RE: Der Schäfer des Chaos
Verhandeln..., ja. Früher hat das öfters mal funktioniert...
Unter des Imperators Füßen zerbröselten die Marmorfliesen, das Mosaik zersplitterte in eine Milliarde tödlicher Geschosse. Ein Schwall unerträglicher Hitze überwältige ihn und zerzauste seine Gewänder, als sich unter ihm das Inferno aus Feuer und Glut offenbarte. Er war hier schon oft. Und jedes Mal zerriss unbändige Angst seine Eingeweide. Dies war die Hölle, abseits dieser Welt - das Ende. Sein Ende.
Er begann zu fallen, wie immer. Und er schrie und ruderte mit den Armen, während er immer schneller in die Tiefe stürzte - wie immer. Doch für ihn gab es keinen Rückzug auf den Posten eines Beobachters. Eines Analytikers. Er wusste jedes Mal, dass er nicht nur sterben würde. Nein, er würde in alle Ewigkeit die grässlichsten Qualen aller erdenklichen Welten erleiden. Der Tod wäre eine unerreichbare Erlösung, ein Wunsch, größer noch als der nach Liebe oder dem Leben selbst.
Immer schneller wurde sein Fall in den weit aufgerissenen Schlund Luzifers. Und er hörte sie wieder lachen. Gellend laut und voller Hohn und Hass. Ihr Gelächter zerstach ihm das Herz, während es ohnehin langsam verbrannte, ohne dass es ihm das Leben nahm. Sie lachten über das, was er war, was er tat und was er geschaffen. Ihr Hohn zerrte all seine Fehler nach außen, auf dass sie ihn vollständig bedeckten und nichts anderes mehr zu sehen war. Ihr Hass galt nicht nur ihm, sondern allem was ihn ausmachte. Allem was ihn umgab. Allem. Er war eine Witzfigur in einem verfaulten Puppentheater.
Sein Kreischen wurde zu einem Krächzen. Er blickte auf seine Hände und sah, wie sich die Haut von den Fingern schälte, die Fingernägel sich aberwitzig aufrollten und an den Gelenken die Sehnen seiner Gelenke dampfend zerrissen. Seine Zunge begann zu schmoren und verstopfte seine Atemwege; röchelnd warf er einen letzten Blick über die Schulter durch die verbrennenden, zurückbleibenden Überreste seines Körpers nach oben.
Dort stand Andreus mit ernstem Gesicht. Er schien vollkommen unbeeindruckt, lediglich sanfte Sorge umspielte seine Züge. Hatte er nicht gerade noch mit ihm gesprochen? Der Imperator runzelte die Stirn, welche sofort zu Asche zerfiel. Wo war er? Fiel er noch? Unvermittelt wandte er den Blick wieder nach vorn, und...
Ein unmerkliches Zucken durchfuhr den Imperator, während sich sein Blick klärte und Andreus fixierte. Er räusperte sich und betrachtete beiläufig seine Hände. Ein scheinbar erleichtertes Aufatmen folgte, während er den einen oder anderen Ring auf seinen manikürten Fingern zurechtschob.
"Sie werden mich bekommen. Früher... oder später. Du wirst sehen... du wirst es sehen..."
Er schob das Gefühl beiseite, entfernte es gewaltsam aus seinem Geist. Und riss sich zusammen, straffte die Schultern.
"Verhandeln, sagst Du?" er zog die Augenbrauen in die Höhe und musterte Andreus von unten nach oben. Dann drang ein schallendes Lachen in seine Kehle und er ließ es heraus, während er die Hände in die Luft warf und sich wieder zum Fenster drehte. Bei den Göttern...
Er zog die Vorhänge beiseite. Eine undurchdringliche Dunkelheit hatte sich über die Stadt gelegt, doch hinter den Feuern der Residenz und der Wachposten auf den Mauern war der Fuß des Hügels seines Palastes von einem Meer aus kleinen und großen Feuern bedeckt. Rauch wallte durch die Häuser, die Bäume und den tief stehenden Mond. Der schwache Wind transportierte verzerrte Geräusche von vielen aufgebrachten Stimmen, Musik und auch Kampfeslärm zu ihnen herüber.
"Hast Du mal nach draußen geschaut, Du Held?" Der Imperator wies mit ausladender Geste zum Fenster und wandte den Blick wieder Andreus zu, der nun etwas verunsichert wirkte.
"Sehen diese Leute da aus, als würden sie reden wollen?" Er lachte erneut und schüttelte den Kopf, wandte den Blick wieder nach draußen.
"Nein, mein Freund. Die Menschen, die reden wollten, sind nicht mehr. Ihnen sind die Worte ausgegangen. Jetzt ist die Zeit derjenigen gekommen, die mit Waffen sprechen wollen." Er seufzte tief und schüttelte leicht den Kopf, den Blick unverwandt auf die Welt jenseits des Glases gerichtet. "Doch hätte ich nicht gedacht, dass es so schnell geht. Es sind so viele. Es ist doch nicht so, dass ich nicht mit ihnen geredet habe, nicht wahr? Mein ganzer verdammter Hof hat sich bei diesen Leuten die Münder wund palabert! Doch was nützt es, wenn der einzige Wille, der diese Menschen treibt, Gier, Dummheit und unendliche, frevelhafte Naivität ist?"
