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Morgen-Grauen (Tirgatao)
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Beitrag #1
Morgen-Grauen (Tirgatao)
Obwohl die Sonne sich noch hinter dem Horizont versteckte und nur ein rötlicher Schimmer zu sehen war, strömten die Menschen zur Turnierwiese. Gestern erst war hier das große Turnier zu Ende gegangen, doch heute ging es um etwas anderes. Die Leute waren aufgeregt, fast noch aufgeregter als vor dem großen Turnier, und sie tuschelten untereinander über das sogleich stattfindende Ereignis. Vor zwei mit Wappen geschmückten großen Zelten waren edle Schlachtrösser angepflockt, bereits mit kunstvoll bestickter Decke und Turniersattel, und neben den Zelten lehnten mehrere Lanzen in ihren Halterungen. Doch dies waren nicht die üblichen stumpfen Turnierlanzen, nein, diese hatten Spitzen aus poliertem Eisen.

Ein Mann in den Farben des Burgherrn betrat die Turnierwiese und entrollte langsam ein Pergament, bevor er mit weittragender und wohlklingender Stimme zu verlesen begann.

In diesem Duell um die Ehre treten gegeneinander an
Ritter Regulus von Hohenburg
gegen
Ritter Lucianus von Erlental.
Ritter Regulus steht, als dem Geforderten, die Wahl der Waffen und der Kampfbedingungen zu. Er hat sich für das Tjosten entschieden. Stürzt einer der Ritter vom Pferd, so wird der Kampf zu Fuß mit Schwertern fortgesetzt.
Der Kampf beginnt bei Sonnenaufgang und ist erst beendet, wenn einer der Ritter kampfunfähig auf dem Boden liegt oder sich geschlagen gibt.
Pferd und Ausrüstung des Verlierers gehören dem Gewinner.


Das waren weniger Informationen, als den Leuten lieb gewesen wären. Es kursierten mehrere Gerüchte darüber, warum dieses Duell stattfand, doch in einem waren sich alle diese Gerüchte einig: Regulus von Hohenburg, der für seine Trunksucht und seine Weibergeschichten weit über das Gebiet seiner heimatlichen Burg Silberfelsen bekannt war, hatte Lucianus von Erlental in der Öffentlichkeit so schwer beleidigt, dass dieser ihm mit dem Handschuh ins Gesicht geschlagen und Genugtuung gefordert hatte. Nur über die Art der Beleidigung herrschte Uneinigkeit, und niemand schien es genau zu wissen. Mal hieß es, Ritter Regulus hätte Ritter Lucianus’ Ahnen geschmäht, wieder andere meinte, er hätte dem anderen Ritter gar ins Gesicht gespuckt, ganz zu schweigen von den vielen fantasievollen Schimpfnamen, die angeblich im Spiel gewesen sein sollten.

Tatsache war jedoch, dass sich in Kürze die Erben von zwei der größten Adelsgeschlechter des Reiches im Kampf messen würden. In einem Kampf, der nicht nach Punkten entschieden werden würde, sondern nur durch eine Niederlage im Kampf. Getuschel machte sich breit, denn Ritter Regulus war nicht gerade für sein weiches Herz bekannt. Ein Sieg nach Punkte hätte ihn ja immerhin auch zum Sieger gemacht, jedoch weniger Verletzungsrisiko geborgen als ein Kampf, bei dem der Gegner im wahrsten Sinne des Wortes zu Boden gezwungen werden musste. Früher waren Beleidigungen gar mit einem Duell bis zum Tod gesühnt worden, doch die Zeiten waren unruhig, die Grenzen nicht mehr völlig sicher und der König hatte es seinen Rittern untersagt, wegen einer Beleidigung bis auf den Tod zu fechten. Er brauchte seine Ritter für den Fall, dass Krieg mit seinen Nachbarn ausbrechen würde, und konnte es sich nicht leisten, sie wegen ein paar unüberlegten Worten sterben zu lassen.

Beinahe zeitgleich öffneten sich die Klappen der beiden Zelte, und beide Ritter traten in das dämmrige Licht, das die ersten Sonnenstrahlen schenkten. Die Sympathien der Zuschauer wurden überdeutlich, denn überall erschallte nur Lucianus’ Name, und sollten doch einige wenige Menschen Regulus anfeuern, so ging es völlig unter. Beide Ritter ließen sich von ihrem Knappen auf ihr Pferd helfen und sich eine Lanze reichen. Niemand konnte ihre Gesichter sehen, denn die Visiere ihrer Helme waren bereits beim Verlassen des Zeltes heruntergeklappt gewesen, doch beide saßen aufrecht und stolz im Sattel, der Siegeswille in ihrer Haltung deutlich. Beide trugen auf ihrem Schild das Wappen ihrer Familie, und beide setzten ihre Pferde gleichzeitig in Bewegung, um zuerst den anwesenden Burgherren und dessen Frau zu grüßen und anschließend ihre Position am Tilt einzunehmen.

