RE: zum verrückten Waldläufer
In jenem Viertel Roms, in dem die Glaistoren unter sich sein sollten, herrschte eindeutig mehr Nachtleben als im eigentlichen Tavernenviertel. Tika fand diesen Umstand bemerkenswert. Es schien sich, soweit sie es beurteilen konnte, um eine bunte Mischung von Menschen aus allen Provinzen Roms zu handeln, die meisten trugen mit scheinbar grösster Selbstverständlichkeit Waffen. Eine Präsenz der Stadtwache vermochte Tika nicht zu erkennen.
Auf ihrem Weg hatte Tika das Wasser eines öffentlichen Brunnens gekostet. Aine hatte recht gehabt, Rom hatte offenbar eine ausgezeichnete Wasserversorgung, Tika war beeindruckt. Tika efragte den Weg zu 'Des Gladiators Zuflucht' und bekam bereitwillig Auskunft, jene, die ihr begegneten, waren entweder kuriose Anblicke gewohnt, oder eine junge Frau "bewaffnet" mit einem Schürhaken war in diesem Viertel kein ungewöhnlicher Anblick. Vermutlich Letzteres, einige, denen Tika unterwegs begegnete, führten so etwas wie Waffen bei sich, die Tika nicht mit einem Namen bezeichnen konnte.
Sie erreichte den Ort, den man ihr beschrieben hatte. Ein grosser, rechteckiger Platz, der mit einem Flickenteppich aus Grünfläche, Parkanlage, steinerne Flächen mit Bänken und Sandflächen überzogen war. Die Funktion der Sandflächen offenbarte Tika sich auf den ersten Blick, auf einer von diesen kämpften zwei- Tika sah genauer hin, sie hatte es richtig gesehen- zwei Frauen mit blossen Fäusten, angefeuert von einem Dutzend Zuschauern, miteinander. Tika beobachtete die Stenerie eine kurze Weile voller Unglauben, begab sich dann wieder ihres Weges. Mörderische Schläge waren das, für sie hätte einer ausgereicht, um sie von den Füssen zu holen!
Das Gebäude im Zentrum des Platzes wirkte unscheinbar. Sofern darin alle Gladiatoren Roms Zuflucht finden wollten, müsste man diese wohl übereinanderstapeln. Tika betrat das Gebäude und erblickte- eine leere Halle, von der aus breite Treppenstufen nach unten führten. Tika seufzte. Der letzte Weg, den sie in die Untiefen Roms beschritten hatte, bescherte ihr gewiss keine guten Erfahrungen. Tika machte sich auf den Weg in die Tiefe... aus der Stimmengewirr an ihre Ohren Klang.
Tika gelangte in ein steinernes Gewölbe, die Decke bildete ein Halbrund in etwa sechs Meter Höhe, Breite und Tiefe des Gewölbes vermochte Tika nicht abzuschätzen. Der Lärm war unglaublich, zudem quälten Tikas Ansicht nach noch zudem mehrere Personen Musikinstrumente, welcher Art diese auch immer sein mochten, war unerheblich- man sollte diese Instrumente samt der diese bearbeitenden Personen den Löwen in der Arena als Mahlzeit anbieten! Der Geruch schien Tika eine Mischung aus Schweiss, verschüttetem Bier, verbrannten Kräutern und weiteren undefinierbaren Bestandteilen. Ausserdem war es voll!
Tika versuchte sich durch die Menschen hindurchzuschlängeln, blickte sich suchend um, vermochte aber keine Spur von Bruise oder Scar zu entdecken. Die meisten der Anwesenden waren grösser als Tika, und den grössten Teil von ihnen würde sie gewiss nicht selbst mit aller Kraft zur Seite schieben können. Bruise und Scar ragten hier, wenn anwesend, nicht heraus. Mit offenem Mund blieb Tika ob des Anblicks, der sich ihr plötzlich bot, abrupt stehen. Auf einer freien Fläche umklammerten sich zwei Kolosse, bekleidet mit nichts als einem Lendenschurz, sie schienen danach zu trachten, den jeweils anderen von der Stelle zu schieben, frenetisch angefeuert von den Umstehenden. Wenn einer dieser Kollosse auf Tika fallen sollte, wäre sie nur noch ein grosser feuchter Fleck auf dem Steinboden! Kopfschüttelnd arbeitete sich Tika weiter durch das Menschengewimmel, möglichst in jene Richtung, in der der Lärm nicht ganz so ihre Ohren quälen würde.
Ein Durchgang zu einem anderen Raum tat sich vor Tika auf, sie eilte hindurch. Hier war es ruhiger, es gab Sitzgelegenheiten, ein Tresen am Ende dieses Raumes wies auf die Funktion dieser Räumlichkeit hin. Hier war es zwar ruhiger, aber trotzdem voll. Wann schlafen die eigentlich? fragte Tika sich. Entweder waren hier alle Gladiatoren versammelt, die Rom zu bieten hatte, oder es gab weitaus mehr Gladiatoren, als Tika bisher angenommen hatte. Eine heisere Stimme erklang dicht an Tikas rechtem Ohr: "Drei Herzschläge gebe ich Dir höchstens, Schätzchen!" Tika fuhr herum, erbklickte eine hagere Frau, die nur aus Muskeln und Sehen zu bestehen schien, bekleidet mit... einem metallenen Gürtel um die Hüfte, der auch den Schritt schützte, die kleinen Brüste bedeckten knappe metallene Kappen, ansonsten barfüssig und kahlköpfig. Waffen konnte Tika nicht auf den ersten Blick erkennen. Tika stutzte... die Fremde hatte an den Fingern metallene Aufsätze, die wie Krallen wirkten. Tika schluckte, als Entgegnung gelang ihr nur "Bitte was??" "Drei Herzschläge, Schätzchen, dann liegst Du im Dreck der Arena und frisst Staub!" Tika holte tief Luft, doch ein vollbeladenes Tablett mit Bierkrügen, dass durch den Raum zu tanzen schien, fesselte Tikas Aufmerksamkeit.
