Beitrag #4
“Geh geht’s alle nach Hintertupfing...“, schimpfte Elisa, als sie sich auf den freien Platz neben Nadja fallen ließ.
Die Straßenbahn war wie jeden verregnetem Morgen rammelvoll. Den Göttern sei Dank hielt Nadja meist einen Platz für sie frei.
Nadja blickte über den Rand ihrer Frauenzeitschrift.
“Guten Morgen liebe Elisa!“, entgegnete sie süffisant.
Elisas Blicke hätten sie in diesem Moment umgebracht, um es nett zu sagen.
“Ja, Du kannst mich auch mal... Red nicht soviel, mein Schädel brummt...“
Nadja senkte die Zeitung und ihre Sonnenbrillen kamen zum Vorschein.
“Stimmt, das letzte Guiness war wohl doch zuviel des Guten... Mir ist noch immer schlecht.“, pflichtete sie Elisa bei.
Diese zog eine Augenbraue hoch und sah Nadja leicht mitleidig an.
“Mädel, ich hab noch nie von Guiness Kopfweh gehabt. Und das weißt Du! Mir tut mein schönes armes Köpfchen vom Traum heute nacht weh...“, giftete Elisa Nadja morgendlich freundlich wie immer an.
“Hey Schnitte, das ist mein Spruch...“, entgegnete Nadja aufgebracht. “Na was glaubst, warum ich ihn gebracht hab?“, grinste Elisa hämisch.
“Mir tut mein schönes Köpfchen heute wenigstens nicht weh, auch wenn ich ebenfalls Mist geträumt hab. Also...“, fuhr Nadja munter fort. ”Klappe Baby! Jetzt erzähl ich mal…”, unterbach Elisa sie schnell, bevor Nadja sie nicht mehr zu Wort kommen lassen würde.
Zwei Reihen hinter den beiden Mädchen saß eine alte Frau mit einem großen Hut, einem Beutel und einem Mantel – die Alte aus dem Café! Lächelnd lauschte sie den beiden Freundinnen und schmunzelte immer wieder still in sich hinein.
“Also, ich... schon wieder dieses kleine Gör – weißt eh, von gestern, was ich erzählt hab.“, begann Elisa mit ihrer Erzählung.
Nadja rollte ihre Zeitung ein und begann sie zwischen ihren Händen zu drehen, während sie zuhörte und an den entsprechenden Stellen nickte.
“Also, wenigstens kam kein Schiff mehr vor, besser gesagt Schifferlfahren. Ich glaub, wir sind so etwa im heutigen Hamburg von Bord gegangen.
Meine Flügelmama war aufgeregt und der Puma hat am Rad gedreht und na ja, irgendwie war’s komisch. Ich hab immer mehr den Verdacht, dass der Traum so etwa 400 nach Christus spielt.“ “Wie kommst denn auf das?“, sah Nadja sie skeptisch über Rand ihrer Sonnenbrille an.
Elisa seufzte. “Naja, kannst Dich an den Vortrag letztens erinnern, den über historische Klamotten? So sind wir rumgelaufen... Und wenn ich an die sanitären Einrichtungen denk, dann bestärkt mich das in meiner Zeitberechnung.“, erläuterte sie ihrer Freundin, woraufhin Nadja nickte.
“Naja, es kam ne neue Person vor im Traum. Die hat schon auf uns gewartet. Eine eigenartige Lady... Ich hab mir gedacht, die ist frisch aus Bram Stoker entsprungen, mit den spitzen Zähnen und so...“ “Schade, kein Mann...“, warf Nadja ein, während sie nun begann die Ecken ihrer Zeitung zu rascheln. “Ja, hab ich mir auch gedacht, aber die war total lieb irgendwie. Ich hab ‚Tante Calida’ zu ihr gesagt und meine Flügelmama war auch total gut mit ihr.“
Elisa blickte auf die Zeitung in Nadjas Händen.
“Bitte, lass das!”, fuhr sie ihre Freundin ein wenig schärfer an, bevor sie weitersprach. “Naja, wir sind eben zu Pferd weitergereist, Richtung nach unten auf der Landkarte...“ “Meinst Du vielleicht Süden?“, grinste Nadja gehässig und spielte mit der Zeitung weiter.
Elisa knurrte, fuhr dann aber mit ihrer Erzählung fort.