Und dann begann das Duell und die Menschen hielten den Atem an, als die beiden schweren Schlachtrösser mit donnernden Hufen aufeinander zu galoppierten, ihre Reiter mit den Lanzen zielten, beide mit der Absicht, den Gegner so schnell wie möglich aus dem Sattel zu befördern. Ein Aufatmen der Erleichterung und Enttäuschung gleichzeitig ging durch das Publikum, als beide Lanzen am gegnerischen Schild abglitten, ohne großen Schaden anzurichten. Erleichterung, weil der persönliche Favorit noch im Sattel saß, Enttäuschung, weil gleiches von seinem Gegner gesagt werden konnte. Wieder nahmen beide Ritter Aufstellung, und erneut trieben sie die Pferde an, gebannt beobachtet von allen Anwesenden. Diesmal erklang ein vielstimmiger Schreckensschrei, denn Lucianus’ Lanze war von Regulus’ Schild abgeglitten, doch Regulus’ Waffe hatte auf Lucianus’ Schulter gezielt und der Ritter hatte große Mühe gehabt, der eisernen Spitze im Sattel auszuweichen, ohne vom Pferd zu fallen. Er brauchte einen Moment, um die Gefahr des Sturzes zu bannen und sich zum dritten Durchgang aufzustellen. Doch noch immer drückte seine ganze Haltung Entschlossenheit und Kampfeswillen aus.

Ein drittes Mal donnerten Hufe über die Wiese und preschten die Ritter aufeinander zu, doch beide Lanzen glitten vom gegnerischen Schild ab. Noch zwei weitere Durchgänge brachten dasselbe Ergebnis, nämlich kein Ergebnis. Beide Ritter saßen noch immer unverletzt im Sattel, die Lanze in der rechten Hand, den Schild am linken Arm. Doch beim sechsten Durchgang begleitete aufbrandendes Jubelgeschrei Regulus’ Sturz aus dem Sattel seines Fuchses. Lucianus’ Lanze hatte ihn so heftig an der linken Schulte getroffen, dass es den Ritter aus dem Sattel gehoben hatte und er noch froh sein konnte, beim Sturz die Steigbügel verloren zu haben, da sein Pferd im Moment des Aufpralls einen Satz nach vorne gemacht hatte und mit verdrehten Augen weitergaloppiert war. Einige der anwesenden Knappen hatten Mühe, das Tier wieder zu beruhigen und einzufangen. Derweil half Regulus’ Knappe seinem Herrn wieder auf die Beine, während Lucianus sich von seinem Knappen aus dem Sattel helfen ließ.

Die Spannung, die in der Luft lag, war fast mit den Händen greifbar. Man wusste, dass Lucianus sich am vorigen Tag beim Turnier eine Beinverletzung zugezogen hatte, von der noch niemand genau wusste, wie schlimm sie war, und die Leute sahen mit Genugtuung, dass der Ritter kaum hinkte. Dennoch war natürlich nicht auszuschließen, dass das Bein unter größerer Belastung Probleme machen würde. Regulus dagegen hatte einen heftigen Stoß gegen die Schulter erhalten, auch wenn die Lanze nicht durch die Rüstung gedrungen war, und war dann mit dem Rücken auf den Boden geprallt. Auch bei ihm war nicht sicher, wie gut er sich würde bewegen können. Nicht dass sich der Großteil des Publikums auch nur im Geringsten dafür interessiert hätte, in welchem Zustand der Hohenburger war, schließlich standen die meisten auf Lucianus’ Seite.

Die beiden Ritter gingen mit gezogenen Schwertern aufeinander zu, umkreisten einander, suchten nach Schwächen. Und das Publikum fieberte mit, drückte Daumen, schrie Anfeuerungen. Die Sonne stieg langsam höher, tauchte die Wiese in immer helleres Licht. Zuerst schien es noch, als wollte keiner der beiden Männer den Anfang machen, als würden sie sich nun den Rest des Tages auf diesem Stück Wiese umkreisen, schweigend, lauernd. Wie zwei Raubtiere. Und dann ging es ganz schnell, Schwert klirrte auf Schwert, und noch einmal, dann Schwert gegen Schild, Schwert auf Schwert, und wieder Ruhe. Keiner von beiden hatte einen Treffer landen können, und wieder belauerten sich die Kontrahenten, suchten nach einem Vorteil, einer Lücke in der Verteidigung des jeweils anderen. Und umkreisten sich. Bevor sie wieder aufeinanderprallten, ihre Schwerter und Schilde zum Klingen brachten. Und sich wieder ergebnislos trennten.

Es war anzunehmen, dass beide inzwischen schwer atmeten, doch ihre Rüstungen gaben nichts preis und die Bewegungen der Männer waren noch immer präzise und kraftvoll. Die Anfeuerungsrufe wurden lauter. Die Menge wollte eine Entscheidung sehen, oder zumindest richtiges Kämpfen, nicht dieses ständige, ereignislose Umschleichen. Ob die beiden Ritter nun trotz ihrer Helme verstanden, was die Menge rief, oder ob sie selbst beschlossen hatten, den Kampf nun endlich zu einem Ende zu bringen, ihre Schwerter prallten heftig aufeinander, die Schläge waren wuchtig, wenn auch anfangs noch ausgeglichen. Mal musste Ritter Lucianus einen Schritt ausweichen, mal wurde der Hohenburger einen Schritt zurückgetrieben. Der Kampf gewann an Härte und an Dynamik, es gab keine Trennung mehr, nur immer neue Attacken, immer neue Versuche, den Gegner zu Fall zu bringen. Der Schild des Erlentalers splitterte unter einem kräftigen Schwerthieb, so dass er nun dieser Verteidigung beraubt war, doch Lucianus ließ sich nicht beirren und teilte weiter Hieb um Hieb aus, die jedoch von Regulus’ Schwert oder Schild abgewehrt wurden.

