„Mal den Teufel nicht an die Wand,“ murmelte Babe, trat aber zurück, um Ecthelion den Vortritt zu lassen. Sie würde es niemals zugeben, aber auch ihr Magen zeigte beim Anblick in die Tiefe Unbehagen. Der Grund lag an dem unausweichlichen – hatte man einmal den Halt verloren, dann fiel man, bis man irgendwo aufplatzte. Bei einem Kampf konnte man sich wenigstens auf seine Fähigkeiten verlasen oder darauf, dass der Gegner Mitleid hatte. Aber bei einem Felsen...
Babe wartete, bis der Elf einige Meter vor ihr in die Tiefe gestiegen war. Erst dann löschte sie die Fackel und steckte das warme Holz in ihren Rucksack. Es war noch heiß und Babe spürte, wie ihr ein Teil ihrer Haare versengt wurden. Der Geruch von verbrannten Haaren stieg in ihre Nase, was sie mit einem leisen Fluch quittierte. Gleich darauf zuckte sie mit den Schultern. Wenn das einzige, was sie hier verlor, ein paar Locken waren, dann konnte sie sich glücklich schätzen. Mit diesem Gedanken legte sie ihre Hände um das Seil, nahm es anschließend zwischen ihre Beine und stieg langsam nach unten.
Das Seil spannte sich und gab ein Geräusch von sich, dass die Kriegerin an ihre eigenen, zum Zerreißen angespannten Nerven erinnerte.
Unwillkürlich biss Babe die Zähne zusammen, während sie sich mit ihren Füßen langsam an der Wand hinuntertastete, immer auf der Suche nach einem kleinen Vorsprung, auf dem sie sie absetzen konnte.
Nach wenigen Metern riskierte sie einen Blick nach unten. Im Halbdunkel konnte sie erkennen, wie Ecthelion am Seil baumelte. Seine Füße mussten an der Wand abgerutscht sein weshalb er er nun in der Luft hing, nur von seinen kräftigen Händen gehalten, die sich um das Seil klammerten. Entsetzt stieß Babe den Namen des Elfen aus, worauf dieser mit einem gequälten Stöhnen antwortete.
Die Kriegerin spürte, wie das Seil unter ihren Händen vibrierte. Ecthelion musste mit seinen Füßen verzweifelt nach einem Halt suchen, denn es schlingerte hin und her, so dass auch sie um ihren Stand fürchtete.
„Vorsicht!“ rief sie hinunter. In ihrer Kehle wurde es eng und ihre Augen versuchten, das Dunkel unter ihr zu durchdringen. „Und ruhig, bleib ruhig – nicht hektisch reagieren. So machst du es nur noch schlimmer.“
Wieder hörte Babe Ecthelion stöhnen, dieses Mal allerdings mit einer Spur Erleichterung darin. Gleich darauf wurde das Seil wieder ruhig und das leichte Rucken daran ließ sie erkennen, dass Ecthelion wieder nach unten stieg.
Erleichtert folgte Babe, deren Hände bereits zu schmerzen begannen. Zwar waren ihre Hände voller Schwielen vom Tragen und Führen ihrer Waffe, doch den Ansprüchen einer Bergwanderung waren sie nicht gewachsen.
Dies zeigte sich noch mehr nach einer halben Stunde. Babe hatte das Gefühl bereits seit Stunden nach unten geklettert zu sein. Der obere Rand war nur noch als schmaler Spalt zu sehen, wobei der Grund noch lange nicht erreicht zu sein schien. Der einzige Trost war das diffuse Licht, das ab einer gewissen Tiefe aufgetaucht war.
Zuerst konnte sie sich die Ursache des Schimmers nicht erklären, dann erkannte sie, dass es am Gestein selbst liegen musste. Es leuchtete von innen heraus, als wären Leuchtkäfer darin eingefangen worden. Zwar schenkte es kaum Helligkeit, doch Babe konnte wenigstens die Wand und das Seil vor sich sehen. Auch der Schopf Ecthelions war erkennbar, wenn auch nur dann, wenn sie nahe genug an ihn rangekommen war.
Gerade, als sie sich fragte, wie lange das Seil eigentlich war, dass ihnen die Hexe gegeben hatte und wie lange die offensichtliche Magie darin anhielt, spürte sie, es unter ihr am Seil ruhiger wurde. Gleich darauf hörte sie Ecthelions Stimme, der ihr sagte, dass er auf einem Felsvorsprung stand, der breit genug für sie beide sein musste.
„Endlich,“ seufzte Babe. „Länger hätte ich es nicht ausgehalten.“
Sie hangelte sich weiter nach unten und spürte wenig später die Hände Ecthelions an ihren Beinen, der sie auf den Vorsprung zog.
Das Gesicht des Elfs tauchte plötzlich vor ihrem Gesicht auf, das gleich von seiner Brust verdrängt wurde, als sie festen Boden unter ihren Füßen zu spüren bekam.
„Den Göttern sei Dank.“ Sie murmelte die Worte nur, aber selten hatte sie es so abgrundtief herzlich gemeint.
Die leuchtenden Steine tauchten die Umgebung in ein sanftes, fast unirdisches Licht. Babe sah, dass sie auf einem Felsvorsprung von ca zwei Meter Breite standen. Der Vorsprung selbst führte wie ein Weg an dem Fels entlang weiter in die Tiefe. Offensichtlich war ihre Klettertour erst einmal zu Ende.
Ihr Blick fiel auf das Seil, dessen Ende Ecthelion in der Hand hielt. Es hatte gerade bis zu diesem Vorprung gereicht, so als wusste Gwendola, wie weit sie klettern mussten.
„Den Rest können wir wohl auf unseren Füßen abwärts gehen,“ mutmaßte Babe. Anstatt jedoch gleich abwärts zu gehen, setzte sie sich hin und nahm ihren Rucksack ab.
„Ich habe jedes Zeitgefühl verloren. Lass uns erst eine Pause machen.“
Ecthelion stimmte zu und setzte sich neben sich. Babe meinte zu erkennen, dass er etwas blass um die Nase war, so dass sie schwieg und ihm lieber ein Stück von dem Brot reichte, dass ihnen Gwendola mitgegeben hatte.
Immer noch schweigend saßen die beiden Krieger auf dem Vorsprung. Um sie herum schimmerte es und schenkte ihnen so viel Licht, dass sie einige Meter weit sehen konnten. Dahinter herrschte allerdings tiefste Finsterniss, die alles und jedes verschluckte.
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