RE: zum verrückten Waldläufer
Ohne weiteren Zwischenfall hatte Tika die Brauerei erreicht, auf die Orela sie hingewiesen hatte. Die Sonne war gerade aufgegangen, sie stand vor dem verschlossenen, metallenem Tor mit zwei Flügeln. Die Inschrift auf dem Torbogen hoch über ihr erschien Tika prahlerisch und verkündete unter anderem den Hinweis auf eine 'Imperiale Hofbrauerei'. Vor diesem Tor zu warten, bis dieses geöffnet wurde, erschien Tika keine für sie tragbare Option, Geduld zählte nicht zu ihren Stärken. Sie unterzog die Mauer, die das Tor begrenzte, einer gründlichen Musterung. Kaum zu erkkennen, in Höhe ihres Brustbeines, in die Mauer geritzt... Zwergenrunen. Tikas Zufriedenheit machte Luftsprünge vor Freude. Hier arbeiteten Zwerge, dessen war sie sich nun sicher!
Das Brauereigebäude erschien ihr recht gross bemessen zu sein. Räumlichkeiten, die dem Verkauf dienten, waren für Tika nicht von Interesse, ganz im Gegensatz zum Kellergewölbe. Ihre bisherigen Erfahrungen mit Kellergewölben in Rom waren zwar eher düstere gewesen, doch an dieser Örtlichkeit glaubte sie zu wissen, was sie zu erwarten hatte. Sie bewegte sich zur Rückseite des Gebäudes, auf der Suche nach weiteren Zugangsmöglichkeiten. Eine Rampe, mit Treppenstufen zu beiden Seiten, führte nach unten, wenige Meter weiter war eine massiv wirkende hölzerne Tür von beeindruckender Grösse. Tika betrachtete diese ein Weilchen, untersuchte diese genauer, musste kichern. Hinter dieser Tür war kein Eingang, ein Versuch, diese zu öffnen, könnte in einer bösen Überraschung enden! Sie sah sich weiter bei den seitlichen steinernen Mauern um, stutzte, tastete vorsichtig mit den Fingern, Erinnerungen an Krazaks Lehrstunden wurden wach. Ein feines, kaum hörbares Klicken zauberte ein strahlendes Lächeln in Tikas Gesicht Na also, geht doch!
Tika huschte ins Innere, die Tür schloss sich hinter ihr ohne ihr Zutun. Sie verharrte in der Dunkelheit, spitzte die Ohren, schnupperte. Mit Sicherheit eine Brauerei. Und die brauten hier nicht nur ein Bier, sondern verschiedene Sorten. Vorsichtig bewegte sie sich weiter, gelangte in ein grosses Gewölbe mit zahlreichen Bottichen und grossen Fässern, erhellt von diffusem Licht, dessen Quelle sie nicht zu erkennen vermochte. Eine tiefe Stimme erklang hinter ihr: "Wie bist Du denn hier hinein gelangt?" Tika fuhr herum, sah nach unten, begegnete dem Blick eines alten Zwergen. Endlich mal jemand in Rom, der nicht Kind war und auf den sie herabblicken konnte. Tika lächelte verschmitzt: "Also, ich lehnte nichtsahnend mein müdes Haupt an die Mauer, als diese plötzlich verschwand und ich hier hineingefallen bin. Und da ich nun schon mal hier bin, ist die Gelegenheit günstig, diese Brauerei zu inspizieren. Ich bin nämlich Brauereimeisterin, mit der Aufgabe betreut, in des Imperators Namen die Qualität des hier gebrauten Bieres zu kontrollieren!"
Der Zwerge schnaubte verächtlich: "Brauereimeisterin? Ein Menschenmädchen mit 25 Jahren will Brauereimeisterin sein?" Was immer der Zwerg noch hatte hinzufügen wollen, wurde von Tikas empörter Stimme hinweggefegt, eine Stimme, die immer schriller wurde: "Fünfundzwanzig? FÜNFUNDZWANZIG?? Ich bin doch keine alte Frau!!! Zwanzig Jahre alt bin ich, und ich kann Bier brauen! Mein Lehrmeister war Krazak. Ein Zwerg. Du hast doch hoffentlich schon von ihm gehört?" Wütend funkelte Tika den Zwergen an, der ihren Blick ungerührt erwiderte, und plötzlich zu schmunzeln begann: "Mein Name ist Ahzrdin. Besitzer dieser Brauerei. Du musst Tika sein. Die Vollwaise, die Krazak grossgezogen hat. Wie man hört, hat er sich des öfteren über diese freche Menschengöre bitterlich beklagt. Kein Respekt vor der Weisheit des Alters und eines Zwergen Bart!" Tika holte tief Luft, aber diesmal unterbrach sie Ahzrdin: "Brauermeisterin? Schülerin Krazaks? Dann wirst Du sicherlich Krazaks Bier eindeutig erkennen können!" Der Zwerg erhob sich, Tika hörte ihn hantieren, es gluckerte, kurze Zeit später kehrte dieser mit sechs Bierkrügen zurück. "Eines dieser Biere hat Krazak gebraut. Welches?"
Eine Prüfung... Tika konnte einer solchen Herausforderung nicht widerstehen. Sie roch an den Bieren, verzog bei einem angewidert das Gesicht: "Da hast Du wohl die Reste von ein Dutzend Bieren zusammengemischt, oder?" Ahzdrin grinste breit. Tika widmete sich den fünf anderen Krügen, diesmal kostete sie, überlegte ein Weilchen. Ja, sie war sich sicher: "Keines dieser Biere hat Krazak gebraut!". Sie tippte einen Krug an: "Hier hat jemand versucht, Krazaks Bier ohne Kenntnis von dessen Rezeptur herzustellen. Ein guter Versuch, doch es fehlen noch wesentliche Zutaten. Ich weiss dies, denn Krazaks Bier zu brauen war die Meisterprüfung, die er mir abverlangte!"
