Am Nachmittag wurde die schwüle Hitze beinahe unerträglich. Als ein Wäldchen in Sicht kam, steuerte Tirgatao direkt darauf zu. Sie band die Pferde im Schatten der Bäume an, so dass sie an den langen Stricken grasen konnten. Hishn und Shona suchten sich schattige Plätzchen unter Bäumen, wo sie dann hechelnd auf der Seite lagen. Ein Gewässer war nirgends in Sicht, und die Amazone wollte nicht zu weit von ihrer Richtung abweichen.
So musste erneut ihr Hemd herhalten: Sie tränkte es mit Wasser aus den Schläuchen, ging zu den Pferden, und drückte die Flüssigkeit so aus dem Stoff, dass sie den Tieren ins Maul lief - eine langwierige Methode, aber bei den vier zugerittenen Tieren war es kein Problem. Mit Sturmbraut war es schon schwieriger, doch nach einigen Versuchen und vielem Locken und Schmeicheln ließ sich auch die Stute davon überzeugen, dass ein paar Schluck Wasser nicht schaden konnten.
Nach den Pferden erhielten Hishn und Shona auf die gleiche Art etwas Wasser, und zum Schluss trank auch Tirgatao. Die Wasserschläuche waren anschließend bedeutend leichter, und die Amazone hoffte, dass sie bald wieder an ein Gewässer kommen würde. Ihr feuchtes Hemd, das sie wie zuvor schon über die Weste gestreift hatte, begann schon bald zu dampfen.
Während die Wölfinnen ruhten und die Pferde grasten, suchte Tirgatao die nähere Umgebung ab: nach Spuren, nach essbaren Pflanzen, nach Heilpflanzen, nach allem, was nützlich werden konnte. Sie fand zahlreiche schmackhafte Wurzeln, die sie vorsichtig ausgrub, mit den Fingern grob säuberte und dann in der Satteltasche verstaute. Diese hatte sie einer weiß-braun gescheckten Stute aufgelegt, die sie für ihre große Schwester auserkoren hatte. Mit dem kräftigen und gelassenen, aber keineswegs dummen Reittier würde Rael keine Probleme haben. In die Tasche auf der anderen Seite des Pferdes wanderten dann Waldbeeren, die die Amazone gepflückt hatte. Sie schmeckten süßer als ihr eigener Nachtisch von vor einigen Stunden. Und immerhin wusste sie ja nicht, ob die anderen überhaupt irgendwo Proviant hatten auftreiben können...
Besonders erfreut aber war Tirgatao, als sie, nachdem sie die Suche fast schon hatte aufgeben wollen, doch noch einige Wundkräuter fand. Sie hatte sich schon Gedanken gemacht, weil ihre eigene Ausrüstung ja nur für ihren kleinen Streifzug geplant gewesen war. Die Amazone pflückte die Kräuter sorgfältig, band sie mit Riemen zu Sträußen zusammen und befestigte diese dann so außen an den Satteltaschen, dass die Blätter nach unten hingen und trocknen konnten. Sicherlich nicht ideal, aber es würde reichen müssen.
Die Hitze schien nicht schwinden zu wollen, und so machte sich Tirgatao schließlich wieder auf den Weg. Sie widerstand der Versuchung, den dunkelbraunen Wallach zu reiten. Natürlich würden ihre Füße es ihr danken, doch sie wäre dann auch noch weiter sichtbar als jetzt schon, würde aber selbst nicht mehr sehen. Mit den Sinnen von Hishn und Shona konnte sie nicht mithalten. So lief die Amazone also weiter im Wolfstrab, führte die Tiere im Zickzack, um Sturmbraut weiter leiten zu können, und hoffte, dass Hishn und Shona bald eine Spur der anderen finden würden.
Doch es dauerte noch bis zur Dämmerung, bevor Tirgatao in ihrem Kopf Hishns und gleich darauf Shonas Jubel vernahm. Die Gerüche und Bilder schossen in ihren eigenen Geist, bevor die Amazone reagieren konnte, und sie sah die Abbilder zweier Reisegefährten aus Sicht der Wölfe, eine Mischung aus Gerüchen und Gemütszuständen, Charaktereigenschaften. Der Magier und die Frau mit dem Raben. Aber Raels Bild war nicht dabei! Wo war Rael? Warum war ihre Spur nicht vorhanden? Und wo waren die anderen?
Alarmiert beschleunigte die Amazone ihren Lauf, bis sie die Spuren selbst sehen konnte. Spuren von Pferden, Maultieren, dem Esel, dem Hund und - einem Wagen. Wo habe sie denn den Wagen her?? Tirgatao atmete auf. Die anderen mussten im Wagen gesessen haben, deshalb hatten sie hier keinen Geruch auf dem Boden hinterlassen. Und sie waren schon vor zu langer Zeit hier durchgekommen, als dass sich eine Witterung in der Luft hätte aufnehmen lassen.
Meine Grauen. Vorerst kann ich der Spur allein folgen. Jagd euch etwas, aber bleibt nah. Sobald es ganz finster ist, brauche ich wieder eure Hilfe!
