Den ganzen Tag hatte er warten müssen. Er, einer der Senatoren Roms. Er hatte nun wirklich höflich darum ersucht, mit dem Alten Mann, den sie den Prediger nannten, sprechen zu dürfen. Nur wenig hatte er über diesen in Erfahrung bringen können. Vor mehr als zwei Dekaden sollte diese ein viel gerühmter Gladiator gewesen sein. Niemals besiegt, fast abgöttisch verehrt vom Pöbel. Ein Ruf, der längst dem Vergessen anheim gefallen sein sollte. Und doch versammelten sich Tag für Tag um diesen Alten Mann Gladiatoren in wachsender Zahl mit diesem auf diesem Platz, starrten schweigend zum Capitol. Wenn der Alte sprach, klang dies unsinnig. Der Imperator und die Senatoren sollten ihre Champions benennen, die für sie in der Arena kämpften? Welch' vermessenes Ansinnen. Was für eine Narretei...
Die Dunkelheit hatte schon längst über Rom ihren Mantel gebreitet, als zwei Gladiatoren ihn baten, ihnen zu folgen- sie würden ihn nun zum Alten Manne bringen. Diese hatten sich ihm als Angehörige der hiesigen Stadtwache vorgestellt. So weit war es also schon mit Rom gekommen, dass solchen Figuren Autorität übertragen wurde. Kein gutes Zeichen, eher eine Bestätigung dafür, dass es rascher und einschneidender Veränderungen bedurfte. Nichts von seinem Unmut oder seinen Gedanken zeigte sich in seinem Gesichtsausdruck oder Verhalten, er behandelte diese beiden, Zwillinge vom Aussehen, mit höflicher Freundlichkeit, wenn auch ein wenig herablassend, sie sollten schon merken, dass ein Senator sie nicht als Seinesgleichen betrachtete.
Er runzelte die Stirn. Die beiden hatten ihm nicht mitgeteilt, wohin sie ihn zu bringen gedachten. Immerhin waren sie nicht so respektlos gewesen, ihm die Augen verbinden zu wollen, ansonsten liessen sie jeden Respekt vermissen. Das Ziel schien das Kollosseum zu sein, einige Minuten später war er sich sicher. Wahrscheinlich 'residierte' der Alte irgendwo in den Tiefen des Kolloseums, hielt Hof in den Sklavenquartieren...
Sein Annahme erwies sich nicht als zutreffend, seine Führer geleiteten ihn durch das Kollosseum, zu einem der Eingänge zur Arena selbst, deuteteten schweigend auf eine im Sande sitzende Gestalt inmitten der Arena. Zogen sich zurück. Er selbst liess seine Blicke wandern, konnte jedoch in der Dunkelheit bei wolkenbedecktem Himmel nicht erkennen, ob es auf den Zuschauerrängen weitere Anwesende geben könnte. Achselzuckend beschloss er, das Spielchen des Alten Mannes mitzuspielen, aus dem Senat war er durchaus an sehr viel bessere Inszenierungen gewohnt.
Der Alte Mann sass mit ineinander gekreuzten Beinen im Sand, dessen Hände lagen mit dem Handrücken auf dessen Oberschenkeln. Ein Nicken galt ihm: "Senator Fabulantes? Nehmt Platz, wie es Euch beliebt, oder bleibt stehen, wenn Ihr befürchten solltet, Euch zu beschmutzen..." Fabulantes holte tief Luft, verkniff sich die erste Erwiderung, die ihm auf der Zunge lag, liess sich im Sand nieder: "Du bist also jener, den man den Prediger nennt? Ein Alter Mann, längst Geschichte, um den herum sich Gladiatoren scharen. Ich geniesse das Vertrauen des Imperators, dieser begehrt zu erfahren, was Du..." Das verächtliche Schnauben des Alten Mannes unterbrach ihn wie auch dessen Stimme: "Senator, erspart mir und Euch Lügen. Wir sind hier im Staub der Arena, nicht in des Imperators Audienzsaal oder im Senat. Der Imperator vertraut Nichts und Niemandem mehr, nicht mal sich selber. Und Ihr seid hier aus Eigennutz, wollt wissen, was ich bezwecke." Fabulantes starrte den Prediger mit zusammengekniffenen Lippen an, nickte kurz: "Nun gut, so sei es. Der Imperator ist schon lange nicht mehr Herr der Lage in Rom und seinen Provinzen, Rom braucht wahrhaft Veränderungen, und..."
