Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste
Lebensweg
Sabeth
Offline
Member
***
Gladiator
Emmingen
Frau Emmm

Beiträge: 209
Themen: 11
Registriert seit: Dec 2005
Beitrag #1
Lebensweg
Mein Name ist Gaia Lucia Minora, ich bin die jüngste Tochter des Gaius Lucius Silvanus. Mit diesen Zeilen möchte ich mein Leben festhalten, in dem ich viele Jahre des Glücks für mich nutzen durfte. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Herkunft ist nichts mehr wert und alles wird auf den Kopf gestellt. Ich war die Ehefrau des Marcus Rufus Corvus – jenes Mannes, der mein Herz bis ans Ende der Tage immer für sich behalten wird. Marcus diente den großen römischen Streitmächten, war auf dem Weg nach oben, wie man so schön sagt. Seine Beförderung vom Optio zum Centurio war schon im Gespräch und das wollten wir bei seinem nächsten Urlaub in der Heimat gebührend feiern. An einem sonnigen Tag, der nur ein paar Wochen vor seiner Ankunft auf dem Hof lag, ereilte mich nun diese Botschaft, die mir die Grundlage meines Lebens unter den Füßen wegreißen sollte.

Ein Reiter galoppierte auf einem schwarzen Hengst, der den Schaum bereits vor den Lippen trug, auf unseren Hof zu. Wir hatten einen kleinen Hof, auf dem wir unser Leben, mit Hilfe von einer Handvoll Sklaven, für die Zeit nach dem Krieg, verbringen wollten. Die Ziegenzucht war für meinen Mann eine ehrenvolle Aufgabe. Jede freie Minute verbrachte er hier, bei mir und unserem Sohn Marcus Rufus. Rutschend kam der Hengst vor mir zum Stehen und Dina, die junge Sklavin, eilte herbei um das Tier in Empfang zu nehmen. Sie hatte ein Gespür für Tiere und sie fühlten sich in ihrer Gegenwart wohl. Der Reiter sprang von seinem Ross und übergab mir eine Schriftrolle. Er neigte sein Haupt und blickte zu Boden. Scheinbar wusste er, welche Botschaft mich dort ereilen sollte und versuchte nun unbeteiligt zu schauen.

"Das Leben deines Mannes wurde durch die Hand des Feindes genommen, doch sei getröstet, wenn ich dir mitteile, dass auch er einige Feinde mit in den Tod riss und so nun den Beinamen „Dolabellae“ über den Tod hinaus tragen wird. Sein Tod war nicht umsonst und wir, die gesamte Legion, sind stolz, deinen Mann zu einem der unseren zählen zu dürfen.

Titus Amatius Magnus"

Mein Leben war vorbei. Sein letzter Kuss vergessen. Sein Blick, als er los zog, war voller Hoffnung, voller Leben – und nun war das alles vorbei? Das durfte nicht sein! Meine Augen füllten sich mit Tränen, liefen über, als wenn sie die Trauer heraus waschen könnten und ich schrie meinen gesamten Schmerz, der mich wie eine Woge am Strand überrollte, hinaus. Meine Knie versagten ihren Dienst und ich sank zu Boden. Der Bote, der mein Leben ungewollt mit dieser Nachricht binnen eines Lidschlags zerstörte, eilte zu mir, doch war ich unfähig mich von ihm halten zu lassen. Worte die er flüsterte, drangen leise an mein Ohr.
Dein Mann war ein großartiger Stratege, er hat vielen Männern mit seinen Ideen das Leben gerettet. Er hat was Großes geleistet.

Ich schlug ihn, denn er besaß die Frechheit, mir etwas über meinen Mann zu sagen, von dem er glaubte, ich wüsste es nicht. Meine Schläge wurden immer weniger und verendeten in einem Schluchzen. Ich ließ es also zu, dass dieser Fremde mich tröstete und versuchte mir meinen Schmerz zu nehmen. Ihm war die Aufgabe alles andere als lieb und auch er kämpfte mit den Tränen, da ein großartiger Mann von ihnen gegangen ist. Sie hatten einen Optio verloren, ich hatte alles verloren, was meinem Leben einen Sinn gab. Den Vater meines Kindes, den Geliebten mit dem ich mein Bett teilte. Was sollte nun aus mir werden? Ich hatte es nicht verdient weiter zu leben – hatte ich doch seinen Kuss vergessen. Nie wieder würden meine Lippen, seine Lippen liebkosen, den Geschmack seines Kusses schmecken und nie wieder würde das vertraute Gefühl mich berühren. Nie wieder würde ich jemanden so lieben, diese vertraute Nähe spüren. Alle Liebesbekundungen, die diese Lippen mir zugeflüstert hatten, würden mit der Zeit verblassen und sich meiner Erinnerung entziehen. Ich war es nicht wert, dieses Leben weiter zu leben. Alles in meinem Körper vermisste den Mann, dem mein Herz gehörte, den ich aber nie wieder sehen würde. Nie wieder! Mit einem müden und traurigen Lächeln blickte ich den Boten an und ergriff seinen Kurzdolch, den ich mir ins Herz stechen wollte.

