Ein leises Quäken, das vom Bett ausging, breitete sich im Raum aus. Das Geräusch wurde lauter und schriller, und Strigoi konnte nur knapp der Versuchung widerstehen, einzustimmen und laut zu heulen. Er blickte zu Crazys Schlafstätte und stellte fest, dass das Schreien von der kleinen Iya ausging, die anscheinend erwacht war – jedenfalls fuchtelte sie mit ihren kleinen Ärmchen durch die Luft und versuchte so lautstark sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Nun ließ es sich natürlich auch ihr Bruder Rogar nicht nehmen zu erwachen und in das „Lied“ mit einzustimmen.
Seufzend gab Crazy ihre sehnsüchtigen Gedanken auf und ging zu ihren ihre Stimme erprobenden Kindern herüber.
Iya hatte zuerst angefangen zu schreien, also war sie auch zuerst dran und kam als erste in den Genuß der „Fütterung“.
Leise summend legte Crazy das weiche und warme Kind an ihre Brust, die trotz des Stillens noch wohlgeformt war.
Damit Rogar Ruhe gab solange Iya trank streichelte sie ihm über das kleine Bäuchlein, was ihm zufriedene Gluckser entlockte. Diesen Trick hatte ihr die Amme verraten nachdem Crazy tagelang darüber geklagt hatte dass sie nicht beide Kinder zugleich stillen konnte.
Nun hatte sie wieder ein paar Minuten Ruhe. Diese Phasen, in denen die Kinder beide ruhig waren, genoss sie und sog sie in sich auf um in Zeiten des Stress auf diese Energiereserven zurückgreifen zu können.
Doch die Kinder verursachten nicht nur allerlei Ungemach, sie waren natürlich auch ein ewiger Pol der Ruhe, der Gelassenheit und neuer Sinn des Lebens für die frühere Gladiatorin. Natürlich suchte Crazy immer noch Abenteuer und war in dunkle Geschäfte verwickelt und auch ihre Risikofreude war nicht im Geringsten getrübt, aber seit der Geburt ihrer Kinder war sie um einiges bodenständiger und für ihre Mitmenschen erträglicher geworden.
Lächelnd musste Crazy an eine Typische Situation aus der zeit zurückdenken, in der sie noch in Rom gelebt und täglich ihr Leben in der Arena aufs Spiel gesetzt hatte.
***** Einige Jahre vorher *****
Es war ein schwüler Tag in der Stadt Rom, dem Mittelpunkt der zivilisierten Welt. Die Hitze drückte aufs Gemüt und schwächte den Körper, Männer und Frauen mit etwas mehr Körpermasse schwitzen in ihre Tuniken und der Kot und Urin aus den Gassen der Armenviertel stank zum Himmel – alles in allem war es ein mehr als unangenehmer Tag um sich mitten in der Stadt zu befinden. Vor allem auf den Forum Romanum um am Ufer des Tiber war es schrecklich, denn der Sumpf und das Abwasser der Stadt bildeten Dämpfe die, je nachdem von wo der Wind kam, geradezu Übelkeit erregten.
Trotzdem war das Forum überfüllt von einer Horde Menschen, die ihre Körperwärme und ihren Geruch zu all den anderen Störfaktoren der menschlichen Sinne noch dazu gaben. Der Hitze trotzend hatten sogar ein paar Lebensmittelhändler ihre Stände aufgebaut, aber Crazy war sich sicher dass sie an einem Tag wie heute keinen Fisch kaufen würde, ganz egal als wie frisch ihn der dunkelbärtige Mann anpries.
