Tirgatao wartete, bis die beiden Maultiere und der große Fuchs in Raels Händen waren, dann bat sie Hishn und Shona, an den Seiten der Koppel mit den Wildpferden entlangzutraben. Die Amazone beobachtete die Reaktionen der Pferde, und schloß ein Pferd, das beim Anblick der Wölfe Anstalten machte, in Panik über den Zaun zu klettern, von vornherein aus. Nach kurzer Zeit rief sie Hishn und Shona zu sich zurück und kraulte sie zum Dank hinter dem Kopf. Sie legte ihre Tasche, ihren Bogen und ihren Köcher bei Rael ab. Dann wandte sie sich nochmals an den Besitzer des Hofes.
Leih mir bitte ein Lasso, mit dem ich die Pferde einfangen kann. Sobald ich alle sechs aufgezäumt und an den Führstrick genommen habe, erhältst du das Lasso natürlich zurück. Derweil kannst du den beiden Maultieren die Packsättel auflegen,sorgfältig gurten und dann die sechs Pferdesättel aufladen.
An das Satteln der Wildpferde würde noch eine Weile nicht zu denken sein. Tirgatao zwinkerte Rael zu, die bereits auf dem Kaltblüter saß, und wollte sich dann an die Arbeit machen, doch der Bauer druckste noch herum. Es dauerte einen Moment, bis die Amazone aus dem Gestottere ein nur noch fünf Sättel da heraushörte. Sie überlegte einen Moment, bevor sie eine Entscheidung traf.
Du gibst uns drei Sättel, die anderen beiden kannst du behalten. Dafür bekommen wir einen Sack Pferdefutter von dir. Sind wenigstens genug Zaumzeuge und Führstricke vorhanden?
Der Bauer nickte und verschwand sofort wieder im Stall. Tirgatao war sich nicht sicher, wie viele der anderen ohne Sattel zu reiten vermochten, doch sie fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, dass diesen Leuten kein einziger Sattel bleiben sollten. Diese Lederwaren waren nicht billig und das Dorf sah nicht aus, als wäre es reich. Das Futter konnte ihnen nützlich werden, wenn sie in eine Gegend kamen, in der die Pferde kein Gras fänden.
Sobald sie das Lasso erhalten hatte, wählte Tirgatao das erste Pferd aus, das sie einfangen wollte: eine dunkelbraune Stute, die ihr vorhin wegen ihrer Gelassenheit aufgefallen war. Nun, mit der Gelassenheit schien es urplötzlich vorbei zu sein, als sich das Lasso um ihren Hals legte, und Tirgatao hatte extreme Mühe, die Stute irgendwie zu bändigen. Sie musste ein paar der weniger netten Tricks gebrauchen, um der Dunkelbraunen ein Zaumzeug anzulegen, sie aus der Koppel zu führen und sie mit einem Führstrick an einen stabilen Balken zu binden. Es würde Hishns Aufgabe sein, zu verhindern, dass die Stute sich umbrachte in dem Versuch, zu entkommen. Sie hatte Hishn bereits erklärt, was sie von ihr brauchte.
Während Tirgatao wieder auf der Koppel verschwand, ging Hishn also geradewegs auf die Stute zu, starrte ihr in die Augen. Schließlich erhob sich die Wölfin auf die Hinterbeine, legte ihre Pfoten an den Pferdekopf, um Auge in Auge vor der Stute zu sein. Die Amazone war zu beschäftigt mit dem nächsten Pferd, einer Rappstute, um mitzubekommen, was genau Hishn der Stute übermittelte, doch sie wusste von früher, dass Hishn in der Lage war, andere Tiere und selbst Menschen für eine gewisse Zeit durch übermittelte Gedanken regelrecht zu paralysieren, wenn sie nur lang genug stillhielten, dass sie ihnen tief in die Augen sehen konnte. Tirgatao ging davon aus, dass sie ihnen mit etwas drohte, denn ein Fluchttier wie ein Pferd hatte keinen Grund wie festgewachsen vor einem Wolf stehen zu bleiben. Aber es war ihr für den Moment egal, wie Hishn das erreichte, so lange die Pferde sich nur nicht umbrachten, bevor sie Zeit hatte, mit dem Zureiten zu beginnen...