Das Publikum verfolgte gebannt das Geschehen auf der Wiese, und doch verstanden sie zuerst nicht, warum beide Ritter mit einem Mal ihre Waffen senkten. Stimmen der Enttäuschung erklangen, Forderungen nach der Fortsetzung des Kampfes. Erst als die Leute das Blut sahen, das zwischen Halsstück und Brustpanzer des Erlentalers hervorquollen, und sahen, wie Ritter Lucianus auf die Knie fiel, das Schwert ihm entglitt und er mit beiden Händen nach seinem Hals griff, wurde der Menge bewusst, dass der Kampf beendet war. Lucianus von Erlental sank vollends zu Boden, lag in seiner schweren Rüstung auf der Seite, die Hände an den Hals gepresst. Und sein Gegner legte sein eigenes Schwert weg, um sich an die Seite seines Gegners zu knien und diesen von seinem Kopf- und Halsschutz zu befreien.

Wenn die Leute verwundert darüber waren, dass der verachtete Regulus von Hohenburg sich niederkniete, um einem Feind, den er gerade besiegt und zuvor beleidigt hatte, zu helfen, so waren sie von den nun folgenden Ereignissen geschockt. Denn sobald Ritter Regulus das schnell bleich werdende Gesicht seines Feindes entblößt hatte und dessen langes silberblondes Haar über seine Hände fiel, war ein dumpfer, verzerrter Schrei zu hören, bevor sich der Hohenburger den eigenen Helm vom Kopf riss und einen weiteren geradezu unmenschlich anmutenden Schrei ausstieß. Während das Publikum noch verwirrt die langen schwarzen Locken betrachtete, die unter dem Helm zum Vorschein gekommen waren und ganz sicher nicht Regulus von Hohenburg gehören könnten, der hellbraune kurze Haare hatte, ergriff der Ritter das Schwert seines nun leblosen Gegners und zog es sich über die eigene Kehle, worauf er auf dem Körper seines toten Kampfgegners zusammensackte. Sein Blut mischte sich mit dem des Erlentalers und der bereits gerufene und herbeieilende Arzt konnte nur noch den Tod der beiden Männer feststellen. Und die Identität der Männer, die nicht Lucianus von Erlental und Regulus von Hohenburg hießen…
14.05.2009, 22:25
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Beitrag #2
 
Am Nachmittag zuvor, in einer Hütte im Wald

Wenn du dein Pferd nur halb so gut reiten würdest wie mich, dann könntest du deinen Bruder im Training spielend besiegen...

Wenn du letztes Mal nicht vergessen hättest, eine neue Flasche Öl zu besorgen, hätte ich mein Pferd besser reiten können und hätte meinem Bruder keine schlimme Muskelzerrung vorgaukeln müssen, um meinen seltsamen Gang zu erklären…

Die beiden Männer, die sich so scherzhaft neckten, lagen nackt und ineinander verschlungen unter einer dünnen Decke auf einer noch dünneren Strohmatratze. Der eine hatte sonnengebräunte Haut, braune Augen und lange, schwarze Locken, der andere, der halb auf ihm lag, den Kopf an seiner Schulter, war eher hellhäutig, hatte grüne Augen und langes silberblondes Haar, das sich wie ein Wasserfall über seine Schultern und die Brust seines Liebhabers ergoss. Auf beiden Körpern glänzte der Schweiß und der Geruch von Sex hing schwer in der Luft. Über den Boden verstreut lagen die Kleider der beiden Männer, sehr einfache Kleider, zu denen ihr gepflegtes Äußeres - rasierte Wangen, gewaschene Haare, saubere Hände - nicht recht passen wollte.

Der Dunkelhaarige strich seinem Partner über den Rücken und presste einen Kuss auf seine Stirn. Der Blonde kuschelte sich an seine Schulter, rieb in kleinen Kreisen über die Brust seines Liebhabers. Eine Weile lagen sie nur so da, berührten einander und küssten sich, bevor der Dunkelhaarige sprach.

Versucht dein Bruder eigentlich immer noch, eine Frau für dich zu finden?

Ein leises Lachen war zuerst die einzige Antwort, die er erhielt, während sein Partner seine Wange über die Haare auf seiner Brust rieb.

Inzwischen habe ich meinen Ruf als Musik- und Literaturliebhaber ausreichend gefestigt, dass Lucianus es als aussichtslos betrachtet, eine angemessene Frau für mich zu finden. Stattdessen versucht er, mein Interesse für die Kampfkünste zu schüren, damit ich mir einen Namen als Ritter machen und so die Gunst einer Tochter aus vornehmem und reichem Hause gewinnen kann.

Nun lachte der Dunkelhaarige auf.

Da wünsch ich deinem Bruder viel Erfolg. Wobei es wohl weniger an der Gunst der jungen Damen mangelt als am Wohlwollen ihrer Väter, die ihr hochwohlgeborenes Töchterchen nur an einen einflussreichen und wohlhabenden Ritter aus vornehmer Familie verheiratet wissen wollen, der sich bereits einen guten Ruf im Reich gemacht hat.

Zum Glück. Ich kann ihnen ja schlecht erklären, dass ich zwar durchaus in der Lage wäre, alle diese Anforderungen zu erfüllen, sollte ich jemals öffentlich meine Fähigkeiten im Kampf demonstrieren, bedauerlicherweise aber keinerlei Interesse an ihren angeblich bildschönen Töchtern habe.

