Beitrag #1
Die Axt des Tassadar
Es war mitten in der Nacht gewesen.
Der Mond stand im Zenith als ein kleiner Junge, dem wir uns nun widmen wollen, von seinen Eltern wachgerüttelt wurde.
Schlaftrunken rieb er sich die Augen, doch sein Vater zog ihm unerbittlich die dünne Decke fort und zerrte den kleinen Komplotter aus dem Bett. Seine Mutter stand mit verweinten Augen an der Tür. "Was ist denn los, Vater?", wollte Komplotter wissen, doch sein Vater sprach kein Wort. Er drückte dem Kleinen, vielleicht elfjährigen Knaben einen Lederbeutel und ein gefaltetes Stück Papier in die Hände. In der Küche saß ein fremder Mann. Das linke Auge war von einer Klappe verdeckt, sein Gesicht war narbig und er stank wie Komplotters Vater, als der einmal erst morgens aus der Taverne Heim gekommen war. Plottis Mutter zog den Jungen zu sich, umarmte ihn, schaute ihm in die Augen und sagte fast flüsternd: "Du darfst eins niemals vergessen. Vater und Mutter lieben dich." Die Tränen quollen immer heftiger aus ihren Augen und sie wandte den Blick ab.
"Was habt ihr denn alle? Und wer ist das?", forderte Komplotter noch einmal eine Erklärung für die ungewöhnlichen Ereignisse, für die Erregung seiner Eltern und auch für seine eigene Angst, die ihm immer beklemmender die Glieder lähmte.
"Ich bin Glacius. Ich werde dich für ein paar Tage mit mir mitnehmen. Hab keine Angst.", sagte der Fremde. "Ich will aber hier bleiben. Ich muss doch morgen mit Vater aufs Feld! Wo soll..." "KOMPLOTTER", dröhnte sein Vater, "du wirst mit Glacius mitgehen." Plotti kannte diesen Tonfall. Er machte unmissverständlich klar, daß Widerworte nicht nur zwecklos waren, sondern auch zu einigen Schlägen mit dem Stock führten. Plotti schluckte. Er schaute wieder seine Mutter an. "Irgendwann wirst du uns verstehen. Du weisst doch, daß deine kleine Schwester sehr krank ist. So wird sie wieder gesund werden." "Aber, was hat das mit mir und Gla..." "GENUG. Entweder ich bekomme sofort das Blag oder ihr könnt woanders schauen, wo ihr die 5000 Denarii herbekommt.", liess Glacius von sich vernehmen, als er sich schwerfällig und furzend von seinem Stuhl erhob. "Geh nun mein Sohn, bis bald.", sollten die letzten Worte sein, die Komplotter aus dem Munde seines Vaters vernahm. Rabiat riss Glacius ihn am Arm zur Tür hinaus und sie verschwanden in der Nacht.
Glacius zog Plotti mit sich auf sein Pferd hinauf. Sie ritten eine ganze Weile schweigsam in die Dunkelheit hinein. "Wo reiten wir hin?", erkundigte sich Komplotter. Abrupt riss Glacius an den Zügeln und der Rappe stoppte sofort. Glacius warf einen eindringlichen Blick auf Komplotter. Seine Augen blitzten im Mondlicht.
"Es gibt drei Regeln. Erstens: Wenn du versuchst wegzulaufen, breche ich dir die Beine. Zweitens: Wenn du ungefragt sprichst, schlage ich dir das Maul blutig. Drittens: Du tust, was ich dir sage. Hast du das verstanden?" "Ja." "Gut."
Sie ritten weiter. Plotti wagte nicht mehr, den Mund zu öffnen. Was hatte dieser Stinker nur mit ihm vor? Der Gestank biss in seiner Nase, fast hätte er sich übergeben müssen. Er wusste aber, daß dies unter Umständen sein frühes Ableben bedeutet hätte und entschlossen schluckte er die Bröckchen in seinem Mund runter. Er schlief ein.
