Die sommerliche Brise auf den Straßen Roms wallte sofort in den Raum hinein, als die Tür der Taverne sich öffnete. Einen hellen Streifen beißenden Lichts in das Dunkel des Schankraums werfend folgten der Blendung zwei Gestalten in hellen Kapuzenmänteln. Sie waren beide von menschlicher Statur und scheinbar weiblich - ihr Gang verriet eine graziöse Abstammung einer weiblichen Kultur, Jägerinnen und Kriegerinnen, aufgewachsen auf dem Pferd und zu Hause in den grünen Tälern des Nordens. Lediglich die größere und scheinbar jüngere der Beiden schlug ihre Kapuze zurück, und schien sich nur kurz und aufmerksam in der Taverne umzusehen, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte und das Dunkel im Raum wieder aus alle Ecken zurückdrang. Ihr Gesicht war schmal und zierlich, doch in ihren Augen glomm nachdenklich ein dunkles Licht. Mit langen und bedächtigen Schritten näherte sie sich einem der Tische, an dem einige wenige Personen in mehr oder minder tiefreichende Gespräche verwickelt waren. Als sie sich der Aufmerksamkeit der Anwesenden sicher geworden war, nahm sie ohne zu fragen Platz und lehnte sich still zurück. Ihr Blick schien scheinbar jeden einzelnen zu mustern, abzuwägen, ob zu bleiben sinnvoll sein würde. Ob das zu Vermittelnde hier in diesen Räumlichkeiten genügend verstanden werden würde. Nach einer Weile nickte sie leicht, zog einen Stuhl neben sich zurück und winkte ihre Begleiterin herbei. Diese hatte auf dieses Zeichen gewartet und nahm nun ebenfalls neben ihr Platz. Ihr Gesicht war im Schatten ihrer Kapuze verborgen, doch kam der aufmerksame Beobachter nicht umhin, ihr ein hohes Alter zuzuschreiben und ihren scharfen Blick im Nacken zu spüren.
Inzwischen war es um die beiden Neuankömmlinge still geworden. Die Ältere der beiden räusperte sich leicht, wie um ihre gebrechlichen Stimmbänder auf eine etwas längere Anstrengung vorzubereiten. Dann erhob sie ihre Stimme, und viele wären überrascht ob der Tiefe und gleichzeitigen Klarheit, in welcher ihre Worte erklangen. Wenn ihre Stimme dem Zuhörer entgegenschwamm, berührten sie den Tisch und das Holz in ihm, brachte es zum vibrieren und ließ es leise ächzen. Gespannt folgten die Anwesenden der Erzählung.
"Was ich zu erzählen habe, stammt aus gelaufener Zeit und ist dennoch nicht auf Papier verewigt. Es ist jedoch eine Geschichte, welche uns alle betrifft und das Leben vieler Menschen Roms in ihren Händen trägt. Niemand kann sagen, wie sie enden wird, doch wissen wir alle, dass sie es muss. Meine Aufgabe ist es, ihr Geschehen in die Welt zu tragen, ihren Fortschritt einzubrennen in die Gemüter jener, welche ihre Seele dem Kampf zwischen Gut und Böse verschrieben haben. Jene aufzufordern und zu ermutigen, ihren Teil beizutragen. Ich erzähle Euch die Geschichte eines stürzenden Schicksals; einer notwendigen Wiedergeburt und dem Kampf um die Linie der richtigen Hälfte eines Ganzen." Die Amazone, nichts anderes war sie - das war jedem nun bewusst - hielt kurz inne, um das Ende des Gemurmels im Raum abzuwarten. Dann fuhr sie fort, zu erzählen.
"Einst existierten zwei mächtige Drachen in unserer Welt, ihre Namen verbreiteten Schrecken, aber auch Vertrauen. Ihre Macht war so groß, dass sich ihnen ganze Völker der Orks und Goblins unterwarfen, doch auch Menschen und Elfen opferten sich für die Beweggründe dieser großen Herrscher. Wer von ihnen wusste, ward sogleich Teil dieses tödlichen Bannes und Flucht durch Tod war nicht immer eine Lösung. Doch wie es uns die Geschichte unserer Welt immer wieder zeigt, arbeiteten die beiden Drachen nicht Seite an Seite, sondern bekämpften sich gegenseitig in bitter entschlossenen und zerstörerischen Metzeleien. Städte und ganze Langstriche fielen diesen blutigen Feldzügen zum Opfer, doch waren sie nicht aufzuhalten - Hass wuchs immer stärker heran und machte jene blind, welche die Fäden in der Hand hielten. Tötete jene, welche sich den Fäden versprachen und an sie glaubten. Jener Drache, welcher seinen Gefolgsleuten das Leben zu erleichtern versprach, hieß Serengarth. Seines Wappens ein silberner Drache, folgte er dem Schicksal im Glauben an das Gute auf der Welt. Seine Untertanen kämpften für ihn mit dem Blick in eine erleuchtete Zukunft. Mit der Gewissheit, eines Tages das Schwert niederlegen zu können, um sich den Dingen des Lebens zu widmen - in all seiner Pracht und Wärme. Ihnen gegenüber stand lachend Ruffinio, der rote Drache, mit geballter Gewalt und der Lust am Morden. Willenlos nutzte er die Masse seiner Leute, um Probleme aus der Welt zu schaffen und seine Ziele durchzusetzen. Blut war sein Element, die Qual der Seelen in seinem Reich seine grundlegende Motivation. Chaos herrschte mit ihm und das war seine Stärke.