Wie bist du seit unserem letzten Treffen um eine Heirat herumgekommen? Immerhin hast du mir ein paar Jahre voraus, Falco…


Ach Silvanis, irgendeinen Vorteil muss es doch haben, dass mein Bruder ein Säufer ohne An- und Verstand ist.

Der Falco genannte Mann lachte bitter auf.

Seit unser Vater vorletztes Jahr gestorben ist, kümmert sich Regulus um gar nichts mehr. Ich helfe im Hintergrund aus, damit er Silberfelsen nicht völlig zu Grunde richtet. Ich sehe allerdings keinerlei Veranlassung, mich selbst zum Wohle der Familie zu einer Vernunftehe zu überreden…

Das laute Lachen beider Männer erscholl in der Hütte. Als Silvanis sich wieder soweit beruhigt hatte, dass er verständliche Worte herausbrachte, sah er seinen Partner mit einem schalkhaften Grinsen an.

Solltest du dich irgendwann doch zu diesem Streitgespräch mit dir selbst veranlasst sehen, gib mir rechtzeitig Bescheid, damit ich noch einen Vorwand für einen Besuch auf Silberfelsen finden und dir zusehen kann. Bei deiner spitzen Zunge sollte dieses Gespräch mehr als interessant werden.

Seltsam, ich könnte schwören, dass du noch vor einer halben Stunde ganz begeistert von den Talenten meiner ach so spitzen Zunge warst…

neckte Falco nicht weniger grinsend zurück, und kurz darauf wälzten sich beide wieder eng aneinandergepresst über ihre Lagerstatt.


Die Sonne stand bereits tief, als die beiden Männer komplett angezogen die Hütte verließen, um nach einem letzten innigen Kuss auf getrennten Wegen in die Stadt zurückzukehren. Keiner von beiden wusste, dass längst etwas geschehen war, das für sie beide zur Katastrophe führen würde, zu einer, die keiner von ihnen vorausgesehen hatte.
14.05.2009, 22:30
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Beitrag #3
 
Am Morgen des Duells, im Zelt von Ritter Regulus

Falco von Hohenburg schnaubte verächtlich durch die Nase, als er das geräumige und üppig ausgestattete Zelt seines Bruders betrat. Regulus lag mehr in seinem Stuhl als dass er saß, nur in einer mit Weinflecken beschmutzten wollenen Unterhose, und schnarchte vernehmlich. In seinem Mundwinkel war Rotwein getrocknet, und der herabgefallene Kelch hatte eine dunkelrote Pfütze auf dem teuren Teppich hinterlassen.

Das Beste ist gerade gut genug für den hochwohlgeborenen Ritter Regulus von Hohenburg. Wenn er dann nur auch entsprechend damit umgehen würde.

Ohne auch nur zu versuchen, seinen älteren Bruder zu wecken, machte sich Falco daran, die Spuren der letzten Nacht zu beseitigen. Er stellte den Kelch beiseite, rollte den beschmutzten Teppich zusammen und versteckte ihn in der hintersten Ecke des Zeltes. Die Teller und Schüsseln vom üppigen Nachtmahl stellte er auf einem niedrigen Tisch zusammen, und zuletzt hob er seinen Bruder aus dem Stuhl und trug ihn in den hinteren, nur dem Ritter vorbehaltenen Teil des Zeltes, in dem Regulus eine Lagerstatt stehen hatte, die er im allgemeinen mit Huren nutzte, wenn er keine Lust hatte, zu seiner Gattin in die Burg zurückzukehren - also fast jede Nacht.

Wenigstens muss ich nicht auch noch eine seiner Gespielinnen aus dem Zelt räumen, die mit Sicherheit genauso betrunken wäre wie er gerade.

Doch es gab ein großes Problem: es war nicht mehr viel Zeit bis Sonnenaufgang, und Regulus war noch immer nicht wieder aufgewacht. Allein bei dem Gedanken an den Grund für das Duell schäumte Falco innerlich vor Wut. Sein Bruder hatte es ihm gestern Abend haarklein und mit größtem Vergnügen erzählt, wie er auf der Straße auf Ritter Lucianus von Erlental zustolziert war, wie er ihn abschätzend von oben bis unten gemustert hatte und wie er ihn verhöhnt hatte.

Ich habe gehört, Ihr habt Eure Gemahlin trotz ausdrücklicher Einladung seitens unseres Gastgebers nicht mit zu diesem großen Turnier gebracht, Ritter Lucianus.

hatte er für Falco wiederholt, in dem gleichen zuckersüßen Tonfall, den er zweifelsohne gegenüber Lucianus von Erlental gebraucht hatte.

Hattet Ihr Angst, sie könnte von Eurer Vorliebe für Knaben erfahren? Habt Ihr deshalb Euren verweichlichten, Liebeslieder trällernden kleinen Bruder mitgebracht? Damit er Euer Bett wärmt?

Falco hätte Regulus am liebsten an dem hämischen Lachen ersticken sehen, mit dem dieser wohl auch den Ritter geschmäht hatte. Wie konnte er es wagen, den Mann, den er liebte, so zu beleidigen? Und er konnte ihn noch nicht einmal verteidigen, wenn er nicht die Entdeckung ihrer Beziehung riskieren wollte. Er musste sich die Szene immer wieder anhören, ebenso wie Regulus’ wortreiche Freude über das anstehende Duell und seine Pläne dafür, wie er Ritter Lucianus, dieses verweichlichte Stück Dreck, bluten und verrecken lassen würde.