Die Frau, die das Tablett lässig mit der Linken balancierte, bewegte sich trotz ihrer üppigen Figur mit der Leichtigkeit einer Tänzerin durch die Menge. Tika wusste, dass sie als Schankmaid gut war, aber diese hier, das musste Tika neidlos anerkennen, war eindeutig schon jetzt besser als sie selbst jemals werden würde. Wo hatte der Kerl gerade die hiesige Schankmaid antatschen wollen? Tikas Hand schloss sich unwillkürlich um den nicht vorhandenen Griff ihrer Pfanne. Die Bedienung wich äusserst geschickt mit einem charmanten Lächeln der zugreifenden Hand aus und eilte weiter. Tika wandte sich wieder der der Gladiatorin zu, deutete auf die Schankmaid: "Maximal drei Herzschläge gebe ich Dir, wärest Du an ihrer Stelle. Das Tablett am Boden, in einer Pfütze aus Bier, dekoriert mit Scherben zerbrochener Krüge, in diese Sauerei tropft das Blut des Gastes, dem Du wohl an die Kehle gegangen wärst!" Die Gladiatorin wirkte vollkommen verblüfft, fing dann an, schallend zu lachen, hieb Tika auf den Rücken: "Du gefällst mir, Mädchen. Ich muss mich geirrt haben, Du bist wohl doch keine, die Gladiatorin werden will. Ich bin eine, Du kannst mich Sheeba nennen." Sheeba blickte der üppigen Bedienung hinterher, fuhr fort: "Das ist Orela. Arbeitet hier nur als Vertretung, Amanda und Klaudia servieren hier normalerweise. Aber die beiden regeln draussen gerade eine Meinungsverschiedenheit miteinander!" Tika versuchte wieder Luft zu bekommen, sie war sich nicht sicher, ob der Schlag ihr nicht das Kreuz gebrochen hatte, krächzte: "Mein... Name... ist Tika. Sehr angenehm, die Bekanntschaft Deiner Schlagkraft gemacht zu haben. Weisst Du, wo Bruise und Scar sich aufhalten?"
Sheebas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen: "Wer will das wissen?" Tika lächelte: "Tika will das wissen, niemand sonst weiter." Die Gladiatorin musterte Tika nachdenklich: "Sollte ich Bruise oder Scar begegnen, werde ich es den beiden ausrichten!" Lärm erklang vom Durchgang her, zwei Frauen drängten sich in den Raum, Tika erkannte in ihnen die beiden wieder, die sie hatte miteinander kämpfen sehen. Beide wirkten ziemlich verbeult, grinsten allerdings über beide Ohren. Sheeba war aufgesprungen und eilte zu dem Kreise jener, die sich um die beiden versammelten.
Wenn das Amanda und Klaudia sein sollten, wäre nun die Gelegenheit günstig, ein wenig mit Orela zu plaudern. Tika wartete den Zeitpunkt ab, an dem Orela gerade nichts zu tun hatte, näherte sich dieser, um sie in ein Gespräch zu verwickeln. Geraume Zeit später überflog Tika ihre Notizen, konnte es noch immer nicht glauben. Sie hatte die zweite Schankmaid für die Taverne gefunden. Orela, verheiratet, 30 J. alt. Ehemann Händler, exotische Gewürze, seit einem Jahr verschollen. War auf einem Schiff unterwegs, das nicht zum erwarteten Zeitpunkt zurückkam. Zwei Kinder, Sohn, 13 J., Tochter, 12 J., leben bei der älteren Schwester, die mit Mann und Kindern ausserhalb von Rom ein Weingut/ Bauernhof betreibt. Die Schwester könnte Belieferung mit sehr gutem Wein, Obst, Gemüse sicherstellen. Orela ist an fester Anstellung in Taverne mit ruhigerem Klientel als in 'Des Gladiators Zuflucht' höchst interessiert. 60 Denarii im Monat, freie Kost und Logis, in dem von Aine gekauften, der Taverne benachbarten Haus riefen bei Orela Begeisterung hervor, dann könnte diese ihre Kinder wieder zu sich holen
Blieb abzuwarten, was Aine dazu sagen würde. Tika nahm einen Schluck von dem Bier, das Orela ihr gebracht hatte. Starkbier, und Tika wollte den Schürhaken verspeisen, wenn dies nicht Zwerge gebraut haben sollten. Orela hatte ihr die Brauerei in Rom genannt, die dieses Bier geliefert hatte, diese würde Tika am nächsten Tag mit Sicherheit mit ihrem Besuch beehren! Sie hatte Orela auch nach Bruise und Scar gefragt und als Antwort mit freundlichen Lächeln die Auskunft erhalten, Orela würde mit den Gästen reden, aber keinesfalls über diese. Tika hatte trotz der freundlichen Abfuhr zufrieden genickt, verschwiegen war Orela zu allen anderen gezeigten Qualitäten auch noch.
In der Hoffnung, es könnten Bruise und Scar noch auftauchen, verweilte Tika noch an diesem Ort, und beobachtete das Treiben um sie herum. Nicht nur der Umgangston hier war rauh, die beiden Stammbedienungen verteilten zu den Getränken auch freigiebig Schläge. Orela hatte Tika angeboten, sie könne, wenn sie müde geworden sei, gerne mit in dem kleinen Zimmer übernachten, dass Orela hier zur Verfügung stand. Sobald Tika den Grund ihres Bierkruges zu Gesicht bekam, würde sie das Angebot wahrnehmen...
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