Beitrag #1
Auf Messers Schneide – Der große Tag [Bibliothekar Vanner]
Auf Messers Schneide – Der große Tag
Tag 1:
Ah, die Sonne, endlich reichen ihre warmen und sommerlichen Strahlen über die sanften grünen Hügel und die roten Dächer Roms hinweg auf meinen zarten Körper herab. Zärtlich streichelt das Licht langsam mit Fortdauer der Zeit und Stück für Stück von meiner obersten Spitze bis hinab, ganz zu meinem untersten Ende. So lange habe ich gewartet auf diesen Tag, auf diese Stunde, auf diesen Moment. Morgen endlich werde ich mir die Gunst des Imperators sichern. Tag für Tag habe ich hart an mir gearbeitet, keinen Weg unversucht gelassen mein großes Ziel zu erlangen. All das bunte Treiben der anderen und die zahllosen Verlockungen des Lebens ignoriert nur um endlich die Chance zu erhalten.
Wahrlich zahllos waren die Möglichkeiten die mir geboten waren, hätte ich bloß eine davon genutzt, so stünde ich jetzt nicht hier, in Mitten der großen und farbenprächtigen Blumen, den Sträuchern, den Bäumen und den Farnen im weitläufigen Garten zu Ehren des großen Imperators und würde nicht versuchen jenes, mein Ziel zu erreichen. Kein Tag und keine Nacht verging an dem nicht irgendeiner dieser verrückten bunten Vögel versuchte mich mit seinen zahlreichen und gefährlichen Waffen zu verunstalten oder mich vor dem Imperator schlecht aussehen zu lassen. Auch diese kleinen gierigen Nager, mit ihren spitzen Schneidezähnen und den großen Ohren konnte ich letztlich mit viel Mühe vertreiben. Am härtesten war sicher jener Tag, an dem diese Bande von Wildschweinen auf brutalste Weise und ohne Rücksicht auf andere zu nehmen, über mich herfiel und mich zu Boden drückte sowie schließlich doch unter stärkstem Widerstand meinerseits in die Knie zwang. Doch auch damals habe ich nicht aufgegeben, habe mich langsam wieder hochgearbeitet, mir Stück für Stück, Blatt um Blatt, Wassertropfen um Wassertropfen von den anderen, die in der Zwischenzeit meinen Platz eingenommen hatten oder dies versuchten, zurückgeholt was eigentlich schon immer mir gehörte. Der Platz an der Sonne, ganz oben über all den anderen nur mehr den großen Imperator über oder neben mir. Dort hin werde ich es schaffen, denn dorthin gehöre ich. Nur noch wenige Tage, dann ist meine Stunde gekommen und mein Ziel erreicht. So stimm ich also ein in mein jährlich’ Abendlied:
„Heute wachs ich, morgen blüh ich,
übermorgen steh ich neben des Imperators Thron!
Ach, wie gut dass niemand weiß,
dass ich Fuchsia heiß!“
Tag 2:
Ein neuer Tag, abermals steigt die Sonne über die sieben Hügel und die großen prächtigen Marmorbauten Roms hinweg, hoch hinauf auf das Firmament, von wo sie ihre warmen Strahlen sendet. Heute endlich werde ich erblühen, ich spüre es tief im Inneren, dass es endlich so weit ist. Dann endlich werde ich nicht mehr hinter den anderen großen und farbenprächtigen Blumen, Sträuchern, Bäumen und Farnen im weitläufigen Park des großen Imperators zurückstehen. Dieser wird nun auch endlich mich mit voller Bewunderung überhäufen, er wird gar nicht anders können, als es zu tun. Keine dieser exotischen Möchtegerns wird mich diesmal aus dem Rennen um den besten Platz werfen. Doch so lange die sommerliche Sonne noch nicht ihre ganze Kraft entfaltet hat und so lange der Imperator noch nicht erschienen ist, werde ich meine Blütenblätter lieber nur ganz langsam und nicht zur Gänze öffnen, um sie nur ja nicht zu früh der Umgebung Preis zugeben und somit zu verhindern, dass die Blütenblätter später farblos wirken.
Die Fanfaren kündigen es bereits an, jeden Augenblick wird der Imperator die marmorne und im Sonnenlicht gleißend Helle Treppe herabsteigen und sich jede einzelne dieser Versager ansehen, letztlich wird er zu mir kommen und wissen, dass er mit mir die richtige Wahl treffen wird. So dann also langsam die letzten Farbstoffe in die bereits duftenden Blüten und die kräftig grünen Blätter transportieren. Jetzt steht es also auf Messers Schneide, wird er mir seine Beachtung schenken oder aber werde ich vergehen ohne jene. Pflanze um Pflanze rückt er vorwärts, Stück um Stück vergrößern sich damit meine Chancen, doch ist dies überhaupt noch einen Zweifel wert? Gleich steht er vor mir, ein letztes Mal noch alles geben und dann ein Leben lang neben dem Imperator strahlen.
Es ist vollbracht, der große und gütige Imperator hat mich erwählt. Der wahre und richtige Sieger dieses Bewerbes wurde gekürt und keiner kann mir diesen Triumph mehr nehmen. So dann werde ich nun ein letztes Mal hier im Garten ruhen um Morgen ein neues Gewand, eine neue Position und die beste Versorgung zu erhalten.
Tag 3:
Ein weiterer Tag, die Sonne steht hoch und dennoch möchte sie tief herabsinken um lieber den Gebrüdern „Wolke“ mit ihrem Trauerregen den Platz zu überlassen.
„Verzeiht mein Herr dass ich euch störe, eure von euch erwählte Pflanze, sie ist nicht mehr. Sie ist wohl durch ihren Übereifer verwelkt und verdorrt. Es scheint als sei der gestrige Tag ihr prächtigster und zugleich ihr letzter gewesen. Doch kann es auch sein, dass Venus über ihre Schönheit erzürnt gewesen, und dies arme Pflänzchen deswegen durch Apollo oder Ceres bestrafen ließ. Gleichwohl war es mit Sicherheit der Will der Götter, der das Lebensende herbeiführte. Ihr Leben stand wohl auf Messers Schneide und obwohl sie stark schien, fiel sie in die Tiefe.“
In the end, all things betray you.
Honor. Ideals. Heroism.
Allies. Comrades. Lovers.
Your eyes. Your limbs. Your heart.
And in the end, you betray yourself.
And that is the greatest betrayal of all.
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