Während Falco noch überlegte, wie er das Problem seines kampfunfähigen Bruders am besten lösen sollte, erklang von Regulus’ Bett ein lautes Stöhnen und dann kam sein Bruder auch schon wankend auf die Beine. Seine Augen waren glasig und sein Atem stank nach Wein, doch Regulus schien erstaunlich klar. Und das ängstigte Falco. Er würde sicherlich keine Träne weinen, sollte sein Bruder im Duell fallen, es wäre kein Verlust. Auch wenn er, Falco, dann würde heiraten und Erben zeugen müssen, was in seiner Lebensplanung bisher nicht vorkam, und die Treffen mit Silvanis sicherlich erschweren würde. Doch Regulus schien den Suff vom letzten Abend genauso gut wegzustecken wie immer, und wurde minütlich sicherer auf den Beinen, während in seinen wässrig-blauen Augen ein fast schon irrer Hass glomm.

Heute wird dieses dreckige Schwein sterben. Der giert nie wieder nach Knabenhintern!

fauchte Regulus, gefolgt von einem Kichern, das beinahe schon hysterisch klang. Falco hatte keinen Schimmer, welcher Saufkumpan seinem Bruder diesen Unsinn erzählt hatte, doch er bekam Angst um Lucianus. Er wusste, dass der Ritter ein rechtschaffener Mann war, ein Ehrenmann, der sich liebevoll um seine Familie und verantwortungsbewusst um seine Burg und seine Ländereien kümmerte.

Also das genaue Gegenteil von Regulus.

Und er wusste, dass Silvanis sehr an seinem älteren Bruder hing, auch wenn er ihm sein größtes Geheimnis nie würde offenbaren können. Lucianus’ Tod würde ihn tief treffen, und Falco wusste, dass Lucianus eine Verletzung am rechten Bein hatte, also wohl nicht mit voller Kraft würde kämpfen können. Er musste etwas tun, Regulus durfte nicht gegen Lucianus antreten, er durfte den anderen Mann nicht töten. Er mochte, dem Erlass des Königs zähneknirschend folgend, öffentlich erklärt haben, dass es nur um die Niederlage im Kampf ging, doch so, wie er sich im Moment benahm, würde er sich nicht damit zufrieden geben, Lucianus am Boden zu sehen. Und wie leicht konnte man auch in einem Kampf, in dem der Tod des Kontrahenten für den Sieg nicht gefordert war selbigen Tod herbeiführen, ohne es allzu offensichtlich zu machen, dass es von vornherein das Ziel war.

Ohne bewusst darüber nachgedacht zu haben, schlug Falco mit dem metallenen Knauf seines Messers zu, schlug Regulus bewusstlos und zog und hob ihn zurück auf sein Lager. Sobald Regulus wieder erwachte, konnte er ihm immer noch erzählen, er sei plötzlich umgekippt und mit dem Kopf auf der Kante des niedrigen Tisches aufgeschlagen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Regulus am Morgen nach einer durchzechten Nacht ein Missgeschick oder Unfall passierte, und er würde es schon glaubhaft machen können. Damit war Lucianus wohl vorerst außer Gefahr, ging es Falco durch den Kopf, während er seinen Bruder bequem bettete und sorgfältig zudeckte. Wenn er anschließend den besorgten Bruder spielen wollte, konnte er ihn bedauerlicherweise nicht einfach irgendwo irgendwie liegen lassen.

Doch das Problem des Duells blieb bestehen. Wenn Regulus nicht antrat -was er nun ja definitiv nicht konnte -so würde das die ganze Familie von Hohenburg entehren, sie alle würden die Schande mit tragen müssen. Regulus’ Gemahlin würde sich furchtbar grämen, und sie würden später Schwierigkeiten haben, für die bereits geborenen zwei Kinder sowie für alle zukünftigen einmal angemessene Heiratskandidaten zu finden. Das Mal der Schande würde lange an der Familie kleben bleiben, wie Pech, und Regulus mit seiner Trunksucht und seiner Hurerei wäre sicherlich nicht in der Lage, den Ruf der Familie wieder zu bessern. Ihr Vater würde sich im Grabe herumdrehen, wenn einer seiner Söhne nicht zu einem Duell erschien. Die harte Arbeit, die Treue und Loyalität ihrer Ahnen wäre umsonst gewesen, der bisher noch relativ gute Ruf des Hauses dahin.

Das kann ich nicht zulassen. Ich bin auch Vaters Sohn, ich kann doch nicht zusehen, wie alles, wofür er so hart gearbeitet hat, von Regulus zerstört wird. Ich kann mich daran nicht beteiligen, ich muss versuchen, zu retten, was zu retten ist!

Kurz entschlossen änderte Falco seine Taktik. Er knebelte seinen Bruder, band ihn an der Lagerstatt fest und zog schließlich den Vorhang zu, der den Schlafraum vom Rest des Zeltes trennte. Im Hauptraum zog er Regulus’ Kleidung an, versteckte seine eigene, und begann, in die Rüstung seines Bruders zu schlüpfen. Regulus’ Knappe betrat das Zelt, und Falco musste ihn nicht lange überzeugen, ihm bei der kleinen Scharade zu helfen. Er erklärte Regulus schlicht und ergreifend für berauscht und ohne Bewusstsein und legte dem Knappen überzeugend dar, dass dieser Tausch der einzige Weg war, die Familienehre noch zu retten. Da auch der Knappe darunter leiden würde, wenn sein Herr entehrt würde, stimmte er der Täuschung zu und half Falco, Regulus’ Rüstung so anzulegen, dass niemand einen Unterschied würde feststellen können.

