Beitrag #1
[Titel kommt noch]
Ein monotones Tropfen war das Einzige, das die Stille der hereinbrechenden Dunkelheit störte. Stetig und ohne eine Sicht auf Besserung fiel der Regen vom düsteren Himmel. Alles verschwamm in einem einheitlichen Grau und kaum konnte man die Grenze zwischen dem Wald und dem kleinen Dorf erkennen. Als ob die Dorfgemeinschaft sich hinter dem Wald hatte verstecken wollen, schmiegten sich die wenigen Häuser dicht an Rand; nur vereinzelt stach eine Behausung hervor, die etwas entfernt des Waldes erbaut worden war. Einzig die Kirche strotzte mächtig in der Landschaft und reckte stolz seinen Turm in die Wolken. Eine seltsame Anordnung der Häuser, wurden sie doch normal immer um die Kirche herum erbaut. Aber da war es wieder, diese seltsame Gegebenheit, über die sich die Nachbarsleute schon seit Jahren den Kopf zerbrachen.
Nichts, aber auch gar nichts, war in und um diesem Dorf normal. Und schon gar nicht die Menschen, die dort wohnten. Die Einwohner wurden gemieden und nur selten verirrte sich ein Fremder an diesen Ort.
Man konnte nicht behaupten, das die Dorfbewohner verrückt waren oder sogar böse. Im Gegenteil, waren sie doch meist recht freundlich und halfen Fremden so gut sie konnten. Und trotzdem waren sie anders als andere. Ob man herausfinden konnte, was es war?
Rauch kräuselte aus dem Kamin des kleinen Steinhauses und in einem der Zimmer brannte Licht. Einen neugierigen Blick hineinwerfend entdeckte man eine gemütlich aussehende Sitzgruppe, die direkt vor dem Kamin angeordnet war. Mehrere Felle, die davor lagen, luden dazu ein, es sich vor dem Kamin gemütlich zu machen. Auf dem kleinen Tisch daneben stand ein Tablett mit zwei Gläsern und einer Flasche. Eines der Gläser war gefüllt mit einer dunkelroten Flüssigkeit, die vermuten liess, das es sich um Wein handelte.
Ein immer lauter werdendes Schlurfen kündigte das Herannahen des Hausbewohners an und kurz darauf betrat ein Mann den Wohnraum. Seine Schultern waren leicht nach vorne gebeugt, als hätte er eine schwere Last zu tragen. Seine Haare waren schon etwas schütter, aber im Nacken kräuselten sich feine grauen Locken, die erahnen liessen, wie er früher ausgesehen haben mochte. In seinen Händen hielt er einen Teller, den er nun neben das Tablett mit dem Wein stellte. Ein wenig Brot und mehrere verschiedene Käsesorten waren auf dem Teller zu finden. Selbst an ein paar saure Gurken hatte der Mann gedacht, die er dekorativ an den Tellerrand gelegt hatte.
Bevor der Mann sich setzte, wandte er sich jedoch zum Fenster und trat dicht an das Glas, um nach draussen schauen zu können. Sein Blick wirkte leer und resignierend und doch schimmerte kurz Hoffnung in seinen Augen, als er zum Waldrand schaute. Doch dann wurde sein Blick wieder trübe.
„Selbst im Regen find ich Dich...“, murmelte er tonlos vor sich hin. Dann zog er mit einem Ruck die Vorhänge zu und der Blick ins Innere wurde versperrt.
„Verdammt noch mal!“, fuhr die Frau auf und blitzte das Kind zornig an, das mit einem entsetzten Blick auf den gerade herunter gefallenen Teller starrte. Die Suppe verteilte sich gerade gleichmässig über dem Küchenfussboden und kopfschüttelnd stand die Mutter daneben und blickte auf das Mittagessen. Oder das, was mal das Mittagessen gewesen sein sollte. Als ob das Essen in der heutigen Zeit nicht sowieso knapp wäre, so froh war sie gewesen, das sie auf dem Markt noch hatte Gemüse kaufen können, um eine Suppe daraus zu kochen. Fleisch zu kaufen, das war ein Wunschtraum, den sie sich schon lange nicht mehr erfüllen konnte. Das konnten sich nur die Reichen leisten. Sie, die sich als Hausmädchen ihren Lohn verdienen musste, konnte davon nur träumen. Missmutig schickte die Frau ihren Sohn aus der Küche. Nicht, ohne ihn vorher noch mal fest an sich gedrückt zu haben und ihm ein Lächeln zu schenken, damit der traurige Ausdruck aus seinen Augen verschwand. Anschliessend holte sie ihren Putzlappen und einen Eimer Wasser und fing an, den Boden zu schrubben. Derweil überlegte sie, wie sie die Suppe verlängern konnte, damit sie beide satt werden würden.
Ihre Gedanken fingen an, sich selbstständig zu machen und wieder sah sie die beiden römischen Soldaten auf ihr Haus zukommen. Das Entsetzen machte sich wieder in ihrem Inneren breit und ihre Kehle schnürte sich zu, als ob es erst gestern gewesen wäre. Ihr Sohn krabbelte mit einem vergnügten Quietschen auf die Soldaten zu, die die Frau mit einem ernsten Blick anstarrten, um ihr dann kurz und knapp mitzuteilen, das ihr Mann beim letzten Kampf gefallen sei. Zu Ehren des Imperators.
Ein verächtliches Geräusch kam über die Lippen der Frau und schlagartig befand sie sich wieder in der Gegenwart. Zu Ehren des Imperators! Was hatte er denn schon getan? Ihr den Mann genommen und nun musste sie zusehen, wie sie sich und ihren Sohn über Wasser halten konnte. Jahre war es her und sie tat sich schwer, sich an das Gesicht ihres Mannes zu erinnern, aber die Wut auf den Imperator glomm immer noch in ihr.
Abends, ihr Sohn lag schon lange im Bett, sass sie in der Küche und starrte aus dem Fenster. Wolken hatten die Sonne vertrieben und nun regnete es schon seit einer halben Ewigkeit. Müde war sie und ihr Rücken schmerzte, aber sie wusste genau, wenn sie jetzt ins Bett ging, würde sie noch lange keinen Schlaf finden.
So starrte sie aus dem Fenster und träumte von einer besseren Zukunft.
„Wo bist Du?“, murmelte sie leise, sich selber nicht bewusst darüber, wen sie damit meinte.
Der Teufel lehrt die Frauen, was sie sind, oder vielmehr:
sie lehren es dem Teufel, falls er es noch nicht wissen sollte.
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