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Des Erzählers letzte Geschichte
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Beitrag #1
Des Erzählers letzte Geschichte
Mitten in seiner Darbietung in einer der zahlreichen Tavernen Roms legte sich eine schwere Hand auf dessen Schulter... erstaunt blickte der Geschichtenerzähler auf- und blickte in das grimmige Antlitz eines Zenturio der Prätorianergarde, dessen Worte "Geschichtenerzähler, Du bist im Namen des Imperators festgenommen!" ihn nicht zu ereichen schienen... denn ob des Erscheinens der Prätorianer und seiner offensichtlichen Festnahme durch diese breitete sich Unruhe unter den anwesendenden Gästen aus- und der Centurio erkannte rasch, dass er und die Seinigen es nicht nur mit dem üblichen Pöbel Roms zu tun hatten, denn wenn er seinen Augen trauen konnte, erblickt er er neben den Angehörigen des Pöbels und den Schankdirnen auch namhafte Gladiatoren, Kriegerinnen und Krieger aus den verschiedensten Provinzen des Imperiums, die sich eigentlich feindseligst gegenüberstehen sollten, und sogar Angehörige der Palastgarde des Imperators sah er erst jetzt als Gäste- und all jene blickten ihn und seine Prätorianer hasserfüllt an, während sie zu den Waffen griffen...

Des Centurios Gedankengänge wurden durch des Geschichtenerzählers Stimme unterbrochen, die ihm "Ich kann sie sicher beruhigen... durch eine Geschichte!" als Worte zukommen liessen- der Centurio sah sich beunruhigt um, um dann dem Geschichtenerzähler mit gepresst klingender Stimme zuzumurmeln:"Ja, erzähle eine Geschichte- aber halte sie kurz!"

Langsam und behäbig erhob der Geschichtenerzähler seine Arme, und seiner Bitte um Ruhe ward Folge geleistet. Bedächtig erhob er seine Stimme: "Es war eimal ein Imperator Roms, der seinen Weisen befahl, ihm einen Ring zu schmieden, der ihn fröhlich mache, wenn er traurig sei- und ihn traurig mache, wenn er fröhlich sei. Die Weisen des Imperators fertigten ihm einen Ring mit der Inschrift Auch dies geht vorüber!.

In der Zeit, in der monumentale Denkprozesse bei den Zuhöreren in dem Versuch, des Erzählers Geschichte zu begreifen, zumindestens den Gebrauch der Waffen unterbanden, gelang es den Prätorianern, den Geschichtenerzähler in eine der Zellen unter der Arena Roms zu verbringen...


Die Tür zur Zelle des Geschichtenerzählers war ins Schloss gefallen- und nichts von jenem Komfort, den er von den Tavernen Roms gewohnt war, bot sich ihm- nur der Anblick eines alten Mannes, dessen bleiche Hautfarbe und Bartlänge darauf hindeutete, dass dieser in der Zelle gewiss schon sehr lange weilte. Der Geschichtenerzähler war allerdings ob des Anblickes seines Zellengenossen mitnichten beunruhigt- er vertraute jenen, die seinen Geschichten bisher begeistert gelauscht hatten...

Und es verbreitete sich in den Tavernen Roms...

Die Schergen des Imperators haben den Geschichtenerzähler festgenommen!

Ob Prätorianer oder andere Bedienstete des Imperators- sie alle mussten feststellen, dass ihnen in den Tavernen Roms Service ganz gewisss nicht mehr zuteil wurde...

Und es verbreitete sich in den Provinzen Roms...

Die Schergen des Imperators haben den Geschichtenerzähler festgenommen!

Auf welchen Kampfschauplätzen auch immer, es erstarrten die die Waffe führenden Hände. Ob Angehörige der Troops of Darkness, ob jene, die sich dem Dark Tower verpflichtet fühlen, ob jene, die dem Lichte im Sinne des Zirkels folgten, sie alle vernahmen...

Die Schergen des Imperators haben den Geschichtenerzähler festgenommen!

Jede Feindseligkeit erstarb, und die Kämpen marschierten gen Rom, es galt den Geschichtenerzähler zu befreien...

Jene der Prätorianergarde des Imperators, die für die Bewachung der Gefangenen zuständig waren, bot sich ein Anblick, den sie für ihr Leben lang niemals vergessen würden... auf diese zu eilte eine gar gewaltige Menschenmenge, unter ihnen wirklich alle Tavernenwirte Roms, deren Bedienstete, die berühmtesten Gladiatoren der Arena, die fähigsten Kämpen aus den Provinzen, Arm in Arm, obwohl sie sich eigentlich bekämpfen sollten, und alle riefen voller Inbrunst:

"Gebt den Geschichtenerzähler frei- oder Rom wird brennen"

Der Morgen dämmerte- und der Schlüssel klirrte im Schloss der Zelle. Die kalte Stimme des Centurio verkündete "Deine Zeit ist gekommen, Geschichtenerzähler- mal sehen, ob Deine Geschichten Löwen beeindrucken werden...!" Des Erzählers Blicke trafen seinen Zellengenossen, der stumm zum Abschied nickte- denn es war lange her, dass man ihm ein solches Märchen präsentierte...

Im frühen Morgengrauen zerfleischten Löwen nicht nur den Geschichtenerzähler- das Publikum in der Arena verlieh seiner Begeisterung lautstark Ausdruck. Und nicht einer erinnerte sich an des Geschichtenerzählers Geschichten oder an diesen selbst... er starb schreiend in der Arena wie unzählige vor ihm, wie unzählige nach ihm, unbetrauert und unbeachtet...

PS: Frei nach "The Storyteller" by Barbara and Scott Siegel, in "Kender, Gully Dwarfes and Gnomes", TSR, Inc. 1987
13.05.2007, 00:19