Die Zeit verging und Traumtänzer wuselte vor sich hin und neben ihr her. Wie der Bauer es schaffte seine Ernte rechtzeitig einzubringen, so verwirrt wie er ihr manches mal erschien, war ihr ein Rätsel und doch war er ihnen bis jetzt ein wertvoller Weggefährte gewesen. Unscheinbar vielleicht und doch unverzichtbar. Sie verbrachte zusammen mit dem Bauern die Zeit, bis es soweit war zu dem Treffpunkt zurück zu kehren. So gingen sie und der Bauer langsam zum vereinbarten Punkt zurück. K`Ehleyr war die Erste und Rael nickte ihr zu. Erleichterung sprach aus ihrem Blick. Sorgen hatte sie sich gemacht und sie hatte innerlich fast permanent geflucht, dass sie nicht dabei hatte sein können. Sicherlich war sie froh um jeden Kampf, dem sie aus dem Weg gehen konnte und doch war das dieses Kribbeln, die Energie, derer sie nicht Herr werden konnte.
Ihr Blick wanderte die Straße entlang, als sie Tirgatao und Ezekiel sah, die ebenfalls den Treffpunkt erreichten. Rael schloss ein Moment die Augen, während sie sich schwer auf den Kampfstab stützte. Erleichterung machte sich in ihr breit. Allzu große Verletzungen konnten sie nicht davon getragen haben. Sie konnte schließlich auf eigenen Beinen zum Treffpunkt kommen. Und doch stand Raels Sorge in ihr Gesicht geschrieben. Müde sahen sie aus und doch waren sie am Leben. Rael schluckte, brauchte einen Moment und brachte doch kein Wort heraus. Der Kampf war nicht einfach gewesen. Um wievieles wäre ihnen einiges leichter gefallen, wenn sie an ihrer Seite hätte kämpfen können? Rael wußte es nicht und doch nagte der Zweifel in ihr, wie ein schwelendes Feuer. Nach und nach kehrten sie alle zurück und alle bedachte Rael mit sorgenvollen Blicken und einer tiefen Erleichterung.
Und doch fehlte ein von ihnen. Es dauerte, bis ihnen klar wurde, dass sie nicht kommen würde. Raels Finger klammerten sich um den Kampfstab, so dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Ein Fremder teilte ihnen mit, wo Drakonia zu finden sei und K`Ehleyr teilte ihm mit, dass sie sich alsbald um sie kümmern würden. Doch K`Ehleyrs Aufmerksamkeit lag vorerst bei dem vermaledeiten Gefangen, auf den Rael und Traumtänzer die Zeit des Kampfes über aufgepaßt hatten. Raels Blick ging zu dem Mann, der geschnürrt, geknebelt war. Doch bevor weitere Entscheidungen gefällt werden konnte, kam ihnen der Gefangene abhanden. Rael stand mit offenem Mund da und blickte dem Gespann Maultier und Gefangenem hinterher. Ihr Erstaunen, ob dieses Verhaltens war ihr an der Nase abzulesen.
Ihre riesengroßen Augen wanderten zu Traumtänzer, während sie den Kopf schüttelte. Die beiden – das Maultier und sein Besitzer – schienen eine magische Anziehungskraft von einander weg zu haben. Wo andere magisch zueinander getrieben wurden, trieb es die beiden wohl immer wieder auseinander. Enttäuschung machte sich in Rael breit. Sie hatte den ganzen Tag damit verbracht auf diesen Kerl aufzupassen, damit er ihr im entscheidenden Moment durch die Lappen ging. Und zwar wegen eines störrischen Esels. Verzeihung Maulesel. Rael schüttelte den Kopf. Heute wollte aber auch nichts funktionieren.
Rael wandte sich an Tirgatao. Sie wußte, dass sie keine Hilfe wollte und doch bat sie Rael um Hilfe beim Verarzten. Stumm nickte Rael und blickte dem Bauern hinterher, der den Ochsenkarren erneut aktivierte und sie alle zum Gasthof kutschierte. Rael versuchte sich über das Verhalten des Hundes nicht zu wundern und doch blickte sie den Bauern fragend an. Dieser erklärte, dass es sich um den Kartoffelsack auf dem Maulesel handelte, welche nun den Weg zierten, ob des wilden Galopps. Inmitten der Reihe verlorener Kartoffeln, fand sich dann auch der „Verlorene Bruder“ wieder, dessen unnatürliche Genickhaltung zeigte, dass dieser nirgendwohin mehr flüchten würde. “Na toll... aber immerhin ein Problem weniger!“, murmelte Rael.
