Lange war es her, dass sein Vater den Weg in die Hauptstadt auf sich genommen hatte. Viel hatte er über die einstige Herrlichkeit gesprochen, die er dort als kleiner Junge gesehen hatte. Und oft hatte er in den Erinnerungen geschwelgt, die ihm und seinen Vorvätern aus seiner Zeit am Hofe des Imperators geblieben waren. Zwar hatte schon sein Vater nicht mehr im imperialen Dienst gestanden, doch dessen Vater hatte ihn mitgenommen, wenn er den Palast und die Hallen der Wache aufgesucht hatte. Als er den Dienst quittierte, hatte ebendieser Großvater auch der Hauptstadt den Rücken endgültig zugekehrt. Und auch sein Sohn hatte sich ferngehalten. Nur selten, wenn die Sehnsucht nach den Plätzen der Kindheit zu sehr drückte, war er aufgebrochen, hatte sich bei Dunkelheit in den Straßen umgesehen. Aber es war nicht mehr der Glanz seiner Kindheit, den er dort fand.
Nun stand der Enkel des damals aus dem Dienst ausgeschiedenen Wächters vor den Toren der Stadt. In seiner Heimat, in Winterfell, hatte er vor wenigen Monaten die Nachfolge seines verstorbenen Vaters als Senator und Oberster Handelsherr angetreten. Beim Durchstöbern der Unterlagen seines Vaters hatte er die Aufzeichnungen seiner nächtlichen Ausflüge gefunden. Nun war er neugierig, wie die Stadt denn sein würde.
Als erstes wandte er sich dem Markt zu. Vor langer Zeit, noch bevor seine Familie dem Imperator diente, sollte nach den Überlieferungen hier ein buntes Treiben geherrscht haben. Sein Großvater und auch sein Vater hatten jedoch von einem ständig weiter verfallenden Flecken berichtet, an dem sich nur noch Kriminelle tummelten. Er wollte nun sehen, ob er wenigstens einen Rest der Bauten erspähen konnte, die einst der wirtschaftliche Kern des Reiches gewesen sein sollten. Viel erwartete er nicht.
Umso erstaunter war er, als er näherkommend immer mehr die Geräusche vernahm, die er auch von seinem Markt daheim in Winterfell kannte. Und als er den imperialen Markt erreichte, dort eine Vielzahl von Ständen erspähte und erkannte, dass dem Verfall in diesem Bezirk deutlich Einhalt geboten worden war, ging ihm fast das Temperament über. Zwar hatte er keine Imperiale Handelsvollmacht, da er nie erwartet hatte, diesen Prunk zu Gesicht zu bekommen, aber er ging von Stand zu Stand und bewunderte die ausgestellten Waren. Dabei entging ihm nicht, dass an vielen Ständen auch - oder vielmehr vor Allem - Gesuche zu finden waren. Scheinbar gab es doch gewaltige Knappheit in den Reichen. Interessiert notierte er sich einige der Anfragen.
Als nächstes wollte er die alte Wirkungsstätte seiner Vorfahren besuchen: Die Halle der Werber. Lange Zeit sollte hier die Ordnung nur durch eine Schar von Wächtern aufrecht zu erhalten gewesen sein. Im offenen Forum, welches durch die Anschläge der Allianzen umringt wurde, sollten nicht nur verbale Kriege angezettelt worden sein.
Auch hier war er ob des friedlichen Beieinanders irritiert. Hier und da wurde etwas hastig gesprochen, auch das eine oder andere harte Wort schien in der Luft zu hängen. Aber Alles in Allem gab man sich friedlich. Allerdings musste er breit grinsen, als er sich die Reglements der Halle versuchte durchzulesen. Sein Vater hatte ihm noch berichtet, dass diese an verschiedenen Orten aushingen: An den Trennlinien zwischen den verschiedenen Gesinnungsrichtungen. Auch hatten früher nur wenige das Recht besessen, einen Aushang zu eröffnen. Jetzt fand er nur noch eine Tafel mit Regeln. Diese hing nahe beim Eingang und erlaubte scheinbar jedem wahllos seine Offerten an die Wand zu meißeln. Mal abgesehen davon, dass er beim Studium der Regeln den Eindruck hatte, dass so mancher diese nicht wirklich ernst nahm. Dies schloss er aus der Beobachtung, dass selbst auf dieser einst heiligen Tafel Witzbolde Kommentare hinterlassen hatten, die nach den Schildurungen seines Großvaters früher als Blasphemie abgeurteilt worden wären. Großvater, zum Glück musstest Du das nicht mehr erleben murmelte er vor sich hin. Aber schön friedlich ist die Halle.
Es sollte reichen. Langsam wandte er sich dem Ausgang zu und dachte kurz darüber nach, noch eine Taverne heimzusuchen. Doch schob er diesen Gedanken beiseite. In Winterfell wartete man auf ihn. Mit dem Wirtschaftsrat musste noch abschließend ein Gildenmeister für die bauern diskutiert werden. Und dies hatte er schon zulange vor sich hergeschoben.
Auf dem ersten Hügel ausserhalb der mauern blickte er sich um. So übel war es doch gar nicht. Winterfell ist zwar heimischer, wärmer und schöner. Aber ab und zu werde ich wohl trotzdem hier wieder einkehren. Nachdem er diese Worte vor sich hingesprochen hatte, machte er sich endgültig auf den Heimweg.
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