Während der ganzen Prozedur des Rüstens überlegte Falco, wie er am ehesten sicherstellen konnte, dass Lucianus mit so wenig Verletzungen wie möglich aus diesem Duell herausginge. Ein Sieg war ihm bei weitem nicht so wichtig wie ein ehrenhafter Kampf. Am liebsten wäre er hinausgegangen und hätte Lucianus das Schwert vor die Füße geworfen, doch zum einen wäre auch dies unehrenhaft gewesen, und zum anderen würde die Täuschung dann mit Sicherheit auffliegen, würde doch niemand ernsthaft glauben, Regulus hätte sich einfach so geschlagen gegeben. Nein, er musste Lucianus einen harten Kampf liefern und sich eben doppelt anstrengen - einmal, um gut zu kämpfen, und einmal, um Lucianus nicht unnötig zu verletzen. Auf diese Weise würde er das Ansehen der Familie von Hohenburg hoffentlich retten können.

Schließlich war Falco bereit und ließ den Knappen die Zeltklappe öffnen, um nach draußen zu treten. Fast zeitgleich sah er Lucianus aus seinem Zelt kommen. Nun würde der Kampf also beginnen. Den ganzen Kampf hindurch hielt sich Falco an sein Vorhaben, hart aber fair zu känpfen und Lucianus nicht unnötig zu verletzen. Lucianus schien weniger Skrupel zu haben, was man ihm nach Regulus’ Beleidigungen kaum verdenken konnte, und Falco nahm die Schmerzen hin, die der Lanzenstoß und der Sturz ihm verursachten. Er musste weiterkämpfen, noch konnte er nicht aufgeben, und so mobilisierte er seine Reserven, um weiterkämpfen zu können.

Doch dann passierte etwas, das Falco nicht geplant und nicht vorhergesehen hatte: seine Klinge rutschte an Lucianus’ Rüstung ab und glitt zwischen Halsstück und Brustpanzer. Sofort lief Blut aus der Rüstung, und Falco sah mit Entsetzen, wie sein Gegner zu Boden ging. Er merkte nicht, wie er selbst auf die Knie fiel, wusste nur, dass er Silvanis’ Bruder helfen musste, dass er die Blutung unbedingt so schnell wie möglich stillen musste, bis der Arzt eintraf und Ritter Lucianus heilen konnte. Keinesfalls sollte Lucianus sterben, sollte Silvanis seinen Bruder verlieren müssen.

Und so löste Falco den Helm seines Gegners, um nach der Wunde suchen und seine Hände daraufpressen zu können. Nur, um mitten in der Bewegung zu erstarren, während sich der Schmerz in seinem Herzen in einem gequälten Schrei Bahn brach. Denn es war nicht Lucianus’ Gesicht, aus dem nach und nach alles Blut wich, und es waren nicht Lucianus’ Augen, die schmerzerfüllt und brechend zu ihm aufsahen, und die weichen, weichen Haare waren nicht Lucianus’. Falco riss sich den Helm vom Kopf, ein weiterer Schrei brach aus seiner Kehle, während er sich nur wünschte, es möge nicht wahr sein, es möge ein Alptraum sein, aus dem er erwachen möge, um festzustellen, dass er in der Hütte in Silvanis’ Armen eingeschlafen war. Alles, nur nicht die grausame Wahrheit, die seine Augen ihm zeigten und die er nicht sehen wollte, die er nicht ertragen konnte.

Warum hab ich ihn nicht erkannt? Warum hat er mich nicht erkannt? Warum?

Falco wusste, es war für jede Hilfe zu spät, der Mann, den er von ganzem Herzen liebte, war nicht mehr zu retten. Das Blut floss zu schnell aus der Wunde, zu tief war das Fleisch geöffnet. Es war kaum mehr Leben in den wundervollen grünen Augen, und beiden Männern liefen Tränen über die Wangen. Es gab nur einen Weg, er würde nicht von seinem Geliebten getrennt sein. Falco ergriff das Schwert, das Silvanis aus der Hand geglitten war, und zog es sich kraftvoll über die eigene Kehle, um dann vornüber auf den leblosen Körper seines Liebhabers zu fallen.

Bis der Arzt zu ihm kam, war bereits der letzte Lebensfunke aus ihm gewichen…
14.05.2009, 22:31
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Am Morgen des Duells, im Zelt von Ritter Lucianus
Silvanis lief unruhig auf und ab. Er war nervös, er hatte Angst und er war unsagbar wütend. Lucianus hatte am gestrigen Abend kaum Worte gefunden, um ihm zu beschreiben, was auf der Straße passiert war, und Silvanis hatte seinem älteren Bruder fast jedes Wort aus der Nase ziehen müssen, um herauszufinden, was nun genau geschehen war, das dieses Duell rechtfertigte. Und nun wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass sich die Hölle auftun und Regulus von Hohenburg verschlingen möge. Wie konnte er es wagen, Lucianus so zu schmähen? Von Regulus’ schamlosen Lebenswandel konnte niemand weiter entfernt sein als Lucianus, der, soweit Silvanis wusste, nicht einen einzigen Bastard gezeugt hatte und sich seit Jahr und Tag verantwortungsbewusst um Burg und Ländereien kümmerte. Und ganz sicher hatte Lucianus nie einen Knaben oder Mann auf diese Art angesehen.

