Beitrag #6
"Sör... Sör!" erklang da eine jugendliche Stimme. Morgan schob den Gedanken bei Seite und drehte sich um. Ein etwa 8 Jahre alter Junge mit Strubbelkopf kam auf ihn zugerannt. "Euer Pferd und eure Sachen sind schon an der Koppel, Sör!" rief der Kleine. Morgan gab ihm mit einem Wink zu verstehen, er möge voraus gehen. "Gerne Sör. Darf ich etwas sagen? Ihr habt da ein wirklich schönes Tier, Sör!" sprudelte es aus dem Jungen hervor, "Eines Lords würdig, wenn ich das so sagen darf. Oh ja, Sör, es ist wirklich ein prächtiges Tier!" Morgan schmunzelte. So enthusiastisch war er auch einmal gewesen. Doch das war Jahre her. Das war bevor er Optio geworden war...
Er erinnerte sich an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen. Morgan war, zusammen mit einem kleinen Spähtrupp, dem er zugeteilt gewesen war, durch ein dichtes Waldstück geritten. Wie aus dem Nichts war eine schwer verwundete junge Frau vor ihnen aufgetaucht. "Bitte helft mir, der Schlachter und seine Freunde sind hinter mir her" meinte die Frau und hatte sich an Morgans Bein geklammert. Anstatt zu fragen, warum die Frau verfolgt wurde, hatte der Gruppenführer nur verdutzt wissen wollen: "Ihr werdet von dem Schlachter verfolgt? Warum nennt man ihn den Schlachter?" "Weil er von Beruf Schlachter ist..." kreischte die Frau. "Wir werden euch beschützen!" versprach Morgan, als die Frau sich mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen an die Brust griff. Eine blutige Pfeilspitze ragte aus ihrem Brustkorb hervor. Sie sah Morgan traurig an, Blut sprudelte aus ihrem Mund hervor, dann brachen ihre Augen und sie sank langsam zu Boden. Aus einem Reflex heraus, ließ Morgan sich vom Pferd fallen, was sich als die richtige Entscheidung erwies. Denn keine Sekunde später traf ein weiterer Pfeil den Gruppenführer und warf ihn aus dem Sattel. Dann war es wieder ruhig. Obwohl sie sofort die nähere Umgebung abgesucht hatten, hatten sie den Mörder nie gefunden. Morgan führte den Spähtrupp daraufhin sofort zurück in den Stützpunkt, um Bericht zu erstatten. Wegen seiner besonderen Leistung im Feld, die Morgan für alles andere als besonders hielt, wurde er zum Optio befördert. Das war an seinem Neunzehnten Geburtstag gewesen. Und noch immer verfolgten ihn die vor Schreck geweiteten Augen der Frau im Schlaf...
Der Stallbursche plapperte weiter fröhlich darüber, was für ein prächtiges Tier Morgans Pferd doch sei, doch Morgan hörte ihm nicht zu. Seit seiner Beförderung zum Gruppenführer hatte er Angst, für Andere verantwortlich zu sein. Er scheute sich davor, seine Männer in gefährliche Einsätze zu schicken, weil er ihren Tod nicht auf dem Gewissen haben wollte. Statt dessen erledigte er die Einsätze lieber selbst. Außerdem hatte Morgan sich geschworen, nie wieder ein Versprechen zu geben, was er nicht halten konnte. Deshalb war er, Dank Trystan, nun in einer Zwickmühle. Denn Investigatoren hielten immer ihre Versprechen. Dieser innere Zweikampf würde ihm wohl noch Probleme bereiten...
|