Beitrag #4
Anderswo im römischen Imperium.
Der Nebel lag wie eine Wand über dem kleinen Tal. Dumpfe Schwaden zogen träge über den morgendlichen Boden, waberten hier und dort auf, nur um sich sogleich wieder zusammen zu ziehen. Dunkle Silhouetten erschienen, nahmen die Gestalt von verkrüpelten Menschen an, teilten sich zu einigen vereinzelten Baumgruppen, nur um wieder im ewigen Grau zu verschwinden.
Stille hing über der Landschaft, die noch Sekunden zuvor von einem langsam abbrechendem Schrei durchdrungen wurde. Ewigkeit lag in der eintönigen Landschaft. Erneut teilte sich die graue Wand und gab eine gewaltige Gestalt frei. Leicht gebeugt stand sie schwer atmend über einem in einer unmöglichen Haltung liegenden Person. Die Axt, die sie beidhändig vor sich hielt, bebte leicht bei jedem Atemzug. Blut troff von der Einblättrigen Waffe auf den Mann unter sich, fiel auf das zu einem Schreckensschrei verzogene Gesicht und vermischte sich mit dem Lebenssaft, der aus der klaffenden Wunde aus seinem Hals floß. Langsam, unendlich langsam richtete sich die hünenhafte Gestalt auf. Unbewegt stand sie da, inmitten des Nebels.
Felle und ein Waffengeschirr hingen über dem massigen, von Muskelsträngen verknoteten Rücken. Gewaltige, von Muskelbergen durchzogene und von unzähligen Narben gebrandmarkte Arme gürteten die Waffe zurück an ihren gewohnten Ort. Langsam und vorsichtig näherten sie sich den nackten Beinen, strichen an den frischen Wunden entlang bis sie auf das Fellschurz trafen, welches um die Hüfte gewickelt war. Stumm richtete sich die Gestalt erneut aus der Hocke auf. Blondes, langes Haar legte sich über das Gesicht des Mannes. Ein blonder Stoppelbart lag über das kantige Gesicht, verbarg weitere Narben. Ein kurzer Windhauch wehte die Mähne auf. Helle, blaue Augen waren zu sehen. Wie der restliche Körper zeigten sie weitere Narben auf. Tiefere.
Kjaskar sah auf die Gestalt vor sich. Sein Blick drang durch den regungslosen Körper, während seine Gedanken zurück an den Tag wanderten, als er dem Mann zum ersten Mal begegnet war.
Er hatte Pontus sofort erkannt. Seine Häscher waren ihm damals schon zu lange auf den Fersen, als das er sie nicht erkennen würde. Der bullige Soldat hatte sich mit mehreren Markthändlern unterhalten, wärend sich der Hüne in einer Seitengasse versteckt hielt. Ein Marktweib wurde auf ihn aufmerksam und verriet ihn mit ihrem Gekreische. Mit mehr Glück als Verstand war er aus dem Dorf entkommen, die sich urplötzlich zu einer Falle aus einem halben Dutzend Soldaten entwickelt hatte. Zwei überlebten das Glücksgefühl, ihre Beute endlich vor sich zu haben nicht. Ein weiterer wurde von dem wirbelnden Schneidzahn des Hünen erwischt, als dieser auf dem just von einem reicheren Händler entnommenen Pferd davonritt. Pontus und zwei weiteren Verfolger setzten ihm nach. Beinahe hätten sie während einer der kurzen, von Minutenschläfen bestimmten Nächten der Flucht überrascht. Wieder entkam die sichere Beute ihren Jägern, nicht ohne einen von ihnen in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Kjaskars Pferd gab schließlich als erstes vor Erschöpfung auf. Zu Fuß war es den beiden übrig gebliebenen Häschern ein leichtes, ihre Beute erneut aufzugreifen. Ein kurzer, rascher Kampf im Morgengrauen setzte dem Hünen schwer zu. Mit letzter Kraft gelang es ihm, im Schutze des Nebels zu entkommen. Pontius war ihm immer noch auf den Fersen. Fünf seiner Männer waren gestorben, doch die Zeit war auf seiner Seite. Seine Beute war tagelang auf der Flucht, während er selbst ausgeruht auf die letzte Pirsch ging. Welche seine letzte wurde.
Mit einem letzten, verächtlichen Blick sah Kjaskar auf das Gesicht des kräftigen Mannes, bevor er sich abrupt umdrehte. Sein linkes Bein zog beim Gehen leicht nach, als er sich vom Schlachtplatz entfernte, doch der blonde Hüne ignorierte es. Seine Augen wanderten unruhig über den Nebel, versuchten ihn zu durchdringen. Die graue Eintönigkeit ließ seine Gedanken schnell wieder abwandern. Grau und dumpf wirbelte sie vor ihm her...
So grau und dumpf wie sein Leben. Es war lange her, als er zum letzten Mal auf die Palisaden seiner Ottajesko geblickt hatte. Unendlich lange. Seine unstete Wanderschaft hatte ihn viel umhergebracht, doch nach dem neulichen Einfall in das römische Imperium galt ein Mann aus dem Nordvolk als Freiwild. Kjaskar hatte es längst aufgegeben, den Menschen, denen er begegnete, seine Unschuld zu beteuern. Ein Mann aus dem Norden galt als Invasor. Und mit besiegten Invasoren wussten die Bewohner dieses Imperiums umzugehen. Vergessen waren die nördlichsten Provinzen Roms. Vergessen auch die Auszeichnungen, die der Hüne dereinst erhalten hatte. Er war blond. Er war ein Nordmann. Er war Freiwild.