Nach und nach fing Tirgatao fünf Pferde aus der Koppel, während Shona den Bauern und seine Söhne im Blick behielt und jede ihrer Bewegungen verfolgte. Zu der dunkelbraunen Stute und der Rappstute gesellten sich eine Falbstute, eine Fuchsstute und eine gescheckte Stute. Alle fünf hatte die Amazone ausgewählt, weil sie im Angesicht der Wölfe relativ gelassen geblieben waren - gelassener zumindest als die drei, die sie nicht haben wollte. Und bei allen fünf sorgte Hishn dafür, dass sie vorerst stocksteif wie festgefroren standen.
Derweil näherte sich Tirgatao ihrem sechsten Ziel, dem Pferd, das sie für sich selbst im Auge hatte. Die dunkelgraue Stute mit der schwarzen Mähne hatte nicht nur kaum Angst vor den Wölfinnen gezeigt, sie hatte sich sogar mit ihnen mitbewegt, immer so, dass sie die Wölfe direkt vor ihren Hinterhufen hatte, nur durch die Koppeleinzäunung getrennt. Diese Stute würde Hishn nicht allein durch ihren Blick und ihre Gedanken bezwingen können, eher würde sie auf die Wölfin losgehen. Darum hatte sich Tirgatao dieses Pferd für den Schluss aufgehoben. Bei ihr würde sie hier und jetzt mit dem Zureiten beginnen müssen.
Schon das Einfangen mit dem Lasso gestaltete sich schwierig, und Tirgatao rutschte zwischendurch einmal auf dem Bauch hinter der Stute her, bevor sie es schaffte, sich an das Tier heranzuarbeiten. Die Amazone wurde noch mehr als einmal von der Stute gegen die Umzäunung geschubst, doch dann saß sie schließlich auf dem nackten Pferderücken, die Schenkel wie ein Schraubstock um den Pferdeleib geschlossen. So schnell sie nur konnte wickelte Tirgatao das Lasso auf und fasste es mit einer Hand ganz kurz, die andere Hand vergrub sie in die lange schwarze Mähne. Keine Sekunde zu früh, denn die Stute versuchte alles, die unerwünschte Last wieder loszuwerden. Ein zähes Ringen begann, bei dem die Amazone es nur durch kräftiges Anziehen des Lassos schaffte, die Stute davon abzuhalten, ihr ein Bein an der Umzäunung zu zerschmettern. Zu dem Zeitpunkt, als sich das Pferd schnaufend, schäumend und mit hängendem Kopf geschlagen gab, troff der Frau der Schweiß aus allen Poren und klebte ihre Kleidung an den Körper. Ihre Beine zitterten, ihre linke Hand hatte einen roten Striemen vom Lasso und ihre rechte war so fest in die Mähne gekrallt, dass sie sich fast taub anfühlte.
Tirgatao trieb die Stute vorsichtig an, aus der Koppel hinaus, die einer der Söhne des Bauern für sie geöffnet hatte, glitt vom Pferd und legte der Stute, auf wackeligen Beinen stehend, Zaumzeug und Führstrick an, um sie festzubinden. Für den Moment würde diese Stute sich nirgendwohin bewegen, und sobald sie sich abgekühlt hatte, würde sie etwas zu saufen brauchen.
Die Amazone wandte sich zuerst an den Bauern.
Damit hätten wir unsere Reittiere beisammen. Sind die Sättel verpackt? Ja? Sehr gut. Jetzt habe ich nur noch ein paar Fragen, und dann bist du uns schon los. Wo finden wir ein Gewässer, an dem wir die Tiere nachher tränken können? Wo können wir Proviant und Wasserschläuche kaufen? Und gibt es jemanden, der hier Waffen verkauft? Und eventuell Kleidung? Oh, und hier hast du dein Lasso wieder...
Während sie auf die Antworten des Bauern wartete, lächelte Tirgatao etwas gequält zu Rael.
Ich glaube, ich nenne sie Sturmbraut. Sie hat die Farbe einer Gewitterwolke, und definitiv das Temperament eines Sturmes...
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