Das Chaos brach über Rael herein und sie hatte das Gefühl ihr glitten die Zügel aus der Hand. Drakonia schien beschämt durch ihre Anwesenheit, versuchte sich aufzurappeln, doch fehlte ihr die Kraft dazu. Auch suchte sie eine Distanz zwischen sich und Ezekiel zu bringen, doch dort wo scheinbar der Wille vorhanden war, war der Körper schwach. Doch nahm sie ihr den Wasserschlauch ab und nahm einen tiefen Schluck davon. Sie selbst wußte, wie sehr ein anderer Geschmack im Mund in solchen Situationen helfen konnte. Und doch wußte sie eigentlich gar nicht in welcher einer Situation sie sich hier befanden, wie Drakonia in diese Stimmung, diese Verzweiflung hatte fallen können. Sie beobachtete, sprach nicht, mischte sich nicht ein. Sie kam sich mit einem Mal wie ein Eindringling vor. Sie nickte nur, als Drakonia sich bei ihr bedankte. Für sie war eine derartige Hilfestellung absolut normal und nichts wirklich Besonderes. Doch die Erzählung ließ Rael eine Augenbraue heben. Ruhig hörte sie sich die Worte an, die sie auch hören sollte und sie senkte für einen Moment den Kopf.
Auch sie hatte einen solchen Schatten in ihrem Leben gehabt, ein Schatten, der alles überlagert hatte. Ein Schatten, der ihr den Gefährten und viele Freunde gekostet hatte. Doch sie hatte niemals aufgegeben. Selbst als sie ihr eigenes Haus überfallen hatten, um sie und Mireya zu töten, hatte sie nicht aufgegeben. Sie waren ausgezogen, wie so häufig zuvor. Doch dieser Kampf hatte Ruffinio ein für alle Mal vernichtet. Sie schluckte und spürte mit einem Mal, wie der Stoff ihres Hemdes auf ihrem Rücken lastete. Der Schmerz der großen, gezackten Narbe dort schien wieder zu pochen und sie spürte abermals wie das Blut ihren Rücken hinab rann und eine Spur auf dem Rücken abzeichnete, die sie niemals vergessen würde können. Sie meinte, den Stoff sich abermals in der Wunde festsaugen zu spüren. Für einen Moment schloss Rael die Augen, straffte den Rücken und atmete tief durch. Lange war es her, lange waren ihre Wunden verheilt, so gut es ging. Nur noch die Narben auf ihrem Rücken und in ihrem Herzen waren Zeuge der damaligen Schlacht, die sie hatte schlagen müssen. Ruffinio würde jedoch immer in ihrer Seele widerhallen, ob nun seine Gebeine auf ewig verrotteten oder nicht. Auch er war ein Teil der Narben, die sie trug. Ein Teil ihres Schatten, vielleicht der Schatten selbst.
Raels Blick wanderte wieder zu Drakonia. Sie hatte das Gefühl, dass Ezekiel eher derjenige war, der hier gebraucht wurde. Er war ihr vertraut, deutlich vertrauter als er ihr war. Sie wollte bereits aufstehen, als Eomer zu ihnen stieß. Eomer war redlich um Drakonias Wohl besorgt und Rael hätte milde gelächelt, wenn sein Blick in Bezug auf seine Frage nicht zu ihr und Ezekiel gewandert wäre. Dachte er etwa, dass sie Schuld an ihrem Zustand trugen? Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Für einen Moment spürte sie wie heißes Feuer durch ihre Adern zu rasen begann und sich die Wut in ihrem Magen ansammelte. Ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren und ein Gedanke kam ihr. Eomer sorgt sich um sie, er will nur wissen was los ist. Rael stieß den Atem aus und lockerte ihre Muskeln. Sie hob die Hände der Ergebenheit und blickte auf, als Ezekiel aufstand und zu Drakonia sagte, dass sie wissen würde wo sie ihn finden könnte. Rael hob eine Augenbraue. Er kam ihr so... so zackig vor. So voller unterdrückter Emotionen, wobei sie sich das natürlich auch einbilden konnte. Sein Blick wanderte über sie, weiter zu Eomer und Rael konnte sich keinen Reim darauf machen, was in ihm vorging.