Verbittert dachte Kjaskar an die Kämpfe, die er mit seinen Männern und Frauen gegen die Barbaren aus dem Norden geführt hatte. Welle um Welle von Angreifern hatten die Nordleute ihre Siedlung verteidigt. Freunde starben, in dem Versuch, ihr Heim und das Imperium zu schützen. Das Imperium, dass sie nun brandmarkte.
Erneut spuckte Kjaskar aus. Nein, das Imperium hatte ihm nichts gegeben ausser Leid. Er war es leid, sich und seine Leute an ihm zu verkaufen, so wie sich eine billige Hure an einen Freier schmiss. Sein selbst gewähltes Exil entwickelte sich zu einer Höllenfahrt.
Verbittert schritt der Nordmann durch den Nebel, seinen Gedanken nachhängend. Ein leichtes, blaues Flimmern erschien langsam, näherte sich mit jedem Schritt des Hünen und riss diesen aus seiner Grübelei. Stirnrunzelnd verlangsamte Kjaskar seinen Schritt, während seine Hände wie automatisch die Axt von seinem Rücken schnallten. Vorsichtig, jeden Schritt wohl kalkuliert, näherte er sich dem Leuchten. Seine Nackenhaare richteten sich auf, während sich langsam ein blaues Wabbern aus dem Nebel löste. Undeutlich zunächst, dann immer klarer werdender schälten sich die Umriße einer Steinformation heraus, in deren Mitte ein bläulich pulsierendes Oval schimmerte. Unglauben zeichnete sich auf Kjaskars Zügen, während seine Axt langsam zu Boden sank. Vor der Steingruppe lag die ausgestreckte Gestalt eines Mannes hohen Alters. Ein weißer, mächtiger Bart sog sich voll mit dem Blut, das aus seinen Augen, Ohren und dem Mund lief. Ein ersticktes Keuchen drang aus Kjaskars Lippen, während er einen Schritt nach hinten taumelte.
Es konnte nicht sein. Die selben Anzeichen. Der tote Druide, die Steinformation.... das Portal!
Ein leichter Druck legte sich auf die Schultern des Hünen, so als ob eine zarte Hand zum Gehen drängte. Mit heruntergelassenen Kiefer schritt der Hüne auf das Leuchten zu, bevor er wieder zu sich kam.
"Nein! Halt! Nicht schon wieder..."
Sein protest ertarb ihm auf den Lippen, als sein Körper ihm den Dienst verweigerten und er hilflos auf das Portal zuschritt, nicht länger Herr über seine eigene Gestalt. Achtlos trat er über den toten Druiden. Das blaue Licht leuchtete vor ihm auf. Er versuchte, seinen Blick abzuwenden, doch umsonst. Eine helle, süße Stimme erklang in seinem Innersten.
"Sei mir gegrüßt, starker Nordmann. Erneut musste ich dich rufen.... Askaarel braucht dich."
Kjaskars Gesicht wurde Rot vor Anstrengung, als er ein ersticktes "Wieso ich?... Ich habe.. schon einmal... geholfen" zwischen seinen Zähnen hervorpreßte.
Die Stimme in seinem Kopf klang nun traurig.
"Ich weiß, dass ich dich bereits zum zweiten Mal um Hilfe bitte. Eine große Gefahr ist im Begriff, Askaarel zu vernichten. Ich weiß, dass dein Herz zerüttet ist, mein tapferer Krieger. Und dennoch bist du einer der Wenigen, die die Macht haben, das Kommende zunichte zu machen..."
Schweiß brach über Kjaskars Gesicht, als er erneut die Kontrolle über seinen Körper zu erlangen versuchte.
"Askaarel... interessiert mich... nicht! Nichts... interessiert mich... noch, bei... den ...Göttern!"
Bitterkeit troff aus seiner Stimme, und die Leere, die seit Monaten Kjaskars Begleiter war, breitete sich erneut in ihm aus. Die Stimme nahm einen mitfühlenden Ton an.
"Du hast vieles durchgemacht, Mann aus dem Norden. Dein Vertrauen in die Menschheit wurde dir genommen, und ebenso dein Stolz. Du fühlst dich wie ein Tier... Es liegt nicht in meiner Macht, dir deinen Schmerz zu nehmen, doch wisse, dass ich dies zu gerne täte. Aber eines kann ich tun..."
Die Stimme verklang sanft, und für einen Moment herrschte Stille. Verwundert bemerkte Kjaskar, dass er wieder die Kontrolle über seinen Körper besaß. Mißtrauisch trat er einen Schritt von dem blau wabbernden Portal weg.
Die Erinnerungen brachen über ihm ein wie ein Brecher bei hohem Seegang. Vor seinem inneren Auge sah er Babe und Ecthelion... sah Kämpfe gegen seltsam mißgestaltete Dämonen... Lonely und Ragna... das Einfangen von Pferden.... Triple und Raven... Baumkreaturen und einen Feuermagier... Mercenary und Blade7 ... eine Hafenkneipe und eine dralle Rothaarige... Elvenkiss und Method_Man ... eine Schiffsfahrt... Tool....
Die Gedanken jagten durch seinen Kopf, hielten nicht an, ließen sich nicht greifen und drangen dennoch immer wieder auf ihn ein. Als der Wirbel sich entfernte, kniete Kjaskar auf allen vieren vor dem Portal. Langsam richtete sich sein Kopf auf. Ein neues Funkeln, dem des Portales in nichts nachstehend, glomm in seinen Augen auf. Schweigend stand er auf und trat durch das Portal....
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