Unterwegs sammelten sie Drakonia ein und Raels besorgter Blick traf Ezekiels. Sie sah nicht gut aus. Und doch würde sie es überstehen, wie ein jeder von ihnen – Uma und Ares sei Dank. Als sie sah, dass alle anderen einander versorgten bzw. versorgt waren in Drakonias Fall, ging Rael mit Tirgatao zusammen in den Stall. Dort vollführten sie den üblichen Gang vom Waschen des Körpers, Versorgen der Wunden und dann Reinigung von Tirgataos Kleidung. Erst nach einer Zeit, die Rael endlos vorkam, gestand Tirgatao, gehüllt in ein Hemd von ihr, sich den lang benötigten Schlaf ein. Rael legte sich zu ihrer kleinen Schwester und legte vorsichtig einen Arm um sie, um sie zu wärmen. Auch wenn sie nicht zum Schutze im Kampf bei ihr hatte sein können, wollte sie ihr wenigstens den Schutz des Schlafes gewähren.
Es dauerte ein paar Momente, bevor sich Rael von den Ereignissen des Tages losreißen konnte und in einen warmen, traumlosen Schlaf fiel. Am nächsten Morgen zogen sich beide wieder an und ging nach einer Katzenwäsche zu den anderen in die Gaststube. Raels Blick wanderte über Ezekiel und den Bauern. Beiden schien es einigermaßen gut zu gehen. Auch wenn Ezekiel etwas „eckig“ ging. Er sah so aus, als würde ihm einiges weh tun und Rael juckte es in den Fingern ihn zu fragen, ob sie die verkrampften Muskeln lockern sollte. Doch sie traute sich nicht wirklich und so schluckte sie ihre Frage vorerst herunter. Nach einem kurzen, aber schmackhaften Mahl blickte Rael in die Runde. Wie sollte es weiter gehen? Nach und nach trudelte der Rest ihrer Gruppe ein, außer Drakonia, die scheinbar immer noch schlief.
Ezekiel brachte es dann auf den Punkt und ihre Augen lagen auf dem Holzfäller aus dem bekanntesten Wald Roms. Wie geht es weiter? Sie nickte. Seine Worte leuchteten ein und in gewisser Weise fühlte sie sich an ihren Kampf mit Ruffinio erinnert. Sie schluckte schwer, suchte diese Gedanken beiseite zu schieben und doch konnte sie den Impuls nicht unterdrücken mit ihrer Hand die Narbe auf ihrem Rücken zu berühren. Gerade als sie eine Antwort von sich geben wollte, erscholl ein Schrei aus den oberen Stockwerken, den Rael bis ins tiefste Mark erschütterte. Sie sprang auf, warf den Stuhl durch ihre ungestüme Bewegung um und griff sich das Messer Ezekiels, welches in ihrem Hosenbund gesteckt hatte. Mit gezückter Waffe rannte sie nach oben, gleich zwei Stufen auf einmal nehmend. Die Stimme war ihr bekannt vorgekommen und ihr Herz hatte ausgesetzt.
Wagte es wirklich jemand, hier in diesem Gasthaus Drakonia anzugreifen? Sie folgte ihrem Gefühl, stieß hier und da eine Tür auf, bis sie Ezekiel folgend in das richtige Zimmer geriet. Die Tür donnerte gegen die Wand dahinter, als Ezekiel diese aufstieß. Er stockte mitten in der Bewegung, so dass Rael fast gegen ihn geprallt wäre. Scheppernd fiel Ezekiels Messer zu Boden, als sie Drakonia auf dem Boden liegen sah. Sie schob sich an ihm vorbei, als sich beide neben Drakonia niederknieten und die Königin der Vergessenen aufhoben und auf die Beine brachten. Ein jeder von ihnen hakte die junge Frau unter und brachten sie zu ihrem Bett zurück. Besorgnis lag auf Raels Gesicht, als sie Ezekiels Blick suchte. Drakonias Verletzungen schienen tiefer zu gehen, als Rael vermutet hatte. Oder vielleicht lagen ihre Wunden auf einer anderen Ebene, einer weniger körperlichen. “Hey,... schhhh... ist doch gut, Drakonia. Beruhige Dich. Wir sind doch da...! Was ist los? Die Pfeilwunde wird heilen, braucht aber Zeit. Du brauchst Ruhe...!“, sprach Rael beruhigend auf Drakonia ein. Zeit hatten sie nicht wirklich und wieder warf Rael einen fragenden Blick zu Ezekiel.Was sollten sie also tun? Unbewußt begab sich Rael in die führenden Hände Ezekiels und in ihrem Blick lag Vertrauen. Vertrauen auf seine Entscheidung.
Temperament ist ein vorzüglicher Diener, doch ein gefährlicher Herrscher.
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