Ein wenig nagte die Scham in Silvanis, schließlich konnte er nicht abstreiten, dass die Beleidigungen auf ihn bis zu einem gewissen Grad zuträfen. Es hatte ihn noch nie nach Knaben gelüstet, immer nur nach Männern, die mindestens sein eigenes Alter hatten, - wenn auch ganz sicher nie nach seinem älteren Bruder! - doch er konnte wohl kaum leugnen, dass er sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlte. Es war sein bestgehütetes Geheimnis, und er lebte in der ständigen Angst, jemand könne Falco und ihn enttarnen. Dennoch war die Angst nie groß genug, ein Treffen mit Falco zu verweigern. Sie konnten sich sowieso nicht ständig sehen, zu verdächtig wäre es, würden sie immer und überall gemeinsam gesehen. Und so trafen sie sich hauptsächlich auf Turnieren, von denen sie sich als einfache Leute gekleidet zu geheimen Treffpunkten davonschlichen, die sie nach einem halben Tag oder Tag gemeinsam auf unterschiedlichen Wegen wieder verließen. Jedes Mal brauchten sie Ausreden ihrer Familie gegenüber, mussten lügen, um nicht entlarvt zu werden, und Silvanis bedauerte es, seinem Bruder gegenüber nicht ehrlich sein zu können. Doch er wusste genau, dass Lucianus für diese Liebe niemals Verständnis haben würde, und er war nicht bereit, Falco aufzugeben.

Irgendwann würden ihre Treffen wohl aufhören müssen, keiner von ihnen würde ewig den Fängen eines Eheweibes entkommen können, sie würden Verantwortung für eine Frau und wohl auch Kinder übernehmen würden und es würde nicht mehr so einfach möglich sein, für einen ganzen Tag in eine Hütte im Wald oder an einen ähnlichen Treffpunkt zu entschwinden. Doch bis dahin wollte Silvanis diese Liebe genießen, diese Treffen.

Lucianus’ schwerere, leicht unregelmäßige Schritte rissen Silvanis aus seinen Gedanken. Sein älterer Bruder hinkte ziemlich, die Beinwunde vom Turnier machte ihm Schwierigkeiten. Und er sah so unendlich müde aus, fand Silvanis. Lucianus musste die halbe Nacht wachgelegen und sich gesorgt haben. Immerhin hatte er eine Frau und drei Kinder zu Hause, ein viertes auf dem Weg. Was der Grund war, weshalb er sein Eheweib auf der heimischen Burg zurückgelassen hatte. Jeder wusste, dass Regulus von Hohenburg trotz seiner Trunksucht kein schlechter Kämpfer war, vor allem jedoch einer, der mit voller Kraft angriff und bei dem man nie genau wusste, woran man war. Es konnte gut sein, dass er heute nicht nur auf einen Sieg, sondern auf den Tod seines Gegners aus war. Seine Laune wechselte von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde.

Silvanis traf kurz entschlossen eine Entscheidung. Er konnte seinen Bruder nicht da hinausgehen lassen. Lucianus durfte keinesfalls da draußen sterben. Nicht wegen einer Beleidigung, an der womöglich sogar Silvanis schuld war. Immerhin sahen sie sich, trotz des Altersunterschiedes von knapp zehn Jahren, erstaunlich ähnlich, und womöglich hatte Silvanis’ Verhalten irgendeinem Saufkumpan von Ritter Regulus Veranlassung zu seinen Vermutungen gegeben, der Silvanis jedoch für Lucianus hielt. Auszuschließen war es nicht.

Und so mischte Silvanis ein starkes Schlafmittel in den kalten Tee, den er seinem Bruder zu dem leichten Frühstück servierte, das dieser vor dem Kampf zu sich nehmen wollte. Er ermutigte seinen Bruder, den Tee auch zu trinken, weil der ihm gut tun würde. Nun, es war nicht wirklich gelogen, aus Silvanis’ Sicht konnte es seinem Bruder nur gut tun, nicht gegen Regulus von Hohenburg anzutreten. Er würde ihm nach dem Kampf, wenn Lucianus wieder wach wäre, erläutern, dass er ihn schützen musste, dass er Regulus nicht triumphieren lassen konnte. Und hoffen, dass sein Bruder Verständnis zeigte und nicht allzu gekränkt reagierte.

Während Silvanis Lucianus möglichst bequem auf sein schmales Ruhelager bettete, das er in einem durch einen Vorhang abgetrennten Teil des Zeltes hatte, und anschließend seines Bruders Kleidung anlegte, dachte er darüber nach, was er in diesem Kampf erreichen wollte. Er wollte keinesfalls verlieren, die Beleidigung musste fortgewaschen werden, Regulus musste widerlegt werden. Und eigentlich hätte er Regulus gerne getötet, doch dann würde Falco den Titel und die Burg erben. Er würde sich um seine Schwägerin und deren Kinder kümmern müssen, es würde von ihm erwartet werden, so schnell wie möglich selbst zu heiraten und für mögliche Erben zu sorgen. Falco würde zwar seinen Bruder kaum vermissen, doch seine Freiheiten würden ihm fehlen. Und ein wenig hatte Silvanis auch Angst, dass so viel Verantwortung und Veränderung auch das Ende ihrer Beziehung wäre. Nein, Regulus sollte besser überleben, es wäre genug, ihn zu besiegen.