Als er die Augen wieder öffnete, war die Sonne bereits aufgegangen. Sie ritten gerade in den Hof eines großen Gutshofs hinein. Er war größer als alles was Komplotter je gesehen hatte. Die Bauern aus seinem Dorf lebten alle in kleinen Holzhütten. Die wenigen, die Vieh besassen, hielten es in kleinen Bretterverschlägen, aber das hier. Seine Augen erblickten mindestens zehn große Gebäude. Sie blitzen weiss in der Sonne, ihre Dächer waren mit roten Ziegeln gedeckt und sogar die Erde war mit aneinander gereihten Steinen belegt worden, wie Plotti das einmal auf einer großen Strasse gesehen hatte, die etwas entfernt an ihrem Dorf vorbeiführte. "Hier ziehen die Heere der Römer in die Schlacht.", hatte sein Vater ihn aufgeklärt.
Komplotter erschrak. Er konnte den Beutel, den sein Vater ihm gab, nicht mehr entdecken. Er durchsuchte die Taschen seiner lumpigen Kleidung, aber der Beutel war nicht zu finden. Sofort hätte er ihn fühlen müssen, aber Plotti durchstöberte seine Taschen ein zweites Mal - vergeblich. Immerhin war das Blatt Papier noch in seiner Hose gewesen und er drückte es wie einen Schatz an sich. Glacius stieg vom Pferd, hob Komplotter schwungvoll vom Sattel und stellte ihn auf die Erde. Zusammen gingen sie direkt auf das größte der schmucken Gebäude zu. Zwei bewaffnete Wachen in Rüstung schauten kurz Glacius an, nickten und öffneten die schwere Eichentüre. Hinter der großen Marmorhalle, die sie durchschritten hatten, wartete ein Mann auf sie.
Seine Kleidung strahlte, sogar seine Sandalen blitzten und er roch wie Blumen im Sommer. "Das konnte kein Gold sein, was da in seine kleidung eingewebt war. Oder doch?", schoss es Plotti durch den Kopf, doch er wagte nicht den Blick zu heben, geschweige denn einfach zu fragen.
"Könnt ihr den gebrauchen?", vernahm Plotti die Stimme Glacius, die in dieser Umgebung schon fast vertraut wirkte, "ich verlange 10000 Denarii und ein gutes Mahl." "Geht mir aus den Augen. Der letzte, den ihr angeschleppt habt, ist schon nach 2 Wochen zusammengebrochen. Ich kann eure minderwertige Qualität nicht brauchen. Schaut euch dieses Gerippe an. Der verfrisst ja mehr als 10000 Denarii, bevor er überhaupt aufs Feld kann." "Aber Herr, diese Burschen sind zäh. Er hat schon sein ganzes Leben lang auf dem Feld seines Vaters gearbeitet. Stimmt das nicht, Komplotter?", sprach Glacius und stiess dem Jungen so heftig seinen Ellbogen in die Rippen, das er zu Boden stürzte. Plotti rappelte sich hoch und sprach mit fester Stimme: "Ja, es stimmt. Ich kann mit einer Hacke umgehen und...", er spürte die Faust Glacius in seinem Gesicht und brach vollends zusammen. "Ein Satz genügt du Kröte. Verzeiht, er hat ein großes Maul, aber er kann arbeiten." Sixtus Rupertius Arabicus erhob sich. "Ich gebe euch 7000. Keine Sisterze mehr. Akzeptiert oder geht mir aus den Augen!", fuhr er Glacius an. "Danke, Herr. ich bin einverstanden, Herr.", vernahm man Glacius sofort. "Euer Gold erhaltet ihr von Rolexius. Nehmt es und verlasst mein Land."
Zwei Wachen drängelten die beiden Besucher aus dem noblen Raum, Glacius ging seiner Wege und Komplotter wurde in das Leben auf dem Gut eingewiesen. Er erhielt ein Bett in einer Barracke zusammen mit 15 anderen Jungen in seinem Alter, er bekam zu essen und musste fortan auf den Feldern des Arabicus schuften. Es war ein eintöniges Leben. Jedoch stählte es seine Glieder und über die Jahre reifte der Knabe zu einem stattlichen jungen Mann heran. Die anderen Sklaven behandelten ihn mit Respekt und sogar die Wachen waren ab und an zu einem kleinen Plausch mit ihm aufgelegt.