Erneut unterbrach der Alte Mann Fabulantes: "Bevor Ihr Rom verändern wollt, solltet Ihr daran arbeiten, Rom nicht zugrunde zu richten. Denn das ist es, was der Imperator und der Senat gerade im Begriff sind, zu tun. Viele Wege führen nach Rom, doch weitaus mehr Wege in Roms Untergang, und Euresgleichen wie auch der Imperator beschreiten diese gerade. Wendet Euer Gesicht stets der Sonne zu, suhlt Euch in eigenem Glanze, seht die Schatten nicht. Ihr habt Fäulnis und Verderbnis keinen Einhalt geboten, sondern diese auch noch gesät, die Ernte wird furchtbar sein. Kehrt um auf Eurem Wege, das ist meine Forderung, dient Rom, wie Ihr es früher getan habt- das ist meine Botschaft, stumm und leise. Verschliesst weder Eure Augen und Ohren, wie Ihr es zunehmend tut."
Des Predigers Lächeln wurde grimmig: "In der Arena sind Worthülsen nicht gefragt, diese sind und bleiben dem Senat vorbehalten. Damit Eure Fragen, die Euch ins Gesicht geschrieben stehen, eine eindeutige Antwort finden: Die Gladiatoren werden nicht gen Senat oder Imperator sich erheben, und sie werden auch nicht jenen Unterstützung anbieten, deren einziges Streben nach Veränderung in Rom es ist, Imperator anstelle des Imperators werden zu wollen. Ihr scheint vergessen zu haben, dass in Diensten des Imperators jene dienen, die als Gladiatoren in der Arena kämpften und immer noch mit Leib und Seele eines sind- Gladiatoren!"
Fabulantes Augen wurden schmal: "Nun, Deine Worte höre ich wohl, doch mir fehlt der Glaube. Welche Absichten verfolgst Du wirklich, wenn es nicht längst überfälligen Veränderungen in Rom gilt? Ich glaube..." Erneut unterbrach ihn der Alte Mann: "Ich will Euch, die Ihr blind seid, die Augen öffnen, Euch, die Ihr taub seid, wieder ermöglichen, auf des Volkes Stimme zu hören. Rom ist ein Schauplatz- Ihr kommt, könntet sehen, geht aber achtlos vorbei, seht die Zeichen nicht!" Fabulantes seufzte innerlich auf, für einen Gladiator war der Alte durchaus beredt, dessen Worte ergaben aber keinerlei Sinn, dem er selbst hätte etwas entnehmen können, das für ihn von Nutzen gewesen wäre. "Alter Mann, wenn Ihr Euren Weg weiter geht, könnten einige Unschuldige sterben, eventuell sogar der Imperator selbst..."
Der Prediger erhob sich, blickte auf Fabulantes hinab, sein Blick wirkte traurig: "Was wisst Ihr schon vom Sterben, Senator? Oh, vom Leben zum Tode befördert wurden gewiss schon einige, auf Eure Anweisung hin, dem Ansinnen anderer Senatoren, auf Geheiss des Imperators... aber habt Ihr selbst dem Tode ins Auge geschaut?" Der Blick des Alten Mannes schweifte durch die Arena, er hob seine Arme, erhob kraftvoll seine Stimme:
"Manche sterben durch Unfall
Manche sterben durch Krankheit
Manche sterben durch Gewalt
Manche sterben durch Altersschwäche
Manche sterben an Lieblosigkeit-
das ist der schlimmste Tod,
weil man danach noch weiterlebt!"
