr nahe, Corva musste sehr schnell nähergekommen sein. Wie hatte sie das fertiggebracht? Das war doch eigentlich nicht möglich...
Das Krächzen der Krähe erklang erneut, ein schimmerndes Licht leuchtete unterhalb der Balustrade, erhob sich über diese. Seine Augen weiteten sich entsetzt, seine Zunge klebte am Gaumen, kein Schrei konnte sich Weg bahnen, obwohl er dies gerne ob des Anblicks getan hätte... seine Blase versagte, warm rann es herab, noch einmal- einmal noch- erklang der Elster schriller Schrei, diesmal voller Grauen, danach umhüllte ihn gnädige Dunkelheit...
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