Aber Komplotter wollte sein Schicksal nicht akzeptieren. Es gab noch viel mehr Sklaven auf dem Gut. Die, die in den Häusern der Herren arbeiteten, lebten getrennt von den einfachen Landarbeitern. Plotti hatte jedoch erfahren, daß diese Lesen konnten. Das Pergament seines Vaters war sein bestgehütetes Geheimnis geworden. Er hatte darüber geplauscht, wie er einst mit der Magd im Heu verschwunden war. Und auch seine heimlichen Absprachen mit einem der Wachen, der ihm ab und an ein paar Lektionen im Schwertkampf erteilte, wenn er ihm denn das Schwert danach blitzeblank putzte, waren ein offenes Geheimnis. Von seinem Zettel hatte er aber nie einer lebenden Seele ein Wort verraten. Er musste jemanden finden, der ihm die Worte seines Vaters vorlesen konnte. Er musste wissen, was auf dem Zettel stand. Es waren nur wenige Striche und Schnörkel, aber sie waren das einzige, was Komplotter von seiner Familie geblieben war. So schlich er sich eines Nachts in die Behausung der Haussklaven, um sich mit Tassadar zu unnterhalten. Tassadar war ein alter Mann, er diente dem Arabicus schon so lange er denken konnte, dennoch war sein Blick wachsam und seine Hände waren stark.
Er hatte Komplotter erwartet. Wie am Mittag auf dem Felde besprochen, zeigte Komplotter Tassadar das kleine Stück Papier, das inzwischen vergilbt und brüchig war. Tassadar studierte es kurz und gab es Komplotter wieder. "Und?", drängelte Komplotter ungeduldig. "Es ist eine Karte. Sie zeigt den Weg in ein Dorf. In das Dorf deiner Geburt."
Komplotters Augen weiteten sich. Das Heimweh, das er über all die Jahre in sich getragen hatte, kochte in einem großen Schwall über und flutete seinen Körper. Auf einmal schien es, als sei es erst gestern gewesen, daß Glacius ihn aus dem Schoß seiner Familie gerissen hatte. Sein Blick trübte sich. Er atmete tief. Dann sah er auf und Tassadar direkt ins Gesicht. "Ich muss hier raus." "Das ist unmöglich, mein junger Freund. Wir beide wissen es." "Es muss einen Weg geben." "Es gibt keinen. Gehe zurück in deine Barracke und schlafe. Es ist sinnlos." "Ich kann nicht. Ich muss mein Familie finden." "Geh oder ich werde die Wachen rufen. Tu was ich dir sage. Wir unterhalten uns ein andermal wieder." Komplotter zögerte, doch tat wie ihm geheissen. Doch eins wusst er sicher. Er würde jede Sekunde damit zubringen, einen Weg, aus diesem Leben zu entfliehen zu suchen. Er trollte sich. Unruhig schlief er ein.
Ein großer Tumult weckte ihn. Es war etwas geschehen. Er sprang auf die Beine, seine Kleidung hatte er nach seinem nächtlichen Ausflug erst gar nicht abgelegt. Vor der Barracke herrschte ein heilloses Durcheinander. Menschen liefen kreuz und quer. Hier und da hieben die Wachen auf die wehrlosen Sklaven ein, doch lagen auch manche von ihnen verstümmelt am Boden. Komplotter rannte. Er wusste genau wohin. Er war schnell. Er wand sich an den Legionären vorbei und stürmte auf das Haupthaus zu - zu Sixtus Rupertius Arabicus. Er würde ihn töten. Er würde ihm sein halbes verlorenes Leben mit einem Faustschlag ins Herz bohren.
Die große Marmorhalle war verlassen. Mehrere tote Wachen lagen herum. Sie waren schrecklich entstellt. Gliedmassen waren abgetrennt worden, Wunden so tief wie ein Bein breit klafften an ihren Körpern. Blut bedeckte den Boden und Komplotter hatte Mühe, nicht darauf auszurutschen. Er nahm ein herumliegendes Schwert und betrat das Gemach des Arabicus.
Er stutzte. Die Szene, die sich ihm bot, hatte er nicht erwartet. Tassadar war dort. Er lag röchelnd auf dem Boden, das Schwert des Arabicus steckte tief in seiner Brust, doch noch pfiff Atem rasselnd durch seine Lungen.
Sixtus Rupertius Arabicus war tot. Eine mannsgroße Axt hatte seinen Kopf gespalten. Hirnpartikel, Blut und Schädelstücke umrandeten das Szenario. Ein Auge, das weit über den Boden gerollt war, starrte immer noch erschrocken auf Komplotter. Er blickte Tassadar an.