Fabulantes war ebenfalls aufgesprungen, des Alten Mannes knochige Hand schnellte vor, packte ihn an seiner Toga, zog ihn ganz nahe an sich heran, des Predigers Stimme zischte: "Dem Imperator droht der schlimmste Tod. Dem weitaus schlimmsten Tod, den ich noch gar nicht erwähnt habe, seid Ihr doch kürzlich entkommen, nicht wahr, Senator? Tief unten in den Katakomben Roms, um Haaresbreite. Andere dort... entkamen nicht, starben eines grausamen Todes, so grausam, wie es hier in der Arena noch niemals gab..."
Des Senators Gedanken rasten
Woher stammte des Alten Mannes Wissen? Wer hatte ihm das mitgeteilt? Dieser Mann musste über Spione in seinem näheren Umfeld verfügen!. Der Griff des Predigers lockerte sich, liess ihn wieder frei atmen, doch dessen Stimme verstummte nicht: "Nun, Senator, blicke gen Himmel. Die Wolken haben sich zurückgezogen, lauern nun am Rande Roms. Über Rom siehst Du nun den vollen Mond, blutrot, und wenn Du Deine Blinden Augen öffnen könntest, könntest Du sehen, das Gesicht, das blutrote Tränen weint. Aber Du bist blind, kannst es nicht erkennen. Doch fühlen kannst Du gewiss. Greife in den Sand, der die Arena bedeckt, und spüre...!"
Des Alten Mannes Stimme verklang, Fabulantes blickte gen Boden, bückte sich, seine Hände tasteten durch den Sand. Dieser war... feucht. Er hob seine Hände, keuchte entsetzt auf, selbst im schwachen Licht des Mondes konnte er erkennen, dass seine Hände blutverschmiert waren... seine Blicke irrten umher, in der gesamten Arena schien der Sand von Blut getränkt... nein, von Blut verdrängt, das von unten anzusteigen schien. Fassungslos starrte er den Alten Manne an, der grimmig lächelte: "Das erste Zeichen der Apokalypse, die Rom droht. Nein, Senator, das ist ganz gewiss nicht etwas, das ich bewirkt habe, ganz gewiss nicht. Dieses liegt nicht in meiner Macht. Um etwas auszurichten, muss man manchmal etwas hinrichten... sich selbst. Dieses ist das Einzige, das in meiner Macht liegt..." Der Alte Mann kehrte Fabulantes den Rücken zu...
Fabulantes betrachtete fassungslos die Arena, in der ein Meer von Blut wogte, im Scheine des Mondes.
Das kann nicht sein, ich muss träumen- ein Albtraum. Eine sanfte Berührung an seinen Schultern liess ihn zusammenzucken- die Zwillinge. Deren Aufforderung, ihm zu folgen, kam er diesmal gerne nach, diesem ihm nun unheimlich erscheinenden Orte zu entkommen, war sein momentan einziges Anliegen. Er folgte den beiden, in das Innere des Kolloseums, fast apathisch, hielt inne, als seine Füher innehielten, sah die Gestalt, die sich aus den Schatten löste auf ihn zukam
Ihr Götter, nein, nicht der, verschont mich vor allem Übel, aber vor allem vor dem.... Eine Stimme, mit sardonischem Unterton, erklang, Fabulantes als Beweis dafür ausreichend, dass diese Worte ihm gewiss nicht wohlgesinnt waren. wie auch mitnichten die Götter, die sein stummes Gebet ignoriert hatten...: "Ah... Senator Fabulantes. Euer Gesuch um Audienz beim Imperator wird an diesen gewiss weitergeleitet werden. Der Imperator ist ein vielbeschäftigter Mann, er wird es Euch wissen lassen, wann er Euch empfangen kann. Seid solange mein Gast, für Speisen und Trank ist gesorgt, Zeitvertreib bereiten Euch gewiss Eure eigenen... Fantasien!"
Fabulantes musterte voller Entsetzen, was ihm die Stimme als Speis und Trank offeriert hatte. Samt der Unterkunft, die er als Gast beziehen sollte. Eines war ihm nun klar geworden- was immer er an Plänen verfolgt hatte, konnte er vergessen. Entweder war er auf Seiten des Imperators, sollte dieser bereit sein, ihn zu empfangen- oder er war ein toter Mann, der an Altersschwäche in dieser Zelle sterben würde...