Lange Epochen voller Tod und Niederlage zogen über das Land. Sobald Ruffinio sein Schwert blutig in das Herz fremder Länder trieb, gelang es Serengarth, durch List, Weisheit und dem Ziel des Glücks vor Augen, das Temperament und die ungeheure Lebenslust seiner Gläubiger als Werkzeug zum Rückschlag zu verwenden. Doch als sich das Böse eines Tages aufbäumte und Ruffinio diese Zeit den silbernen Drachen und alle, bis auf einen seiner Jünger, zu besiegen schien, ist es ein verzweifelter Zug eines tapferen Helden, halb Mensch, halb Elf, ein Schützling Serengarths, welcher den Fokus dieser Geschichte auf sich zieht. Im Grunde genommen war es vielmehr dessen Tochter, da sie ihm mehr bedeutete als die ungefähre Gewissheit, eventuell einmal in Ruhe leben zu können. Ihretwillen wurde es dem Mann zur Pflicht, ein für alle Male das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse zu kippen, um die Sonne auf den Lebensweg seines Mädchens scheinen zu lassen - bis in alle Ewigkeit und nur überblendet von der Schönheit seiner Frau. Derjenige, welcher für diese Vision aus dem Weg geräumt werden musste, war Ruffinio persönlich. Den roten Drachen zu töten bedeutete, die Apokalypse ein für alle Male zu verhindern, nie wieder in Angst und Schrecken zu leben, dem Licht nie mehr Einhalt zu gebieten. Noch niemand ahnte, dass nur seiner Tochter dieses prophezeit war. So kam es, dass der geblendete Held im guten Glauben und der liebenden Hoffnung das Unschaffbare wagte und tatsächlich zu siegen vermeinte - gar mit dem Glaube an die Vollendung seiner Sehnsucht heimkehrte. Doch wich die Blendung von ihm und Wunden des Kampfes nahmen ihm in den Armen seiner Geliebten das Leben aus den blauäugigen Augen. Mit dem Gedanken an eine gewendete Zukunft glitt die Seele des Helden zu seinen Ahnen.
Das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse konnte jedoch nicht gestört werden. Ruffinio lebte. Er lebte und fuhr fort, seine Verantwortung der Dunkelheit zu erfüllen. Weiterhin starben Unschuldige, süßes Blut floss in Strömen und scheinbar schien Serengarth geschwächt. Der Vorstoß eines Sonderlings gegen das Schicksal hatte die Zerstörung seiner Werte zur Folge... Der rote Drache hatte nämlich durch den Tod des Helden erfahren, was es mit der lauernden Gefahr der Hinterbliebenen auf sich hatte. Er schickte auf der Stelle eine ausgewählte Handvoll seiner besten Krieger und einen Magier auf die Suche nach der Frau und dem Kind des gefallenen Schützen Serengarths. Die Ahnen des in Zuversicht schwelgenden verstorbenen Helden stöhnten auf und wanden sich in Trauer, rangen die Hände und sahen sich in Ratlosigkeit und Wut ob der Gefahr des Todes seines Mädchens; einem Wesen, dessen Prophezeiung das Ende der Gegensätze vorschrieb. Es durfte so nicht geschehen, keine Macht konnte ein solches Ungleichgewicht heraufbeschwören. Der rote Drache musste gehindert werden.
Ruffinios Atem wurde somit die Rechtfertigung für das Schlagen des Herzens unseres Heldens; welcher zurückkehren sollte auf Erden um zu beenden, was er einst begann. Jene, welche ihr Augenmerk auf den Verlauf der Geschichte bis hierher gelegt hatten, waren sich jedoch noch immer der Bedrohung durch die ausgesandten Krieger Ruffinios bewusst. Diese befanden sich bereits seit Monden auf teils erfolgreicher Suche nach des Heldens Frau und Tochter... zuletzt hatte man ihre Erscheinung auf den Handelsrouten südlich Minas Bellorums gesichtet..."
Die Erzählerin verstummte. Ihre zierliche Gestalt beugte sich zu der anderen, jüngeren Amazone und flüsterte ihr scheinbar etwas zu. Kurz darauf nickte diese ernst und stand auf.
"Es ist an der Zeit für uns, wieder zu gehen. Im Namen der Uma Soona und dem Orden der Rose wünsche ich allen Anwesenden, dass sie weder Zeit noch Ehre scheuen, um sich entweder dem Schicksal der Geschichte zu beugen oder aber selbst einzugreifen. Was auch immer Ihr tun werdet, Uma und Ares werden ihre Hand über Euch halten. Meine Schwester hier wird ihren Weg forsetzen und die Erzählung in anderen Stätten Roms fortsetzen. Auch dabei seid ihr recht herzlich willkommen." Sie half ihrer Begleitung, aufzustehen und ließ dann ihre Hand in ihren Mantel gleiten, um ein kleines Pergament hervorzuholen. Dieses ließ sie auf die Mitte des Tisches fallen und wandte sich dann ab. Einige Augenblick später hatten die Amazonen die Taverne wieder genauso schnell und lautlos verlassen, wie sie sie betreten hatten.
Auf dem Pergament war in zierlichen Zeichnungen eine Wegbeschreibung aufgemalt, welche scheinbar den Weg in den Orden umschrieb.
Minas Bellorum war dort als zentrale Stelle markiert und mit einem roten Drachen umschlungen... auch fand sich dort eine merkwürdige Zeichenfolge wieder: erzaehler@meine-wahrheit-deine-wahrheit.de .