Ein bittersüßer Schmerz stahl sich durch meinen Körper, die Klinge glitt sanft durch mein Fleisch und ich spürte den entsetzten Blick, des Reiters auf mir, ehe sich meine Augen schlossen. Ich hoffte, es würde für immer sein. Doch mein letzter Wunsch wurde nicht verstanden und man brachte mich zurück ins Leben. Zu dumm, mein eigenes Schaffen zu beenden, hatte ich die lebenswichtige Ader verfehlt und nur durch den Schock fiel ich in einen tiefen Schlaf. Tiefer, als alles, was mir bekannt war. Dieser Schlaf brachte mich zu meinem Mann, der mir sagte, dass meine Zeit noch nicht gekommen sei. Meine Aufgabe war es, um unseren Sohn zu kämpfen und für ihn zu sorgen. Tage mussten vergangen sein. Ich wurde mit einem feuchten Tuch auf der Stirn wach. Mein Körper brannte, doch die Kräuter taten das ihrige hinzu, um meine Schmerzen zu mildern.

Der Reiter war nicht von meiner Seite gewichen. Er hatte es sich auf dem Divan im Krankenzimmer bequem gemacht. Mit einem Lächeln begrüßte er mich zurück im Reich der Lebenden. Ich schaute an ihm vorbei und erblickte den Vogel an meinem Fenster. Es war ein Jagdvogel und das Leben trat erneut zu mir und lächelte mir zu. Warum sollte ich mich verschließen. Ich war Mutter und musste für das Heil meines Sohnes sorgen. In meinem Traum, mit meinem Mann war er so zärtlich, so einfühlsam und ich begann diese Nähe zu vermissen und wollte nun wirklich den Schritt ins Leben wagen, doch mir fehlte der Mut das alles zu beginnen. Mein Mann fehlte mir, die Zärtlichkeiten die er mir gab und sein Dasein. Seine starken Arme, sein schlagendes Herz, seine Blicke die mir zeigten, dass ich die Frau in seinem Leben war und er immer für mich da war. Mir fehlte der Mut, mein Leben ohne ihn zu leben. Zu meiner Familie konnte ich nicht zurück. Mein Stolz hielt mich davon zurück, ihnen mein Leid zu klagen. Wie sollte es weitergehen? Was hätte sich Marcus gewünscht?

Der Reiter, den ich bisher nicht beachtete, kam zu mir und übergab mir einen Beutel. Ein kleiner Lederbeutel, der mit einer einfachen Kordel verschlossen war. In ihm waren ein paar kleine Habseligkeiten meines Mannes. Ein Ring, den er von mir geschenkt bekommen hatte. Die kleine Statue mit dem Pferd aus einem Hämatit geschliffen. Und die Locke meines Haares. Nicht zu bändigen und wild. Mein Herz zersprang in tausend Splitter und ich wollte es dem Heer heimzahlen. Sie hatten meinen Mann in den Tod geschickt und er würde niemals sehen, wie sein Sohn erwachsen wurde. Tränen rannen meine Wangen hinab und der Schmerz war unstillbar. Er bohrte in meinem Herzen, wuchs zu einer reißenden Bestie und würde mich auffressen, wenn ich nicht Acht gab.

