Beitrag #8
Die Zwerge hatten wohl wirklich etwas vor...als Kamikaze das "goldene Wildschwein" betrat, konnte er ohne große Mühe die drei einzigen Menschen ausmachen - es lag daran, dass sie die größten Personen im Raum waren. Der Wirt - hinter dem Tresen - hatte alle Hände voll zu tun, denn so viele Humpen Bier hatte er wohl lange nicht gezapft, wie hier unermüdlich von bestimmt fünfzig durstigen Zwergen bestellt und verzehrt wurden. Und die beiden Schankmägde zischten wie schnelle Klipper unter vollen Segeln mit ihrern Tabletts durch ein Meer aus bärtigen Köpfen, immer wieder bald hier, bald dort Bestellungen aufnehmend, und eins war klar - so langsam verloren sie den Überblick. Aber es reichte, immer dem Zwerg, der einen leeren Humpen hatte, einen vollen hinzustellen. Dann waren alle glücklich. Besonders die, die noch nichteinmal bestellt hatten, und ihr Trinkgefäß gerade erst abgesetzt hatten.
Auf der Suche nach einem freien Stuhl wurde Kamikaze von mehreren Zwergen, die fluchtartig das stille Örtchen aufsuchten, angerempelt, und dank seiner für einen Dawi respektablen Körpergröße erntete er immer wieder entschuldigende Blicke dabei. Dies waren echte Zwerge, stellte Kamikaze schnell fest, sie redeten nicht viel, und wenn, dann war es won wichtiger Bedeutsamkeit. Nicht so wie er, der meist einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte...das Stadt- und Waldleben unter vielen verschiedenen Rassen hatte ihn viel weltoffener gemacht. Als Kamikaze dann einen Stuhl gefunden hatte, an dem keine Spitzhacke oder ein Hammer lehnte, über dessen Lehne kein Umhang mit Runen darauf drapiert war, als stummer Platzhalter eines Bier wegstellenden Kampftrinkers, setzte er sich hin, grüßte mit einem stummen Nicken in die Runde, und wurde sofort mißtrauisch angeschaut. Er - sofort als Städter an seinem kurzen Bart zu erkennen, und doch mit respektgebietendem Silberweiß als Haarfarbe, war ein für die Zwerge schwer zu vereinender Gegensatz. Sowas hatten sie einfach noch nie gesehen. Kamikaze legte beide Unterarme auf den Tisch, und am linken Handgelenk prangte ein goldener Armschmuck, eine Auszeichnung des zwergischen Bergarbeiter-Verbandes für das Finden einer Goldader. Dies war jetzt ein Respekt-Spiel. Wenn er akzeptiert wurde, dann würden die anderen mit ihm reden. Er sagte nichts, bekam jedoch schnell die großen Augen von zwei noch recht jungen Zwergen mit Bergmannshelmen, erkennbar an den Haltevorrichtungen für Grubenlampen, mit. Sie mochten vielleicht hundertdreißig, hundertfünfzig Jahre alt sein. Höchstens. Aber diese hatte er immerhin schon in seinen Bann gezogen, jetzt ging es weiter. Herausfordernd wanderte der Blick des Zwerges zu dem Ältesten in der Runde, von dessen Haarfarbe, einem dunklen Grau, und Bartlänge ein ungefähres Alter wie das von Kamikaze zu schätzen war. Eventuell zwanzig Jahre älter, also so um die fünfhundert. Das Problem an der Sache war einfach, dass der ehemalige Slayer selbst nicht einzuschätzen war, altersmäßig. Dazu trug der kurze Bart bei, dessen war er sich sicher. Unaufgefordert wurde ein Bierkrug vor ihm abgestellt und daneben ein Stück Pergament geworfen, auf dem sich ein Kreuz für ein getrunkenes Bier gemalt befand. Der Graubart erhob leicht zögerlich seinen Krug, und auf dieses Signal hatten die anderen Zwerge anscheinend nur gewartet, denn recht euphorisch schossen nun ihre Hände mit den Bierseideln auch zum Prosit nach oben, und Kamikaze stieß an und trank seinen Humpen mit einem großen Schluck leer, um ihn knallend auf dem Tisch abzusetzen.
Dann konnte es einer der Milchbärte neben ihm nicht mehr aushalten und fragte mit sich fast überschlagender Stimme auf Khazalid: "Habt ihr wirklich eine Goldader gefunden? Wenn ja, dann seid ihr bestimmt Kam'kaz' Ardrad'g aus den frostigen Bergen, der Slayer mit der Ork-Queste, der auch ein vorzüglicher Bergmann sein soll." Mit einem "Bitte-enttäuscht-mich-nicht"-Blick schaute der junge Zwerg zu dem ehrwürdigen ehemaligen Slayer hinauf. Dieser griff kurz nickend, auf die erste Frage, wortlos zur Axt, zog sie aus dem Waffengehänge und legte sie neben den Bierkrug auf den Tisch. Staunend und ehrfürchtig strich der junge Bergmann mit der rechten Hand über das mehr als ein Jahrtausend alte Holz des Axtstieles, und begann, die Kerben, die fast den gesamten Stiel bedeckten, zu zählen. Sein Kumpan schaute derweil beeindruckt auf die Orkbeißer, die Runen auf der Klinge, die Orkfleisch verbrannten und verätzten, sobald sie mit ihm in Berührung kamen. Sie hatten auch noch ganz andere Wirkungen, nicht nur gegen Orks, wie Kamikaze im Laufe der Jahre festgestellt hatte. "Zweihundertsechsundachtzig!" flüsterte der eine Zwerg seinem Nachbarn ehrfürchtig zu, nachdem er zuende gezählt hatte. Nun nickte selbst der Graubart am anderen Ende des leicht ovalen Tisches anerkennend, der genau zugehört hatte.
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Kamikaze riskierte einen Blick zum Fenster hinaus und sah die Dämmerung kommen. "He, meine Brüder! Ich bin froh, so viele von euch hier in so froher Laune und zu einem solch prächtigen Anlass wie der Besiegelung des Handelsvertrages zwischen dem römischen Imperium und dem Zwergenreich getroffen zu haben, doch ich werde jetzt auf eine Reise gehen, und der Karren fährt in wenigen Augenblicken ab. Deswegen muss ich diese fröhliche Runde verlassen. Gehabt euch wohl!" Kamkaze warf seine letzten Silbermünzen für die verzehrten Biere auf den Tisch, und steckte dann die Axt, die, nachdem in der großen Gruppe bekannt geworden war, dass ein ehemaliger und noch lebender Dämonenslayer anwesend sei, ersteinmal die große Runde gemacht hatte, damit jeder das gute Stück einmal sehen konnte, denn nichts schätzten Zwerge so sehr wie gute Runenschmiede- und auch Schmiedearbeit im Allgemeinen, neben Wohlstand und Alter, wieder in den Gürtel. Mit kurzzeitig leicht schwankenden Schritten, die sich aber sofort wieder normalisierten, stiefelte Kamikaze nun zur Tür, schlang seinen am unteren Ende leicht zerschlissenen weinroten Umhang enger um sich, nickte noch einmal in die Runde, und ging dem Postamt entgegen.
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