RE: zum verrückten Waldläufer
In Gedanken versunken eilte Tika durch das Tavernenviertel Roms. Brauausrüstung und Belieferung mit Zutaten waren gesichert. Mit Orela hatte sie für die Taverne eine äusserst fähige Schankmaid gewinnen können. Ihre Bemühungen um einen Koch waren nicht gänzlich von Erfolg gekrönt gewesen, Orsin wäre zwar bereit, ab und zu bei der Taverne mit seiner Garküche samt seiner Stammkundschaft zu erscheinen, aber an den anderen Tagen musste sie wohl hinnehmen, dass dieser Eusebius sein eigenes Süppchen zu kochen gedachte. Eine Lösung für das Problem des zu durchlässigen Kellers war in Aussicht gestellt. Sie würde mit diesem Ergebnis ihrer Bemühungen zufrieden sein müssen!
Ihr Augenmerk galt trotz ihrer Gedankenverlorenheit der Umgebung. Dieses Viertel Roms wirkte heruntergekommen, es hatte sicher schon bessere Tage gesehen. Zahlreich waren die geschlossenen Tavernen, niemand schien sich um deren Erhaltung zu kümmern. Manche Namen waren noch auf den Schildern mit Müh' und Not zu entziffern, wie "Zum ruhmreichen Gladiator" und "Zur schönen Göttin". Manche Namen erschienen Tika rätselhaft. Das Ende von "Zum feurigen Wald" besiegelte dem Eindruck nach nicht das Feuer. Die Römer mussten früher eine Vorliebe für Drachen im Namen einer Taverne gehabt haben, wie die Existenz der verwaisten Tavernen "Zum schwarzen Drachen", "Zum schlafenden Drachen" und "Zum wieder erwachenden Drachen" bewies.
Tika kam auch an Tavernen vorbei, in denen, dem Lärm nach zu Urteilen, noch reges Treiben herrschte. Allerdings erweckten diese den Eindruck, nicht für jeden gewöhnlichen Gast zugänglich zu sein. Aus einer Taverne erklangen Soldatenlieder, Gebrüll und auch das Geräusch von berstenden Mobiliar. Tika konnte fasziniert sogar beobachten, wie jemand in Uniform die Taverne im Fluge durch das Fenster verliess, sich benommen aufrappelte und brüllend durch die Tür wieder in die Tavern torkelnd hineinzugelangen versuchte. Eine andere Taverne bot eine Rote Laterne als ersten Blickfang, auf dem Balkon des ersten Stockwerkes zeigten sich Damen und auch Herren, deren Bekleidung nicht ausgereicht hätte, um daraus Handschuhe für Tikas Hände anzufertigen, ebensowenig, wie Tikas Verdienst ausreichen würde, um den Schmuck sich leisten zu können, den diese auf dem Balkon Flanierenden zur Schau trugen. Tika nickte versonnen. Sollten in ihre Taverne sich Gäste verirren, denen der Sinn nach anderen fleischlichen Gelüsten ausser Speisen stand, oder jene, die solche Dienstleistungen anzubieten gedachten, wusste sie nun immerhin, wohin sie diese mit Nachdruck verweisen konnte!
Abrupt hielt sie im Schritt inne, als ihr jemand den Weg versperrte, dieser lallte etwas, das Tika nicht verstehen konnte. In Uniform, vermutlich Legionär. Betrunken. Tika verzog das Gesicht, der Kerl stank nach Bier, und dem Geruch nach zu urteilen, eine Sorte Bier, die sie selbst nicht einmal Schweinen servieren würde! Ein weiterer Legionär schien bemüht, seinen Kameraden zurückzuhalten, als desseen Hände nach Tika tasteten. Tika entfuhr ein knurrender Laut, ihre Augen versprühten Funken des Zorns. Das Gesicht des Betrunken nahm urplötzlich einen entsetzten Ausdruck an, Tika wuchs vor innerlicher Befriedigung ein paar Zentimeter in die Höhe, sie holte tief Luft, doch eine grollende Stimme hinter ihr liess sie alles vergessen, was sie hatte sagen wollen... "Boo mag dies nicht leiden, Boo wird ganz squirrelig. Minsc wird zornig, wenn Boo squirrelig wird. Es ist nicht gut für Minsc, Zorn zu unterdrücken. Zorn muss raus, Minsc muss jemanden zerquetschen, zerreisen, zermalmen, zestören...!" Die beiden Legionäre rannten davon, wobei der Betrunkene von seinem Kameraden eher mitgezerrt wurde, rennen wollte der gewiss, nur fehlte es an der dazu nötigen Kontrolle über die Gliedmassen.
