Beitrag #2
Im Frühtau im Walde.
Die ersten Sonnenstrahlen reflektierten sich am glänzenden Gefieder einer Elster, die auf dem hölzernen Pferdekopf des Giebels eines Schilfdaches saß, welches wiederum zum langgestreckten Bauernhaus gehörte, das den Zwerg Kamikaze Steinbrecher beherbergte. Gerade in diesem Moment, da die Sonne aufging, schaute die Elster erwartungsvoll nach unten, zum Fenster im ersten Stock, nur einige Ellen weit von ihr entfernt. Und wirklich, es wurde aufgestoßen, und ein unordentliches Bündel silberweiße Haare kam zum Vorschein. Der Zwerg war am vorangehenden Abend mit einem Haarband eingeschlafen, und sah deswegen jetzt aus wie ein vergewaltigter Rasierpinsel. Doch dies hinderte ihn nicht daran, nun ersteinmal die frische Waldluft zur Kenntnis zu nehmen, und dann die Elster, die sich prompt auf seiner muskulösen, nackten Schulter niedergelassen hatte, und die ihm so lange in seinem Zopf herumpickte, bis das Haarband platzte, um die schulterlange Mähne ins Blickfeld des Zwergs fallen zu lassen. "Goldfeder, du Nichtsnutz!" schimpfte Kamikaze und schnipste spielerisch mit dem Zeigefinger gegen den zierlichen, aber harten Schnabel des Rabenvogels. Dies machte der Elsterdame aber nichts, nur dem darauffolgenden Haarwirbeln, das aus einem resoluten Wachwerd-Kopfschütteln resultierte, entging sie durch einige hastige Flügelschläge, um sich auf den Bettpfosten zu setzen. Spöttisch, mit leicht schiefgelegtem Kopf, blickte der Vogel den Zwerg an. So als wollte sie sagen...
Zwerg, du vernachlässigst deine Gefährtin, und bekommst es nicht einmal mit! Ich an ihrer Stelle hätte dir schon längst den Laufpass gegeben, Gnom...
...naja, irgendetwas wollte sie sicherlich sagen.
Du hast ganz genau gehört, dass ich etwas gesagt habe!
Unabhängig davon...
Kamikaze zog sich ein baumwollenes, ärmelloses Hemd an, und seine rot-weiß gestreifte Leinenhose aus doppeltem Stoff mit Lederflicken auf den Knien, die er mit dem breiten Ledernietengürtel am Platz hielt. Die Dolchscheide baumelte am Gürtel, jedoch ohne Inhalt. Im Wald war es friedlich, und die größte potentielle Gefahr bestand in tieffliegenden Kartoffeln oder eventuell einem aus MacCampbells Baumhaus plumpsenden Zechgast. Gegen diese würde blanker Stahl aber nur auf dem Kopf helfen, ind deswegen ging der Zwerg zwar waffen- aber nicht helmlos aus dem Haus. Sein Topfhelm aus Zwergenstahl, dessen Nasenschutz und Gesichtsgitter mit Gold-und Silberflitter geschmückt war, war ihm ein treuer Freund geworden, und hatte manch einen Tannenzapfen wirkungslos abprallen assen.
Die Tür zu Kamikazes Haus öffnete sich, und der Bewohner trat heraus, noch einige Brotkrümel im Schnurrbart, die vom Frühstück übriggeblieben waren, aber gegen diesen Angriff hatte der Helm des Zwergs keine Chance. Erschöpft stürzte eine graue Brieftaube fast senkrecht vom Himmel herab und traf Kamikazes Helm seitlich. Leicht benommen taumelte er beiseite und griff geistesabwesend nach dem Türpfosten. EInen Moment lang wunderte er sich, denn...er hatte doch gar keinen Taubenschlag, geschweige denn wusste er von der Existenz eines solchen im gesamten Wald....aber vielleicht hatte Princessa, die Wächterin des Horns sich ja darum gekümmert. So hob der frischgebackene Außenminister das Federvieh auf, immer umflattert von Goldfeder, und machte sich auf den Weg zur Lichtung des Hornes, wo er die allseits bekannte und beliebte Kriegerin zu finden hoffte, die mit ihrer stürmischen Art ordentlich frischen Wind in den Wald gebracht hatte. Vielleicht war hier eine Antwort zu finden.
Immer dieser selbstlose Zwerg, kann ja nicht sein, dass er nicht einmal prüft, was in der Kapsel am Bein der Taube befestigt ist...
Ruhe auf den billigen Plätzen!
Nachdem Princessa ihn davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass sie weder Brieftauben beherbergte, noch erwartete, und ihn zu Robina Mac Grauss, der Innenministerin weiterschickte, kam Kamikaze dann allerdings auf die Idee, nach einem Adressaten zu suchen, da ihm dies ja möglicherweise weiterhelfen konnte, und kam nach emsigem Suchen und einigem Nachdenken dann auch darauf, dass mit
Kamikaze Steinbrecher
Wald vor Rom
ja eventuell er selbst gemeint sein könnte. Schnell entließ er die Brieftaube aus seinem Griff, nicht ohne ihr vorher die Kapsel mit der Nachricht abzunehmen, die sich auf magische Weise vergößerte, nachdem er sie in den Händen hielt, wobei etwas schwarzer Rauch aufstieg - was den Slayer zugegebenermaßen mißtrauisch machte, doch schließlich überwand die Neugier die Vorsicht - (außerdem waren Briefbombenattentate damals einfach nicht so häufig wie heutzutage) und beherzt entrollten die kleinen, kräftigen Hände, die mach einen übermächtigen Gegner schon zur Verzweiflung getrieben hatten, das filigrane Pergament, und die flinken, lebhaften Äuglein des Zwergs, die wie Bergseen in Tälern in den tiefen Augenhöhlen lagen, lasen den an ihn gerichteten Brief. Schnell reifte ein Entschluss in ihm, und er lief ins Haus, um seinen Seesack aus Otta-Zeiten zu packen...
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