Wiehernd hob das Pony den Kopf, und zog Luft durch die geblähten Nüstern ein. Dass dieser Wald auch ganz anders riechen musste! Viel mehr Tannen als zuhause, im Gebiet der Waldläufer, wo man die Ponies ohne Zügel laufen lassen konnte. Aber sobald man sich mal in unbekanntem Gebiet bewegte, wurden die kleinen Tiere sofort ängstlich und zurückhaltend, da sie ja ihr leben lang nur Silva Romae unter den Hufen gehabt hatten. Rogar tätschelte in einem Anfall von Gutmenschentum und Pferdeliebhaberei den Hals des Tieres, und beugte sich vor, um beruhigend und leise auf es einzureden: "He, uns passiert schon nichts. Die wilden Tiere schlafen doch längst. Und selbst wenn, was ist denn an dir kleinem Happen schon dran? Und ich bin auch zu sehnig, und außerdem müssen sie erst mal durch das Kettenhemd durch. Und an meinen Äxten vorbei." Automatisch berührte der Halbzwerg bei diesen Worten zuerst den Schaft des Wurfbeils an seinem Gürtel, und dann die doppelte Klinge der zweihändigen Axt auf seinem Rücken. Und, wo er gerade den Teufel an die Wand gemalt hatte - waren das nicht Kampfgeräusche und Schreie?
Aufmerksam setzte Rogar sich im Sattel auf. Und nieste. Verdammte Erkältung! Dann probierte er, die ungefähre Richtung der Geräusche zu orten. Das war nicht einfach, sie waren weit weg. Und außerdem waren Bäume dazwischen. In diesem Moment hatte Rogars Pony wohl endgültig die Faxen dick, denn es bäumte sich auf, und erwischte den unaufmerksamen Reiter vollkommen auf dem falschen Fuß. Der Halbzwerg konnte sich gerade noch am Sattelknauf festhalten, aber verlor die Steigbügel, und entschied sich dann im ersten Moment des Hinterhergeschleiftwerdens dafür, einfach sein Deckenbündel mit der Armbrust und den Pfeilen vom Sattel abzureißen und das Pony seiner Wege rennen zu lassen.
Soweit, so gut, doch die Lederriemen, mit denen das Bündel befestigt war, waren fester als gedacht, und während der Boden und das Unterholz, durch das der wilde Ritt gerade ging, ihm fast die Stiefel von den Füßen rissen, musste er sich nun mit einer hand am Sattel festhalten, mit der anderen das Messer ziehen, was gelang, und dann die Riemen durchtrennen, wasauch gelang, nur dann war das Bündel ziemlich schnell weg, und Rogar wollte sich so schnell nicht fallen lassen, ohne sicherzustellen, dass er nicht auf seinen Äxten landete. Deswegen zog der Waldläufer sich wieder am Sattel hoch, steckte das Langmesser weg und machte dann in einem Moment, als er nur festen Boden unter sich wähnte, den Absprung. Das Pony verpasste ihm noch einen leichten Streiftreffer an der Schulter, als es sich von seiner Last befreit wähnte, und ging dann endgültig durch, wenn es das nicht schon vorher getan hatte. Mit pochender linker Schulter, aber wenigstens ansonsten nicht ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen, soweit er das im dusteren Dämmerlicht des Mondes überhaupt beurteilen konnte, probierte Rogar nun den Weg zurückzuverfolgen, um seine Armbrust und das Bündel mit der Decke und dem Proviant zu finden. Den Weg fand er, denn die Schneise, die seine Beine durch das Gehölz gezogen hatte, war unübersehbar, und nach einer kurzen Strecke fand er auch die zum Glück entspannte Armbrust, die auch noch intakt schien, aber das Bündel mit Decke, Proviant und Köcher sowie Bolzen war wohl verlorengegangen. Dafür konnte Rogar nun ein Feuer durch die Bäume lodern sehen, ganz klein zwar, aber immerhin ein Anhaltspunkt, und, war das nciht die Richtung, aus der eben noch die Kampfgeräusche gekommen waren?
Der Halbzwerg machte sich in Waldläufermanier lautlos auf den Weg, und zog seinen Umhang eng um die Schulten, damit ihn seine metallisch glänzende Schulterpanzerung nicht schon von weitem verraten würde. Die Zweihandaxt mit der rußgeschwärzten Klinge hielt er beidhändig und schlagbereit vor sein Gesicht, damit er sie im Ernstfall auch schnell wie eine Deckung davor drehen konnte, falls ihm jemand entgegenkam, sollte dieser nicht durch das Glänzen seiner Augen im Dunkeln gewarnt werden. Doch das Anpirschen verlief ohne Zwischenfall, und anscheinend war der Kampf auch vorüber, denn es waren Stimmen zu vernehmen, die über das Schicksal eines Verletzten und die Behandlungsweise berieten.
...wenn er laufen kann, und wenn nicht mehr als vier Rippen gebrochen sind, glaube ich.
"So etwas geht meist nicht glimpflich aus. Ich habe mich noch nicht so oft mit einem Bären angelegt, aber dieser war eindeutig der größte. Compatre kann von Glück reden, dass er überhaupt noch lebt."
Die zweite Stimme ließ Rogar innehalten. Babe? Hier? Und warum wusste er nichts davon? Merkwürdig. Vielleicht hatte er es auch verwechselt, immerhin waren sie sich beide etwas länger nicht über den Weg gelaufen, aber...durch die Sträucher hindurch sah er eine wallende Lockenmähne, und alle Zweifel in Bezug auf Babes Aufenthaltsort verflogen. Der Halbzwerg ließ den Umhang los, und die Axt sinken, und trat mit einem schiefen grinsen auf dem Gesicht aus dem Dickicht. "Mir scheint, ich bin ein paar Minuten zu spät gekommen. Tut mir Leid, aber mein Pony wollte nicht früher weglaufen und mich alleine in diesem Wald liegenlassen. Dann hätte ich euch wohl mit dem..." Rogar unterbrach sich, schaute sich um und entdeckte den riesigen Körper des Braunbären, der die Gruppe wohl angegriffen hatte. "Nun, äh, gut, bei dem hätte ich sicherlich auch Probleme gehabt. Aber meine Königin hat es ja ganz formidabel hinbekommen." Eine leichte Verbeugung in Babes Richtung folgte diesem Satz. Dann griff Rogar in seine Gürteltasche, und holte ein dreieckiges Verbandstuch und blutstillende Heilkräuter heraus, die Lyra, die Waldfee, ihm einst mitgegeben hatte. "So, wie es aussieht, könnt ihr das hier gebrauchen." Mit diesen Worten kam er auf Babe, die andere Frau und den Verletzten zu.
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