Hämmernde Schmerzen jagten durch Kjaskars verletztes Bein, als er sich ein weiteres mal erfolglos gegen die Fesseln stemmte. Das Hanfseil lag eng an seiner Brust, seiner Hüfte und – die Barbaren hatten eine erstaunliche Begabung, jemanden an der Flucht zu hindern – mitten über die tiefe Wunde auf seinem rechten Oberschenkel.
Erschöpft, dafür umso grimmiger pumpte er die Luft wieder aus seinem Körper und entspannte sich in den Fesseln, so gut es ging. Sein Blick fiel auf die erwachende Babe, die ihm ein aufmunterndes Lachen zuwarf. Diese simple Geste hätte ihn beruhigen sollen – der Anblick der blutunterlaufenden Zähne in ihrem Mund, folge der rauen Behandlung ihrer Häscher, ließ ihn sie jedoch nur anstarren. Schließlich rang er sich selber zu einem kurzen Lächeln ab, welches sich schnell in eine Grimmasse verwandelte – wer versuchte hier eigentlich wem was vorzumachen? Entmutigt ließ er den Kopf erneut hängen und dachte an die Situation, in der sie beide gerade steckten.
Der Kampf an der Brücke hatte ein jähes Ende gefunden, als Babe von den Barbaren niedergeschlagen wurden. Er hatte es nur aus den Augenwinkel wahrgenommen, aber als er sich entsetzt umsah und die höhnisch winkenden Männer sah, die Babes Dk`tagh an die Kehle der Kriegerin hielten, fiel sein Widerstand. Zwei Wölfe rissen ihn zu Boden und tobten sich mit ihren Krallen auf seiner Brust aus, während er mühsam versuchte, ihre Kehlen von seinem Kopf fern zu halten. Die Männer, die schließlich die Tiere fortrissen, behandelten ihn nicht sanfter. Schläge und Tritte prasselten auf ihn ein, bevor er halb bewusstlos zu ihrem Lager gezogen und an einen Baum gefesselt wurde. Babe wurde neben ihm gelegt – entweder glaubten sie, dass eine Frau nicht imstande wäre, sich aus den Fesseln zu befreien oder das sie zu angeschlagen war. Wahrscheinlich vertrauten sie auch den Wölfen, die wachend um die beiden Gefangen lagen und sie nicht aus den Augen ließen. Und bei den Göttern, wir kommen hier auch nicht so einfach weg! dachte sich Kjaskar verbittert.
Es war töricht von ihnen gewesen, die Eindringlinge – um nichts anderes konnte es sich handeln – in einem Sturmangriff überwältigen zu wollen, mit nur zwei Leuten. Nun lagen sie hier, überwältigt und gefesselt, mit Ausblick auf eine ungewisse Zukunft.
„Warum haben sie uns gefangen genommen?“
Babes Stimme klang rau und krächzend. Sie hatte sich etwas zur Seite gerollt, begleitet von einem bösartigen Knurren der Wölfe. Kjaskar sah zu den weiter entfernt stehenden Barbaren, die gerade damit beschäftigt waren, die Ausrüstung ihrer Gefangenen zu inspizieren. Laute, aggressive Worte wurden zwischen ihnen gewechselt, während sie sich um die Beute stritten. Zwei stämmige Männer klammeren sich an zwei Enden der Orknase fest und gestikulierten mit der freien Hand wild.
Der Hüne zuckte mit der Schulter.
„Ich weiß es nicht. Wenn sie uns nicht umbringen, haben sie wohl noch was mit uns vor... und ich befürchte, dass wird nichts angenehmes sein...“
Er verschwieg der Kriegerin die rauen Sitten und Spielchen, die bei einigen Barbarenvölkern im hohen Norden praktiziert wurden – keiner ihrer Opfer überlebte diese Behandlung lange. Obwohl es nichts brachte, sträubte sich Kjaskar erneut gegen seine Fesseln. Der Druck auf seine Wunde nahm sofort wieder ein unerträgliches Ausmaß an, was von einem wütendem Knurren der Wölfe begleitet wurde. Einer der Barbaren sah das und schritt mit einem bösen Lachen auf die beiden Gefangen zu. Der große, dunkelhaarige Mann wirkte feist und stämmig. Die Art, in der er sich bewegte ließ jedoch vermuten, dass der Barbar weit weniger unbeweglich war als er mit seinem Äußeren zu vermitteln versuchte. Mit zusammengekniffenen Augen blieb er einen Moment stehen und betrachtete die beiden Gefesselten, bevor er zum sprechen ansetzte. Seine Worten klangen kehlig und heiser, und seine Gemeinsprache, die im hohen Norden üblicherweise gesprochen wurde, war brüchig.
