Beitrag #9
RE: Die Katakomben Roms
Hoch über ihm aufragend die entsetzlich anzublickende Gestalt, einer Gottesaanbeterin gleichend. Zupackende Klauen, seine Schreie ungehört verhallend. Brennender Schmerz in seinem linken Handgelenk, rasch sich ausbreitend, flüssiges Feuer rann durch seine Adern. Er rannte, lichterloh brennend, eine lebendige Fackel, durch Roms Gassen. Menschen, die ihm begegneten, gingen in Flammen auf, Häuser fingen Feuer. Rom brannte, ein leuchtendes Feuermeer, der Himmel regnete Asche. Es gab kein Entkommen aus dem Inferno, selbst als er den Tiber erreichte, verwandelte sich der Fluss in ein feuriges Inferno, Flammen, die gierig an ihm leckten, an ihm frassen, ihn gierig verzehrten...
Er schreckte aus dem Albtraum hoch, versuchte zu begreifen, wo er war. Er wagte nicht, die Augen zu öffnen, wollte nichts Entsetzliches mehr sehen. Sein Körper schien in einer Art Hängematte zu ruhen, die sanft hin- und herschwang. Seine Hände ertasteteten ein weiches und doch unnachgiebiges Gespinst. Er erinnerte sich an das furchtbare Brennen im linken Handgelenk, untersuchte dieses, fand ein... Mal, dessen Linien ein Muster bildeten...
Eine Mädchenstimme erklang: "Hat viel Platz in IHREM Herzen. Bereitet so viel Schmerzen. Hat so Herzschmerzen...". Die Echoes Herzschmerzen, HerzSchmerzen, HERZSCHMERZEN... geisterten umher, schienen lauter zu werden, andere Stimmen fielen ein, gaben die Worte wieder. Er riss die Augen auf, erwartete Dunkelheit, erstarrte... das Gespinst, in dem ruhte, schimmerte silbrig in einer Dunkelheit, die keine Farben aufwies, stattdessen vermochte er verschiedenste Facetten von Schwarz zu erkennen. Ich kann in Dunkelheit sehen? Er wollte nicht darüber nachdenken, wie das möglich sein konnte, suchte die Quelle dieser Stimme.
Auf dem Boden hockte ein Mädchen, blickte ihn an, während ihre Hände spielten mit... er holte tief Luft, die Kleine spielte mit einem Schädel. Einem der Schädel... seine Blicke irrten mit wachsendem Entsetzen umher... einem der zahlreichen Schädel, die den Boden bildeten, wie auch Knochen. Das Mädchen kicherte "Ich hab' so Angst. Allein im Dunkeln, ganz allein. Bitte, bitte, hilf mir. Einem armen kleinen Mädchen..." Der Tonfall liess ihn erschaudern, spöttisch, grausam. Das Mädchen wirkte schmutzig, bekleidet nur mit einem silbrig schimmernden Gespinst. In diesem schimmerten... Juwelen? Er erhob sich, ging vor dem Mädchen in die Hocke. Nein, keine Juwelen, sondern Augen, schimmernde Augen, ganz im Gegensatz zu den Augen des Mädchens, diesen waren schneeweiss.
Das Mädchen lächelte verzückt: "Wollte mir helfen. Böser, böser Mann. Ein kleiner Kratzer mit dem Dorn. Kann nicht mal mehr sich selbst helfen. Zuckt nur noch. Trommelt mit den Füssen. Schöne Melodie!" Sie blickte auf den Schädel: "Hat keine schmutzigen Gedanken mehr. Habe ich weggemacht!" Vorsichtig erhob er sich, als das Mädchen die Hand hob, an dem Dorn leckte, der auf ihrem Zeigefinger als dessen Verlängerung sass, wich zurück...
Dunkelheit schien sich herabsenken zu wollen. Er hob den Kopf, sah die massige Gestalt, die sich schlangengleich elegant herabsenkte. In silbrigem Gespinst gehüllt, in dem sich schimmernde Augen bewegten. Diesmal befiel ihn kein Entsetzen, nur Erinnerungen überfluteten ihn Corvas Stimme, voller Stolz "Guck mal, was ich kann...". Sah mit Erstaunen, wie sie den Rücken nach hinten bog, weiter bog, bis sie ihren Kopf durch die gespreizten Beine steckte und ihn ansah. Er löste sich aus der Erinnerung, blickte IHR in die Augen. Er wusste nicht, wieviel Zeit verging, bis der stumme Austausch beendet war. Mit einer Hand packte sie ihn, hob ihn an, als wäre er leicht wie eine Feder, presste ihn an sich, kräftig und sanft zugleich. Mit unmenschlicher Schnelligkeit wurde er durch etwas getragen, das ihm wie ein Netz erschien, durch Gänge hindurch, an Wänden hinauf, er verlor rasch jede Orientierung, hatte nur das Gefühl, dass es nach oben ging. Wie tief unten war er gewesen? Wie weit in die Tiefe reichten diese Katakomben?
Er wurde auf dem Boden abgesetzt. Der Gang führte steil nach oben, an dessen Ende konnte er Tageslicht erkennen, das durch Gestrüpp in die Dunkelheit des Tunnels drang. Er schaute auf in ihr Gesicht, ihr auffordernder Blick wies nach draussen. Er fügte sich, wäre gerne noch geblieben, aber er war kein Kind der Katakomben. Er kletterte den Gang hinauf, der rauhe Fels gab ihm genügend Halt für seine Hände, kämpfte sich durch das Gestrüpp ins Freie, hinter ihm erklang das Krächzen einer Krähe, zum Abschied, er wollte antworten, doch zahlreich erklangen das Krächzen weiterer Krähen. Er blickte auf, seine Augen weiteten sich. Krähen kreisten über ihm, es mussten Hunderte sein, wenn nicht gar mehr. Er lächelte. Wie diese wohl reagieren mochten, wenn er jetzt den schrillen Schrei der Elster erschallen lassen würde? Dieser erklang, nicht von ihm, sondern aus zahlreichen Schnäbeln. Seine Augen irrten mit fassungslosem Ausdruck umher, auf dem Boden stolzierten Elstern herum, zahlreich versammelt. Wie konnte das sein? Elstern und Krähen attackieren sich doch, wo immer sie aufeinandertreffen...
Eine Elster hüpfte näher heran, beäugte ihn, hatte im Schnabel etwas golden Glänzendes. Er ging in die Hocke. Es war ein Ring. Er musterte die anderen Elstern, auch diese hatten Schmuck in ihren Schnäbeln. Eine nach der anderen hüpfte zu dem Eingang in die Katakomben, entledigten sich der schimmernden Gegenstände, diese entschwanden in der Tiefe...
Die Krähen kreisten weiter über ihm, nun vollkommen lautlos. Er blickte gen Rom, das sich in all seiner Pracht in einiger Entfernung ihm darbot. Ein sardonischisches Lächeln glitt über sein Gesicht, als die Elstern sich in die Lüfte erhoben, gen Rom flogen, die Krähen diesen folgten. Er würde in seinem Leben niemals Reichtum anhäufen können. Aber in Rom lebten jene, die bald ihren Reichtum verfluchen würden...
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