Rael schluckte, wollte eigentlich ebenfalls vor dieser privaten Szene „Drakonia und Eomer“ fliehen, als Drakonia zu sprechen begann. Rael nickte abermals, als sich Drakonia bedankte und Eomer gegenüber alles als einen schlimmen Traum abtat. Sie lächelte milde, suchte ihre eigenen Emotionen und Gedanken herunterzuspielen. Sie hatte verstanden, dass Drakonia vorerst nicht weiter preisgeben wollte, was genau los war und sie selbst hatte auch nicht vor, weiter in die Frau vorzudringen. Dies war eine private Sache und wahrscheinlich empfand Drakonia es bereits als schlimm genug, dass sie so viel mitbekommen hatte. Rael räusperte sich, als Drakonia Eomer sogar auf die Stirn küßte. Sie richtete sich auf, drückte Drakonias Schulter einmal und lächelte den Beiden zu. “Ich lasse euch mal allein. Ich denke, bei dreien ist eine zu viel.“ Rael zwinkerte den beiden zu, blickte Drakonia noch einmal ernst an.
Sie kannte die junge Frau noch nicht lange und doch hatte sie das Gefühl, dass sie einiges gemeinsam hatten. Sie war sich zwar sicher, dass Drakonia ihr Angebot nicht annehmen würde, doch wollte sie es andeuten, nicht aussprechen. So drehte sie sich herum und atmete tief durch. Langsam bewegte sie sich in Richtung Lager. Ihre Gedanken rasten, verirrten sich zu Drakonia, zu Ezekiel und landeten bei Ruffinio. Sie war stolz auf ihre Leistung, war stolz darauf, was sie mit ihren Freunden geschafft hatte. Sie straffte ihren Rücken, sie wollte sich nicht einkriegen lassen. Sie würde sich nicht einkriegen lassen. Ihr Blick wanderte zu Ezekiel, der vor dem Feuer saß. Er kam ihr wie ein Bär vor, der eine verletzte Tatze hatte. Es fehlte nur, dass er verletzt um sich schlug. Was war mit dem Mann los? Was .. und überhaupt? Er war ihr ein Rätsel. Rael seufzte, überlegte, ob sie sich zu ihm gesellen wollte.
Ihr Blick lag auf ihm und unbewußt wanderte ihre Hand zu seiner Waffe. Langsam ging sie zum Feuer und ließ sich neben ihm auf den Boden sinken. Sie stieß den Atem aus und ihr Blick war auf das Feuer und ihr innerstes gerichtet. “Was ist los?“mit Dir? Mit uns? Was war das? Wieso reagierst Du nun so? Was bedeutet sie Dir? Sie stellte nur eine Frage, lagen ihr aber dutzende auf der Zunge. Sie fühlte sich immer noch von Ezekiel angezogen, doch kam ihr sein Verhalten nun so abweisend und hart vor, dass sie nicht recht wußte, wie sie mit ihm umgehen sollte. Sie war sich sicher, dass sie nicht der Auslöser für dieses Verhalten war und doch eine kleine Stimme in ihrem Kopf, pochte darauf, dass sie in die Situation geplatzt war und die Beiden gestört hatte. Sie wußte nur zu gut, dass sie abermals auf ihn zugegangen war und sie wußte auch, dass sie eine stolze Person war, der so etwas nicht sehr leicht viel. Sie hoffte nur, dass er nicht erwartete, dass sie immer auf ihn zutreten würde, denn das würde ihr Stolz nicht zulassen.
Sie wartete eine Sekunde, bevor sie dann doch aussprach, was ihr zumindest auf der Seele lag. Sie hob den Kopf und fixierte den Mann neben sich. Sie wollte ihn ansehen, wollte seine Reaktion sehen. “Was ist mit Dir? Wieso läufst Du davon? Was ist das mit Dir und ihr? Läufst Du vor mir weg? Gehst Du mir aus dem Weg? Ich… Ezekiel..mich verwirrt die Situation, denn ich hatte eben ein bisschen das Gefühl in etwas sehr privates zu stolpern. Sicher waren und sind die Ängste Drakonias überaus privat, aber … nenn mich ein Tor, aber ich hatte das Gefühl, dass da mehr hinter steckt. Ich würde mich ungern mit meinem Herzen in etwas stürzen, wenn ich erst viel zu spät höre, dass ich alle Hoffnung fahren lassen muß. Dafür bin ich zu alt, dafür habe ich zu viel erlebt.“, sprach sie leise und eindringlich.
Temperament ist ein vorzüglicher Diener, doch ein gefährlicher Herrscher.
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