"Geh, Junge. Noch kannst du fliehen. Nutze die Stunde. Es wird die einzige sein. Nimm die Axt. Sie ist dein. Sie gehörte meinem Vater und davor seinem Vater und so weiter. Ich habe sie gebraucht, um meinen Sohn zu töten. Ja, du hast Recht gehört. Sixtus Rupertius Arabicus ist mein Sohn. Er hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Es ist meine Schuld, was all die Jahre hier geschah. Als ich vor vielen Jahren begann ihn zu kritisieren, hat er mich immer mehr wie einen Sklaven behandelt. Nachdem einmal alle Wachen ausgetauscht worden waren, hat er allen erzählt ich sei ein alter Spinner, der glaube, sein Vater zu sein. Ich hatte keine Möglichkeit, das Gegenteil zu beweisen. Nimm die Axt und geh. Hier, ich habe dir eine weitere Karte gezeichnet. Suche den Fluss im Süden, wenn du ihm folgst, wirst du dein Dorf finden." Der Alte hechelte in den letzten Zügen. Blut quoll aus seinem Mund und es stank erschreckend. "Ich, ich, möchte dir danken.", hechelte er, "dafür, daß ich endlich den Mut fand, alles zu beenden. Geh. Geh nun!", waren seine letzten Worte.
Komplotter sah auf. Durch die Marmorhalle stürzten bereits weitere Wachen in seine Richtung. Er griff zur Axt. Er spürte ihre Kraft in seine Arme strömen. Obwohl sie so riesig war, liess sie sich führen wie ein Dolch. Sie schnitt durch die Körper der Römer wie durch Wasser. Man würde später Schwierigkeiten haben zu zählen, wieviele Wachen nun starben. Zu groß war das Gewirr von Armen, Beinen, Fingern, Gedärm und Köpfen. Komplotter metzelte all die Wut seines Lebens aus sich heraus. Sein eigener Körper war bedeckt von Blut, doch nicht von seinem eigenen. Er schien unverwundbar. Die Axt um sich schwingend, zerschmetterte er alles in einem zwei Meter großen Radius, ob Schrank, Tisch oder Römer. Sogar die dicken Aussenmauern wiesen schon ein paar Löcher auf.
Die wenigen verbleibenden Wachen hielten respektvollen Abstand, als er aus dem Gebäude auf den Hof trat. Keiner wagte es, ihn anzusprechen, geschweige denn sich ihm in den Weg zu stellen. Er nahm das schnellste Pferd des Gutes und ritt der Sonne entgegen. Inzwischen war es Mittag. Wie im Rausch hatte er stundenlang gemordet.
Er fand den Fluss und folgte ihm nach Süden.
Schon nach wenigen Stunden kam er in Gebiet, an das er sich zu erinnern glaubte. Laut der Karte Tassadars musste er sich nun gen Osten wenden und einen Berg überqueren.
Er hatte kaum den Gipfel erklommen, bekam er Einblick in ein tiefes Tal. Er sah Häuser. Aber was war hier geschehen? Die Häuser brannten, die Felder waren verwüßtet, das Vieh lag erschlagen im Schlamm. Er rannte zum Hause seiner Eltern. Doch alles, was er fand, waren die Leichen seiner Familienangehörigen. Sein Vater, seine Mutter. Auch ein schönes junges Mädchen lag blutüberströmt auf dem Küchentisch. Man hatte sich an ihr vergangen. Sicher mehr als einmal.
Es musste seine Schwester sein.
War er nach all den Jahren einen Tag zu spät gekommen? Oder hatten die Römer gar sein Dorf zerstört, um sich an ihm selbst zu rächen? Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Die Schuld zerfrass ihn.
Er hob die Axt gen Himmel und schrie den Urschrei der geschundenen Seelen. Den Schrei all derer, die nie erfahren haben, was Menschenrechte überhaupt sind. Den Schrei der Freiheit.
Er schrie, daß die Balken knarzten, die Brände noch angefacht wurden und die Tiere des Waldes Schutz suchten.
Er würde sich rächen. Er würde gen Rom ziehen und sich an all dem rächen, was für sein Schicksal stand. Kein Römischer Kopf sollte nach dem Kennenlernern seiner Axt mehr wissen, welchen Torso er bis vor kurzem zu kommandieren pflegte. Plotti stapfte los. Er war auf dem Weg in die größte Arena der Menschheitsgeschichte. Er gegen ein Imperium. Er gegen alle.
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