Die Tage der Heilung waren lang und Pictor, so hieß der Reiter, strengte sich an, mir den Tagesablauf erträglich zu gestalten. Er kümmerte sich um Marcus, als hätte er von seinem Vater selbst den Auftrag erhalten für uns zu sorgen. Marcus schloss den Mann in sein Herz und so fiel mir meine Entscheidung fortzugehen einfacher. Mein Sohn hatte einen Kameraden, mit dem er gerne Zeit verbrachte und ich konnte mich meiner Aufgabe widmen. Eines Abends fragte ich Pictor, ob er auf dem Hof bleiben wollte, um die Aufgabe zu vollbringen, die sich in mein Leben gedrängt hat. Mit einer Freude in der Stimme nahm er das Angebot an. Er hatte sich scheinbar mehr erhofft, als ich bereit war zu geben. Was auch immer er sich erhoffte – er nahm erst mal meine Hand an und blieb auf dem Hof. Meine Tage der Wanderung in die große Stadt Rom brachen an und ich verließ mein Haus und meinen Hof und mit ihm alle Schmerzen, die auf meiner Seele lasteten.

Die Tage verstrichen wie Pinselstriche auf einem Pergament und die Bilder brannten sich in meinen Gedanken fest. Nie zuvor war ich allein so weit gereist, die Aufgaben hatte mein toter Mann stets übernommen, doch dieses Mal war ich auf mich allein gestellt. Was meine Augen erblickten, hätte eine Frau normalerweise ins Staunen versetzt – doch ich war getrieben von der mir selbst auferlegten Aufgabe. Ich wollte meinem Land ebenfalls dienen und den Tod in einer wilden Schlacht finden, damit ich meinen Mann in den elysischen Gefilden wiedertreffen konnte. Ich wollte meinen Körper anbieten, da ich noch jung war und ich hörte, dass die Legionen sich Huren hielten um den Männern das Leben zu versüßen. Ich wollte in das meist umkämpfte Gebiet, um einen schnellen Tod zu finden und meinen Mann wieder in die Arme schließen zu können. Viele glauben nun, dass diese Vorstellung dem Geiste einer Wahnsinnigen entspringt und warum ich nicht auf dem Hof bei Pictor blieb, bei dem Mann, der meinen Mann kannte und auch dessen letzten Wunsch. Ein Mann, der sich der Aufgabe der Kindererziehung hingab – ohne mich zu bedrängen. Wohl an – diese Frage überkam mich erst Jahre später – als all meine Bemühungen nicht zu dem kamen, was ich so sehr herbeisehnte. Ich war von Blindheit geschlagen und sah nur das Gesicht von Marcus in meinem Geiste und wollte meinen Mann ein letztes Mal halten, meine Arme um ihn legen und seine Nähe, seine Liebkosungen spüren. Die Tatsache, dass er tot war drang nicht in meine Gedanken vor und ich wollte für immer mit ihm vereint, die kostbaren Früchte des Vergessens essen, mit ihm auf den weiten paradiesischen Wiesen sitzen und mein Schattendasein fristen. Heldenhaft sollte mein Tod sein, damit ich würdig war, ihn wiederzusehen.

Was mir bei all dem nicht bewusst war – das Leben einer Hure war beschützt. Diese Erfahrung machte ich ein paar Tage später, nachdem ich in den Dienst am Heer gestellt wurde und die ersten Männer meinen Körper besaßen. Sie wollte Liebe und Küsse – doch konnte ich ihnen keinen Kuss auf die Lippen legen, da ich mir diesen ersten Kuss aufsparen wollte. Er würde für meinen Mann sein und ihm allein gehören. Sicherlich ist es aus der Sicht eines jungen Mädchens nicht leicht nachzuvollziehen, aber ich hatte meinen Geist und mein Leben meinem Mann gewidmet. Den Körper konnten andere Römer gebrauchen um sich vor der Schlacht die Angst von der Seele zu reden oder einfach nur einmal eine Frau zu genießen, ihren Körper zu besitzen und sich mit ihr zu vereinen.