„Ihr jetzt Besitz von Gromm und Männern. Sein unser Eigentum! Wir mit euch machen, worauf wir Lust haben!“
Er lachte rau auf, als hätte er gerade einen guten Witz gemacht. Seine Händen umfassten seinen gewaltigen Bauch, der sich bei jedem Lachen hin- und her bewegte. Nach einem Moment fasste er sich wieder und winkte zwei Leute zu sich und deutete auf Babe. Kjaskar entgingen nicht die lüsternen Blicke, die sie über ihre Figur warfen und wandte sich unbeherrscht in den Fesseln auf.
„Fass sie an, und du bist ein toter Mann, das schwöre ich dir bei allen Göttern, die du kennst!“
Seine Stimme war leise, fast wie ein flüstern, als er Gromm unter einem Vorhang seiner Haare und Gift sprühenden Augen ansah. Der Barbar fing erneut an zu lachen, hielt aber seine Männer zurück.
„Du sein lustig, blonder Bursche! Bringen Gromm zum lachen, wir das komisch finden! Was willst du denn machen, Blondling?“
Gromm trat einen Schritt auf den Hünen zu, steckte seine Daumen in seinen Gürtel und sah den Nordmann herablassend und herausfordernd zugleich an. Kjaskars Augen verengten sich noch mehr, dann spie er den Barbarenanführer an. Für einen Moment herrschte ein ungläubiges Schweigen, als selbst die weiter entfernt stehenden Barbaren in ihren Streitereien inne hielten und zu ihrem Anführer starrten. Dessen Gesicht verzog sich unmerklich. Schneller als man es ihm zugtraut hätte holte er mit der Faust und schlug sie seitlich in das Gesicht des Hünen, das mit der Wucht des Schlages zur Seite gerissen wurde und anschließend kraftlos mit dem Kinn auf der Brust des Hünen glitt. Kjaskar spuckte Blut zu Gromms Füssen, bevor er ihm wieder ins Gesicht sah.
„Mach mit mir, was du willst, du fetter Sohn einer räudigen Hündin, aber rühr sie nicht an!“
Seine Worte klangen trotzig, trotziger, als er sich zu fühlen schien. Seine Augen suchten mit glasigen Blick die des Barbaren und fanden sie schließlich. Dieser starrte ihn einen Moment ungläubig an, bevor er kurz böse auflachte.
„Du spaßig sein, Blondling. Wir noch wollen viel Spaß mit dir haben. Spielen wir!“
Ein gemeines Grinsen stahl sich in Gromms Gesicht, als er zur Seite trat und seine beiden Männer an ihm vorbeiließ. Kjaskars Gesicht zuckte kurz, was der Barbar bemerkte.
„Und wenn wir fertig mit dir – und wir sein schnell fertig mit Spielen, glaube mir - das Weib als nächstes dran ist mit spielen. Oh, wir noch viel mehr Spaß mit ihr haben werden, wir denken...“
Er leckte sich über die Lippen, während er Babe musterte und schritt anschließend lachend davon. Die beiden Männer banden Kjaskar vorsichtig von dem Baum, sorgsam darum bemüht, dass er die Beine und Hände gefesselt behielt. Anschließend schubsten sie ihn nach vorne, woraufhin er aufgrund seiner umschnürten Beine direkt zu Boden fiel. Raues Lachen begleitete seinen Versuch, wieder aufzustehen. Nach einem Moment riss ihn einer der Männer hoch und schob ihn zu dem Lager, während die Kriegerin wie ein Sack auf die Schulter des anderen Mann gehoben und mitgenommen wurde.
Die Gruppe führte sie zu dem provisorischen Lager der Barbarengruppe. Knochen von längst verspeisten Mahlzeiten lagen überall herum und unterstrichen das allgemeine Chaos, dass die Eindringlinge in dem kleinen grünen Fleck inmitten des Berges angerichtet hatten. Gromm schritt mit seinem bösartigen Lächeln auf den Hünen zu, einen schließbaren Stahlring, der mit einer langen Kette verbunden war, mit sich führend. Er blickte Kjaskar in die Augen, als er den Stahlring um dessen rechtes Handgelenk legte und zuschloss. Kommentarlos drehte er sich um, deutete den Barbaren, der Babe immer noch wie ein Sack auf den Schultern hielt an, sie herabzulassen und trat weiter weg.