Kopfkratzend blieb sie vor einem überdachten Stand stehen, an dem Schmuck und Stoffe aller Art feil geboten wurden. Ohne sich die Waren genau anzusehen erkannte sie schnell an Hand der Preise, die die Verkäuferin schrie, dass es sich um wertlosen Ramsch handelte, wie fast alles was es hier zu kaufen gab. Die wirklich guten Dinge bekam man nur im Krieg. Crazy leckte sich über die Lippen. Krieg, das war ein schönes Wort. Noch hatte sie keinen erlebt, aber sie hatte gehört dass in naher Zukunft einige Feldzüge starten sollten – und dafür würde sie sogar ihren Job als erfolgreiche Gladiatorin an den Nagel hängen. Wieder kratze sie sich am Kopf. Sie hatte sich doch nicht etwa Flöhe oder ähnliches Getier eingefangen? Gut möglich war es ja, in ihrer derzeitigen Bleibe war sie auf alles vorbereitet. Seitdem ihre Eltern sie rausgeschmissen hatten lebte sie in einer Gladiatorenschule auf dem Hügel Esquilin. Als eine der wenigen Frauen gehörte sie der „Armee der schwarzen Engel“ an, eine angebliche Schule für Gladiatoren, wo jedoch in Wahrheit Rekruten für das Dunkle ausgebildet wurden, um irgendwann die Regierung Roms zu stürzen und sich als Rebellen an die Spitze der Macht zu stellen. Crazy war mit jugendlichem Elan und ganzem Herzen mit von der Partie. Das Spießbürgertum in der Stadt hatte sie noch nie begeistern können, und sie war jung und schnell Feuer und Flamme für eine Sache, die sich gut und gerecht anhörte.
In Gedanken schon wieder zurück in der Halle bei der abendlichen Mahlzeit mit ihrer neuen Familie, wie sie sie nannte, durchquerte Crazy das Forum zielsicher und näherte sich ihrem Lieblingsstand. Er gehörte einer alten Frau mit runzligem Gesicht und tief in die Stirn gezogener Kapuze, die für wenig Geld anbot, die Zukunft voraus zu sagen. Schon seit längerem war sie davon fasziniert gewesen, und da sie erst heute morgen ein Duell und damit auch etwas Geld gewonnen hatte, wollte sie sich heute den Spaß gönnen und einen Blick in ihre Zukunft wagen.
Bestimmten Schrittes ging sie auf den Stand zu, er war eigentlich nur ein Tisch, über den buntes Tuch gespannt war mit zwei Stühlen daran. An dem einen saß bereits die Wahrsagerin und auf dem anderen nahm Crazy Platz ohne zu zögern.
“Macht Euch nicht die Mühe mir Euren Namen zu nennen, werte Dame. Namen sind Schall und Rauch – zwar wird der Eure lange in der Luft zu sehen sein, länger und unerfreulicher als Ihr es Euch vielleicht wünscht – doch trotzdem wird er nichts bedeuten. Ihr werdet Ruhm und Reichtum haben, aber lange nicht die Macht die Ihr Euch wünscht, und wenn Ihr endlich da seit wo Ihr hinwollt, werdet Ihr nicht lange dort bleiben. Die Vergangenheit wird Euch einholen und überrollen wie eine Felslawine. Aber Ihr werdet auch Glück haben und Eure Liebe finden – sucht aber nicht danach! Und nun geht – und behaltet Euer Geld!“
Perplex und getroffen von den Worten der Wahrsagerin erhob sich Crazy und huschte so schnell sie konnte in die anonyme Menge zurück. Was die Frau da gesagt hatte gab ihr zu denken. Sagte sie das jedem, der vorbei kam? Aber wieso hatte sie dann kein Geld gefordert?
Sie versuchte die Gedanken abzuschütteln und lief vollkommen verwirrt wieder in die tobende Menge auf dem Forum - doch im Gegensatz zu vorher war ihr nun eiskalt.
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Als die Sätze der Wahrsagerin Crazy wieder in Erinnerung gerufen wurden verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht. Es war viel Wasser den Tiber herabgeflossen, und sie hatte diese bedeutungsschweren Worte vergessen gehabt.
War die Lawine der Vergangenheit schon über sie hinweg gerollt, oder erwartete sie das noch?
Das war das einzige was ihr Sorgen machte, nach Macht strebte sie schon lange nicht mehr. Sie hatte genug davon gehabt und sie wusste dass viele Menschen auf ihre Ratschläge hörten und ihre Meinung achteten.
Und dass Kamikaze die Liebe ihres Lebens war, daran gab es keinen Zweifel...
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