Lucianus’ Knappe kam herein und Silvanis achtete darauf, möglichst wortkarg zu bleiben und sich im Schatten zu halten, bis er den Helm aufhatte, der seine jungen Gesichtszüge verbarg und seine Stimme verzerrte. Keinesfalls wollte er, dass der Knappe sein Mitwisser war und Lucianus’ möglichen Zorn mit ausbaden musste. Das hatte der Junge nicht verdient, er konnte ja nichts für die Situation.

Silvanis warf einen letzten unauffälligen Blick auf den Vorhang, hinter dem sein älterer Bruder schlief, und bat Lucianus in Gedanken um Verzeihung. Hoffentlich wurde eine Täuschung aus Liebe milder bewertet als eine Täuschung aus niederen Beweggründen. Mit einem leisen Seufzen trat Silvanis vor das Zelt, dessen Klappe der Knappe geöffnet hatte, und warf einen Blick zum Zelt seines Gegners hinüber. Für einen Moment sahen sich beide an, die Schultern gestrafft und den Kopf erhoben, bevor sie zu ihren Pferden gingen. Silvanis achtete darauf, auf dem rechten Bein etwas zu hinken, da der Allgemeinheit bekannt war, dass Lucianus sich im Turnier verletzt hatte. Keinesfalls wollte er wegen solch einer Kleinigkeit enttarnt werden. Nein, niemand durfte merken, dass nicht Lucianus von Erlental in dieser Rüstung steckte.

Der Kampf lief nicht schlecht für Silvanis, auch wenn er einmal fast vom Pferd gestürzt war, als er Regulus’ Lanze ausweichen musste, und innerlich jubilierte er, als es ihm gelang, Regulus von Hohenburg vom Pferd zu stoßen.

Das sollte seinem Hochmut einen Dämpfer versetzen. Er wird noch bereuen, dass er einen von Erlental geschmäht hat.

Der Kampf ging weiter, und lange konnte keiner von beiden einen entscheidenden Vorteil erringen. Silvanis rann der Schweiß über die Haut, er wünschte, der Kampf wäre bald vorbei. Er hatte zwar insgeheim hart trainiert, aber er mied meist Turniere und war diese Art des Kämpfens deshalb bei weitem nicht so gewöhnt wie sein Gegner. Er spürte seinen Arm langsam ermüden, und inzwischen war das Hinken nicht mehr wirklich gespielt, sondern lag mehr an der Erschöpfung seiner Muskeln.

Sein Schild zerbarst unter einem harten Schlag und Silvanis spürte den Aufprall bis in die Schulter hinauf. Dennoch wehrte er sich weiter, kämpfte weiter, war nicht bereit, aufzugeben. Er musste für Lucianus gewinnen, er musste Lucianus’ Ruf wieder reinwaschen. Sein Bruder war geschlagen genug mit seinem jüngeren Bruder, der sich nach außen hin nur für Musik und Literatur interessierte, und ihm keine große Hilfe war. Jetzt hatte Silvanis endlich die Gelegenheit, Lucianus etwas von seiner Güte und Geduld zurückzugeben, ihm ebenfalls zu helfen, wie es sich für Brüder gehörte.

Im ersten Moment begriff Silvanis gar nicht, was passiert war, als plötzlich ein stechender Schmerz durch seinen Hals zuckte. Seine Hände fuhren ganz automatisch zu der Stelle, und erst, als seine Knie hart auf dem Boden aufschlugen, begriff auch sein Verstand, dass er gerade schwer verwundet worden war. Sehr schwer, wenn er nach dem stetigen warmen Strom aus seinem Hals ging. Seine Kraft schwand rasch und er sank zur Seite, noch immer die behandschuhten Hände an den gepanzerten Hals gepresst. Wie durch einen Schleier sah er seinen Gegner niederknien und ihm den Helm abnehmen und er konnte nur daran denken, dass Regulus von Hohenburg es jetzt beenden wollte, ihm das Schwert in den Hals rammen und hämisch auf ihn herabgrinsen würde.

Er fand sich damit ab, so zu sterben, ihm blieb ja gar nichts anderes übrig, er hatte nicht einmal mehr die Kraft, eine Hand zu heben, geschweige denn einen tödlichen Streich abzuwehren. Doch das, was dann passierte, hatte er nicht erwartet. Der tödliche Schwertstoß erfolgte nie. Stattdessen riss sich sein Gegner selbst den Helm vom Kopf und Silvanis brechende Augen erkannten sofort den einen Mann auf Erden, für den er wirklich alles getan hätte, den er mehr liebte, als sein eigenes Leben. Tränen strömten über Wangen, die die salzige Flut nicht mehr spürten, als Silvanis zu allem, was ihm heilig war, flehte, es möge nicht wahr sein, es möge sich um einen Alptraum handeln, eine Sinnestäuschung, einen grausamen Scherz seines sterbenden Verstandes. Und doch wusste sein Herz, dass es die Wahrheit war, und es schmerzte so sehr, so sehr. Als hätte das Schwert nicht den Hals sondern das Herz getroffen. Es wurde bereits schwarz um Silvanis, als er ein Gewicht auf sich fallen spürte, ein Gewicht, das sein Verstand nicht identifizieren konnte und in dem sein Herz doch den Geliebten erkannte, erahnend was Falco getan hatte und trauernd, trauernd mit dem letzten Atemzug.
14.05.2009, 22:32