Langsam, mit jagendem Herzschlag, drehte Tika sich um. Blickte auf eine ledergepanzerte breite Brustregion, hob den Kopf, legte diesen weiter in den Nacken. Ein Gigant! Mit einem noch gigantischerem Schwert über den Rücken geschnallt. Oder war es ein gigantisches Schwert, dass einen Hünen spazieren führte? Tika musste kichern. Dieses Schwert würde sie mit beiden Händen nicht heben können! Der kahlköpfige Hüne, der sein Haupt auch noch in grellen Farben bemalt hatte, lächelte (Tika hoffte, dass es sich um ein solches handelte) auf sie herab: "Eine Damsell in Not! Boo und Minsc helfen gerne!" Tika wusste nicht, was eine Damsell war, blickte, wie sie hoffte, beruhigend und versuchte, den anderen namens Boo zu entdecken, der musste sich hinter diesem Minsc befinden. Mit etwas piepsiger Stimmlage erwiderte sie dem Hünen: "Ich bin Tika, ich danke Dir und Boo für eure Hilfe. Wo ist denn Boo?"
Der Hüne hob seine Pranken, reckte sie Tika entgegen: "Boo ist hier. Mächtiger als Minsc. Klüger als Minsc. Boo sagt Minsc, was Minsc tun soll!" Minsc lächelte verschwörerisch: "Boo und Minsc passen auf Aine auf. Aine darf das aber nicht wissen. Aine mag nicht leiden, wenn auf sie aufgepasst wird! Tika verspricht gewiss, Aine nichts zu verraten!" Mit herausquellenden Augen starrte Tika auf Boo, den Minsc ihr entgegenhielt. Ein Hamster! Dieser Minsc schleppte einen Hamster mit sich herum, dessen Rat er folgte? Bei allen Göttern, in der Taverne "Zum verrückten Waldläufer" lag dieser nicht begraben, nein, derjenige, nachdem die Taverne benannt zu sein schien, lief hier vollkommen frei herum! Tika entrang sich ein Stammeln "T.T.Tika... ich... V.V.Verrat? Niemals.. verspreche das Minsc... ähm... auch Boo. Ich werde Aine gegenüber Schweigen wie ein Grab!" Tika nahm ihre Beine in die Hand, rannte los, blieb erst stehen, als ihr die Luft knapp zu werden begann, sah sich um. Sie atmete auf, nirgends vermochte sie diesen Minsc zu entdecken, nur einige der hier allgegenwärtigen Kinder befanden sich in der Nähe.
Tika rannte weiter, bis sie die Taverne erreicht hatte, betrat diese vollkommen ausser Atem, sah sich im Verrückten Waldläufer um, erblickte- niemanden. Mit unsicherer Stimme rief sie: "Hallo? Jemand da? Wo seid ihr denn alle?" Um ihre Nerven war es immer noch nicht zum Besten bestellt. Tikas Blick wanderte zu der Falltür. Hatte der Keller alle verschlungen? In Tikas überreizter Phantasie wirkte die Falltür eher wie ein alles verschlingendes Maul, das sich gleich mit hungrigem Klappern auf Tika stürzen würde. Tika stutzte. In ihrer Erinnerung war die Falltür mit einem eisernen Sperriegel durch Eusebius versehen gewesen, nun verkeilte diese nur noch ein einsamer Besen. Dies beruhigte Tika nicht im Mindestens, sondern beflügelte eher Tikas Phantasie in eine alptraumartige Richtung...
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