Ahzrdin setzte sich auf eine Bank, sein Blick war missmutig: "Wo immer Krazak nun auch weilen mag, ganz gewiss braut er dort sein Bier. Und es wird all jenen, die dort ebenfalls weilen, ein Genuss sein. Aber hier auf dieser Welt? Kein Zwerg wird dieses Bier brauen können, stattdessen ein Mensch. Ein Menschenmädchen, den Kindersandalen kaum entwachsen!" Tika setzte sich neben den Zwergen auf die Bank, Wehmut beschlich sie: "Ich vermisse den alten Nörgler auch!" Sie kicherte: "Da kennst Du Krazak aber schlecht, wenn Du glaubst, er würde zulassen, dass Menschen sein Bier herstellen. Ich war die Erste und bin die Letzte, die dies getan hat. Als Meisterprüfung. Ich habe ihm versprechen müssen, und dies mit ganzem Herzen auch wollen, seine Rezeptur nur an einen Zwerg weiterzugeben und sein Bier niemals mehr selbst zu brauen. Krazaks Bier soll auschliesslich von Zwergen gebraut werden, das ist Krazaks Wille!"
Tika betrachtete mit innerlicher Befriedung Ahzdrins weit geöffnete Augen und dessen Mund, der ebenso weit sich geöffnet hatte, um mit entschlossener Stimme fortzufahren: "Du bekommst von mir die Rezeptur, eigenhändig verfasst von Krazak. Du magst selbst entscheiden, ob Du diese an andere Zwergenbrauer weitergeben möchtest, oder lieber das Monopol auf Krazaks Bier haben willst. Dafür lieferst Du mir eine erstklassige Brauereiausrüstung, regelmässig die Zutaten, die ich zum Bierbrauen brauche, und Krazaks Bier. Dieses nur an meine Taverne, an keine andere von Menschen betriebene Taverne in Rom sonst!" Tika holte das alte, zerknitterte Pergament heraus, hielt es Ahzdrin hin: "Der Handel gilt?"
Der Zwerg reichte ihr eine schwielige Hand, nickte. Tika schlug ein, der Handel war besiegelt. Fast andächtig nahm der Zwerg das Pergament entgegen, entfaltete es, überflog den Inhalt. Leise wahr Ahzdrins Gemurmel "So nah dran war ich, und zugleich voll auf dem Irrweg!" Der Zwerg erhob sich: "Tika, ich danke Dir. Vermutlich auch im Namen all jener Zwerge, für die Krazaks Bier der Inbegriff der Glückseligkeit darstellt!" Ein forschender Blick galt Tikas Gestalt: "Welche Taverne hier in Rom ist denn Deine? Seit wann bist Du eigentlich in der Stadt? Ausserdem... Du siehst, mit Verlaub, ziemlich fertig aus. Wann hast Du eigentlich zum letzten Male geschlafen?"
Tika wurde schlagartig bewusst, wie erschöpft sie eigentlich war. Die Kälte im Gewölbe liess sie frösteln, doch zitterte sie nicht nur wegen dieser, die Erinnerung an die vergangenen Erlebnisse, die stummen Schreie von Augenstern, der eisenharte Griff des Eusebius, die ausgemergelte Gestalt von Lysander und dessen Geschichten über Schattenmädchen, sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, schluchzend brach ein Wortschwall aus ihr heraus, der alle Erlebnisse der letzten zwei Tage beinhaltete, ausgenommen nur, dass Eusebius aus dem Keller der Taverne in diese kam. Ein Versprechen war ein Versprechen, Tika würde ein solches nicht brechen.
Ahzdrin hatte sich Tikas Wortflut ruhig angehört und sich dabei seelenruhig eine Pfeife gestopft. Als Tika verstummte, ergriff er diese sanft an den Schultern: "Hm, Hm, das sind ja viele Geschichten in einem Bierkrug. Zum verrückten Waldläufer also? Auf Anweisung des Imperators dürfen Wagen und Transporte in Rom nur in der Nacht erfolgen, wir liefern kommende Nacht alles, was Du brauchst. Aine kenne ich nicht persönlich, aber zum königlichen Beraterstab der Waldherrinnen gehört auch ein Zwerg, Du kannst dieser Waldherrin sicher vertrauen. Mach Dir mal keine Sorgen wegen dieses Kellers, die menschlichen Baumeister aus Carrara werden den abdichten können, und wenn es schneller gehen soll- hier in Rom gibt es mit Hrazmadul und den Seinigen Zwerge, die wenn Aine sie beauftragt, diesen Keller so abriegeln können, dass nicht mal eine Kakerlake hineingelangt. Ich werde Aine eine Botschaft zukommen lassen, damit sie Bescheid weiss, wo Du bist, was Du erlebt hast, dass wir Deine Ausrüstung liefern und Zwerge sich des Kellerproblems annehmen könnten, wenn Aine dies beauftragt. Du aber gönnst Dir jetzt ein paar Stunden Schlaf!"
Fast willenlos liess sich Tika von Ahzdrin nach oben führen, in ein kleines Gemach, in der eine Bettstatt sie verführerisch anzulächeln schien. Tika kuschelte sich dort zusammen, die Dunkelheit des Raumes in Verbindung mit den tiefen Stimme von Zwergen als Hintergrundgemurmel liessen sie alsbald entschlummern...
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