„Lasst sie herab, sie sehen sollen was mit Blondling passiert. Er jetzt spielen mit unserem kleinen Liebling – kleiner Liebling schon lange niemanden mehr zum spielen gehabt hat!“
Ein schauriges Heulen erklang wie auf ein verabredetes Zeichen. Die drei Wölfe, die mit den Gefangenen zum Lager mitgetrottet waren, legten sich mit dem Heulen hin und knickten den Schwanz ein. Eine Silhouette trat von außerhalb des Lagers auf die Gruppe von Mensch und Tier ein und entblößte sich zu einem majestätischen Wolf von riesigem Ausmaß. Von Kopf bis Schwanz strömte er ein Gefühl von Macht, Überlegenheit und vor allem Gefahr aus. Gromm schritt lachend auf ihn zu, so als ob es sich um einen Schoßhund handeln würde, legte seine Hand mit dem anderen Ende der Kette in das Genick des Tieres und band es dort an einem Halsring fest.
„Braves Tier du sein – bekommen was feines zu spielen! Schon lange nicht mehr Spaß haben. Das Dorf liegen nun auch schon wieder so lange zurück, ja ja...“
Triumphierend trat er zurück zu Kjaskar und streckte dabei die Arme aus. Ein Messer lag in seiner rechten, dass er gefährlich nahe vor dem Gesicht des Gefangenen hin und her fahren lies.
„Unser kleiner Wolf sich seitdem schrecklich gelangweilt haben – vielleicht du ja für ihn etwas Aufmunterung sein.“
Das Messer fuhr blitzschnell über die linke Wange des Hünen und hinterließ dort eine klaffende Wunde. Kjaskar funkelte den Barbarenhäuptling an – hätten Blicke töten können, wäre Gromm durch Hunderte von Höllen marschiert. Schließlich ging er hinter den Nordmann, schnitt ihm die Fesseln los und trat ihn die Kniekehle, worauf Kjaskar zu Boden ging. Abwertend warf Gromm das Messer vor ihm und schritt etwas davon.
„Du spielen. Einfache Regeln – das Ende der Kette, was am Ende noch atmet, gewonnen hat. Du mir mehr Freude machen als letztes Mal – dreckiger Zwerg war ein Spielverderber, pah! Die hohen Herren ihn falsch eingeschätzt hatten – das mit dir nicht mir passieren!“
Kjaskar blickte überrascht auf und sah Gromm an.
„Welcher Zwerg? Und was für Herren? He, wen meintest... uff!“
Ein Ruck ging durch die Kette, als der Wolf an dem anderen Ende einige Schritte zurückschritt und den Hünen auf den Knien mitschliff. Ein Knurren erklang, während das Tier in mit vor Intelligenz funkelnden Augen ansah. Gerade noch rechtzeitig bemerkte Kjaskar, was sein Gegner mit ihm vorhatte und griff im letzten Moment nach dem Messer, von dem er zusehends entfernt wurde. Der Wolf heulte enttäuscht auf und sprang nun in schnellen Sätzen auf ihn zu. Fieberhaft begann der Nordmann seine Chancen zu überschlagen, bevor er mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck sein Kinn vorstreckte. Mit fest in den Boden gerammten Beinen wartete er auf seinen tierischen Gegner, welcher sich mit jedem Schritt mehr zu einem wahren Berg an Muskeln und Fell abzeichnete. Ein letztes Mal setzte er auf und sprang dann mit einem gewaltigen Satz gegen den blonden Menschen.
Kjaskar hatte den Moment genau abgewartet. Das Tier sprang ihn an, riss ihn mit der Wucht seines Fluges nach hinten und zu Boden. Die Ohren des Nordmannes klingelten, als sein Kopf aufprallte und er wütend gegen die plötzlich auftauchende Schwärze ankämpfte. In dem Gewühl des Aufpralls warf er zeitgleich den Dolch zu der liegenden Babe. Die Götter mochten entscheiden, ob die Waffe sie erreichte und sie niemand sah. Weiter konnte Kjaskar nicht weiter denken, als seine ganze Welt sich nur noch um Krallen, spitze Zähne und brennende Schmerzen zu drehen begann....
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