Japsend und schwanzwedelnd stürzten Hishn und Shona davon, auf der Suche nach Spuren. Sie stöberten schon bald wieder Feldratten auf, und Tirgatao verschloss ihre Gedanken gegenüber der Jagd, um sich nicht zu vergessen und selbst mitzujagen. Stattdessen folgte sie mit den Pferden der ausgeprägten Spur. Die Amazone legte nochmals ein ordentliches Tempo vor, um möglichst weit zu kommen, so lange sie noch etwas sehen konnte.
Nach einiger Zeit, es war bereits stockfinster, stießen Hishn und Shona wieder zu Tirgatao und warfen der Frau etwas vor die Füße. Durch Tasten mit den Händen erkannte die Frau drei tote, noch warme Feldratten. Sie zögerte einen Moment, dann rang sie sich dazu durch, ihren Durst nach Wolfsart zu stillen, und trank das noch warme, flüssig Blut der Ratten. Noch hatten die Wölfinnen kein Wasser gewittert, und wer wusste, wann es wieder welches gab. Die Pferde brauchten das Wasser aus den Schläuchen womöglich nötiger als sie selbst.
Die blutleeren Körper band Tirgatao an den Schwänzen zusammen und hängte sie sich an den Gürtel. Sie versuchte erst gar nicht, sich das Blut von Mund und Kinn zu wischen, sie hätte es ja doch nur über ihr Hemd verschmiert. Als sie sich dann bückte, um Hishn und Shona mit Streicheleinheiten zu danken, zuckte sie verwirrt zusammen: die Feldratte in Hishns Maul zappelte noch ganz leicht! Vorsichtiges Tasten verriet, dass die Wölfin ihre Beute am Nackenfell hatte.
Feuerfrau beinahe Rudel. Sirikit nicht bei ihr. Niemand jagt für sie. Bringe frische Beute!
löste Hishn das Rätsel, als sie die Verwirrung ihrer Freundin spürte. Tirgatao bezweifelte insgeheim, dass Rael besonders heiß auf frische, noch warme Feldratte wäre, behielt dies aber für sich. Immerhin hatte Hishn Rael gerade so gut wie zur Familie gezählt, obwohl die Frau die Wölfe nicht hören konnte.
Sehr selbstzufrieden liefen Hishn und Shona wieder voran, diesmal allerdings in Sichtweite. Ihr weißes Fell leuchtete schon fast im Mondschein, und so hatte Tirgatao keine Schwierigkeiten, ihren Freundinnen im Trab zu folgen. Allmählich machten sich die Beinmuskeln der Amazone bemerkbar, durch das ständige Zickzack und vorher schon das Einfangen der Wildpferde war dieser Tag anstrengender gewesen als ein normaler Streifzug.
Und so war es Tirgatao nur zu willkommen, als Hishn und Shona fast gleichzeitig die Gerüche von Wasser, Feuer, der Reisegruppe und der Tiere aufnahmen. Noch bevor die Amazone einen Willkommensgruß rufen konnte, sandte Shona ein Willkommensgeheul durch die Nacht, das mit Sicherheit jeden Schlafenden sofort aufgeschreckt hatte. Tirgataos giftiger Blick verfehlte seine Wirkung völlig, da die Wölfin ihn erstens sowieso nicht sah und das Heulen zweitens für eine sehr gute Idee hielt. Um nicht von gezogenen Waffen empfangen zu werden, schickte die Amazone dem Heulen ein
Den Göttern zum Gruße! Ein schöner Rastplatz!
hinterher, bevor sie sich endgültig der Gruppe näherte. Sturmbraut band sie etwas abseits der Menschen an und in ihrer Nähe den Wallach und die drei Stuten. Dann kam sie mit den beiden Wölfen ans Lagerfeuer.
Hishn lief sofort zu Rael, ließ vor der Frau die protestierende Feldratte zu Boden fallen, packte sie mit der Pfote und versetzte ihr den Genickbiss, um dann stolz und schwanzwedelnd zu Rael aufzusehen. Tirgatao dachte schon nicht mehr an das Blut in ihrem Gesicht und setzte rasch zu einer Erklärung an.
Hishn sagt, da du Sirikit nicht dabei hast und niemand für dich jagt und du ja irgendwie Rudel bist, hat sie dir was mitgebracht...
Oh, und ich hab dir auch was mitgebracht. Eine braun-weiß gescheckte Stute, die die Ruhe in Person ist. Außerdem konnte ich noch einen kräftigen dunkelbraunen Wallach, eine Schimmelstute und eine Fuchsstute mitbringen. Die anderen Tiere waren zu ausgezehrt oder es waren Tiere für die Feldarbeit. Der Wallach wäre vielleicht etwas für Eomer. Er dürfte mit dem Gewicht der Rüstung kein Problem haben... Wurzeln und Beeren als Beilage zur Ratte sind in den Satteltaschen. Nur Wasser bräuchten wir wieder...
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