Wir waren 12 Frauen in einem Zelt und die Soldaten kamen des Nachts, um mit uns die Kissen zu teilen. Hingabe war eine Fähigkeit, die ich erst neu lernen musste und so kamen zu mir die jungen Männer, die den Rat einer älteren Frau suchten. Die sich anlehnen wollten und von ihren Sorgen sprachen. Es gab auch den einen oder anderen, der einfach nur seine Männlichkeit unter Beweis stellen wollte und dem ich zu Diensten sein sollte. Diese Männer genossen, was sie bekamen und verfielen dem Liebesakt, der für mich mehr gesteuert als hingebungsvoll war, in den ich sie einwies. Die Mädchen, die mit mir das Zelt teilten, waren aus allen Schichten gemischt und wurden von den Männern wie Königinnen behandelt. Wir hatten das Glück, einer Legion unterstellt zu sein, die sich um das Wohl der Frauen kümmerte – gab es auch immer wieder Berichte von Frauen, denen es anders erging. Wir waren der Kleber, der die Legion zusammenhielt und der Ort, an dem sich die Männer nach einer Schlacht entspannten. Unser Lager war in den Kriegsgebieten immer zwei Stunden Fußmarsch von dem Schlachtplatz entfernt. Den Frauen durfte nichts passieren, denn sie waren gut für die Moral. Ich will nichts beschönigen mit meinen Worten, denn es gab auch Vorfälle, die nicht so liefen, wie die Heerführer es wünschten. Einige Mädchen wurden schwanger und sie wurden zurückgeschickt, sobald man eine größere Stadt betrat, in der das römische Gesetz galt. Die Männer, die sich als Väter sahen, gingen mit zurück und wurden durch Männer, die in der Stadt dem Ruf der Legion folgen wollten ausgetauscht. So gab es immer frische Kämpfer für die römische Sache und für das römische Reich.

Die neuen Männer wurden unterwiesen, dass sie zu uns Frauen gut sein sollten, dann würden wir sie in den Himmel heben und ihnen eine unendliche Lust bereiten, bei denen alle Angst vor den Schlachten fallen würden. Viele Männer zogen aus und nicht alle kehrten zurück. Ob es meinem Mann auch so ergangen war? Ob eine Hure auf ihn gewartet hat? So, wie ich es nun tat, wenn ein Mann, der die Nacht vor dem Krieg, mein Laken teilte, auszog um die Germanen zu unterjochen. Ein Stechen in der Herzgegend erinnerte mich, dass jeder Mann im Dienste des römischen Reiches auf den Schlachtfeldern von einer leichten Frau bedient wurde. Jeder Mann hatte schon die käufliche Liebe genossen und mein Mann war sicherlich auch in den Armen einer solchen gekauften Frau aufgewacht, um am Morgen in den Krieg zu ziehen. Immer mit den Gedanken bei Frau und Sohn. War er wirklich so gewissenhaft in seiner Erinnerung gewesen? Hielt er mich in seinen Gedanken oder – verbannte er mich, damit er ein leichteres Kämpfen hatte? Wenn er keinen familiären Ballast hatte, konnte er sich besser auf die Schwerthiebe konzentrieren, als wenn er mit den Gedanken bei mir verweilte. War ich Schuld an seinem Tod? War es mein Gesicht, welches er vor sich sah, als er in den letzten Atemzügen lag? Mein Herz zerbrach, wenn es wirklich mein Antlitz war, welches ihn in den Tod geschickt hatte. Die Schuld lag schwer auf mir und ich wollte nur noch heim zu dem Kind, was seinen Platz in meinem Herzen verdiente und zurück zu dem Mann, den mein toter Mann auserwählt hatte, für uns zu sorgen. Er hatte dies nicht ohne Grund getan. Pictus war ein Mann, dem er vertrauen konnte, der es wert war an seiner statt auf unserem Hof zu leben.

Mein Weg endete hier und mündete in einen anderen, um ein neues Leben aufzubauen. Den Segen meines toten Mannes setzte ich voraus, hatte er nicht umsonst diesen Knaben zurückgeschickt. Ich sollte lernen, den Fügungen meines toten Mannes zu vertrauen und weinend gab ich mein Leben in den Zelten auf, um mich nach Hause bringen zu lassen. Heimwärts, in ein unbekanntes und frisches Leben. Wo ich meine Geschichte weiter schreiben werde, um das Erlebte zu verarbeiten und den Männern auf den Kampfplätzen Glück zu wünschen und zu beten, dass jeder von ihnen den Weg nach Hause findet.
Nun bin ich müde, doch ich verspreche meine Geschichte nicht in den Brunnen des Vergessens zu geben und werde jedes einzelne Wort festhalten, um ein Bild von der Grausamkeit des Krieges und der Blindheit der Liebe zu zeichnen. In meinem Kopf toben die gesehenen Dinge und wollen alle nach Draußen, alle wollen, dass ich von ihnen berichte. Das wird meine neue Aufgabe sein, wenn ich den Heimweg überlebe.
Sei mindestens genauso ideen- und erfindungsreich in deiner Suche nach innerem Frieden, wie du es auch in der Welt des Wettkampfs und der Neurosen bist.

[Bild: 1537jac.jpg]


Die Anzahl unserer Neider bestätigt unsere Fähigkeiten. (Oscar Wilde)
01.05.2008, 15:14