Er warf den Vorhang zurück, griff nach einem Weinkelch und schenkte sich selbst ein. Die Diener hatte er bereits bei Andreus' Ankunft herausgescheucht. Auch ihnen konnte er nicht mehr trauen...
Gelächter... Beißender Gestank von verbranntem Fleisch... Bald... bald...
Fast hätte er den Wein verschüttet. Vorsichtig stellte er den Krug beiseite und leerte seinen Kelch in einem langen Zug. Mit neuer Sturheit in der Stimme und zusammengebissenden Zähnen fuhr er fort.
"Ich weiß, was mein Volk umtreibt, Andreus. Ich verstehe wirklich nicht, wie Du mir dieses Unwissen zutrauen kannst! Auch müsstest Du von den Bemühungen wissen, die ich bereits betrieben habe, um diesen Wilden ihr widersinniges Handeln bewusst zu machen! Freiheit? Was bedeutet schon Freiheit?? Und was bringt es ihnen tatsächlich, abseits von ihren vernebelten Träumen von Reichtum und Titten?" Verärgert knallte er den Kelch auf einen Tisch. "Ich bin es, der ihnen ihr Leben ermöglicht! Ich allein, ihr Herrscher! Ohne meine allwärtige Macht gäbe es keine Ordnung, keine Gerechtigkeit und keinen Frieden! Alle Menschen, die dort draußen nun blind den verdrehten Worten von Träumern und Halunken lauschen, wurden geboren, gebähren und leben nur, weil es Herrscher wie mich gibt! Sie verschließen die Augen vor der zerstörenden Welt, die mein Reich umgibt! Das müssen sie verstehen, endlich verstehen!!"
Er fasste Andreus ins Auge und trat dicht vor ihn hin. "Ich habe geredet und sie haben mich nicht verstanden. Ich bin gezwungen, die Wahrheit und das Richtige in dieser Welt an diese Menschen zu bringen. Wenn meine Worte sie nicht erreichen..." er schüttelte traurig den Kopf und seine Stimme wurde rauh. "... dann müssen es Angst und Gehorsam für mich tun."
Der Imperator richtete sich auf und blickte auf Andreus herab. "Ich habe es entschieden, es wird nicht mehr geredet." So zügig er sich gestrafft hatte, so zügig sackte er auch wieder in seine gewohnte Haltung zurück und ließ sich auf seinen Divan fallen. Andreus war inoffiziell sein engster Vertrauter, zumindest was persönliche Dinge anging. Ihm fiel es schwer, sein öffentliches Gebaren bei seinem Freund fallen zu lassen. Er bedeutet Andreus, sich ebenfalls zu setzen, was dieser nach kurzem Zögern auch tat, worüber der Imperator sich freute.
"Man hat mir zugetragen, dass viele meiner getäuschten Lämmer einem alten Gladiatoren folgen, der sich seit einigen Wochen wieder in meiner Stadt aufhält. So unglaublich es auch klingen mag, dieser Mann war einst ein hoch geschätzter Akteur in meinen Arenen und hat es weit gebracht. Doch statt die eingelöste Freiheit zu ehren und einer Familie ein Standbein zu sein, hat sich dieser Alte entschieden, dem Volk meine unvergleichbare Leistung an diesem Reich schlechtzumachen." Er warf sich eine Weintraube in den Mund und fuhr kauend fort. "Da viele seine Fähigkeit als Kämpfer aus reiner jungfräulichkeit mit seinen gewandten Worten in Verbindung bringen, geht von ihm eine gewisse..." er wedelte mit der Hand, auf der Suche nach einem guten Wort, "... Gefahr aus." Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. "Es gab mal Zeiten, da waren Gefahren so groß wie Heere und Seeflotten, nicht wahr...? Und nun dieser klapprige Alte! Bei den Göttern!" Er stöhnte und warf sich eine weitere Traube in den Mund.
"Wie dem auch sei... es kommt noch besser. Dieser abgelaufene Clown hat mich doch tatsächlich öffentlich dazu aufgefordert, einen Champion meiner Wahl oder eines jeden der Senatoren gegen einen Gegner aus den Reihen des allgemeinen Volkes antreten zu lassen.." er kicherte jetzt, als würde er einen besonders schändlichen Witz erzählen, "... um den Respekt wiederzuerlangen, den wir angeblich so leichtfertig verspielt hätten...! Kannst Du das glauben? Verlorener Respekt! Respekt, Ha Ha!" Lachend klopfte sich der Imperator nun auf die Schenkel, doch sogleich wurde er wieder ruhig. "Mal abgesehen von diesem... ekelhaftem Frevel, dieser kindlichen Spielerei auf Kosten des Volkes...", er setzte sich auf dem Divan auf und blickte Andreus in die Augen. "... es ist eine Gelegenheit, diesem Greis näher zu kommen. Ich werde seinem Vorschlag entgegenkommen - und ich erwarte ihn als Gast auf meiner Empore während der Kämpfe. Den Augenblick, in welchem in seinen Augen die Träumerei der Wahrheit weicht möchte ich ganz nah miterleben!"
Und dafür werde ich schon sorgen... so wahr ich jede Nacht in der Hölle schmore...
In der höchsten Gefahr kennt die Furcht in der Regel kein Mitleid.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 13.11.2013, 12:07 von Jalina. Grund: Zu spät für korrekte Grammatik :P)
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