“Naja, diese Calida war wie gesagt echt total lieb. Und hübsch, echt hübsch, langes blondes Haar und ja, halt ne Frau nach meinem Geschmack. Gute Figur, schöne Augen, helle Haut und ein hinreißendes Lächeln. Und eine Katze hatte die auch, geiles durchgeknalltes Vieh, sag ich Dir. Aber...“ Elisa unterbrach sich und schluckte hörbar. “Jetzt kommts... Sie hat meine Flügelmama mit andromache angesprochen...“
Nadjas Zeitung fiel zu Boden.
“Andromache? So wie Andromache von meinem Traum?”, starrte sie Elisa ungläubig an. Diese nickte und sprach weiter...
“Es klingt krank, aber ich glaub ja, weil auch Calida von der Nichte meiner Flügelmama geredet hat und dass die in Rom sei und ob es ihrer kleinen blonden Tochter wohl gut gehe... Und achja, ich weiß endlich meinen Namen in dem Traum – anwen!“, plapperte sie weiter.
Und bevor Nadja sie wieder unterbrechen konnte, fuhr sie fort. “Tja, eigentlich, sonst war nix Aufregendes mehr – n bisschen Weiterreisen noch und Calida hat noch gesagt, dass wir bald noch jemanden treffen werden. Aber da hat dann mein Wecker gesungen... Und ich bin auf und hab mir den Schädel an Bücherboard übern Bett angedutscht. Daher auch mein Kopfweh...“, grinste Elisa noch und räumte das Erzählfeld für Nadja.
Diese zog eine Augenbraue hoch und schüttelte ihren Kopf, während sie sich nach ihrer Zeitung bückte.
“Hmm, weißt Du was? Ich glaub, wir verbringen eindeutig zu viel Zeit miteinander. Wenn unsere Träume jetzt schon zusammenhängen, wie wird das dann erst, wenn wir zusammenziehen?“, begann sie ein wenig nachdenklich und Elisa nickte dazu. Sie wollte sich das erst gar nicht vorstellen – konnte es noch irrer werden?
“Aber egal..., winkte Nadja seufzend ab. ”Jetzt hör Dir erst mal an, was ich geträumt habe…”
Zwei Reihen hinter den Mädchen erklang ein leises glockenhelles Lachen, das im Lärm der Straßenbahn jedoch unterging. Außerdem wären die beiden Freundinnen viel zu sehr mit ihren Träumen beschäftigt gewesen, um es überhaupt zu bemerken.
“Wie gesagt, im letzten Traum war alles hektisch. Tja, das war diesmal auch nicht besser.“, begann Nadja mit ihrer Erzählung. “Wir haben unsere Sachen gepackt und sind zu Pferd los Richtung Norden, also rauf.“, grinste sie gehässig.
Elisa schnaubte als Antwort nur leise und zog eine Schnute, hörte aber weiterhin schweigend zu.
“Ich kann mich nicht an viel erinnern, wir sind geritten – quer durchs Gemüse. Wiesen, Wälder, Ebenen, sanften Hügel, durch Flüsse und so weiter. Tja, und dann die Wechsel, Tag und Nacht und Nacht und Tag...“, sprach sie leise und Elisa erschien es, als würden sich die Strapazen der Reise in den Augen Nadjas widerspiegeln, nachdem diese nun endlich ihre Sonnenbrille abgenommen hatte. “Ich hab das alles nicht so genau mitbekommen, es war alles verschwommen, weil alles so schnell ging. Einzig, an einen Abend kann ich mich gut erinnern...“
Nadja grinste und Elisa fiel ihr rasch ins Wort. “Ah! Kreuzte ein hübscher Mann Euren Weg?”
“Nein, leider... Obwohl, das was da kam, war besser...“, lächelte Nadja ihre Freundin verschwörerisch an.
Elisa sah sie skeptisch an – besser? Was konnte das sein?
Nadja fuhr schmunzelnd fort. “Das glaubst Du mir nie!
Wir hatten unser Lager schon aufgebaut, als so ein komischer Tingel-Tangel-Wagen daherkam...“
Elisa blickte Nadja verstört an – was um alles in der Welt war ein Tingel-Tangel-Wagen?
“Bevor Du weiter blöd schaust – ich mein so was wie nen Zigeunerwagen mit Haushalt drin. Aber nicht aus Holz, sondern wie n Planenwagen mit Lederplanen.“, klärte sie Elisa auf und deren Mine erhellte sich sichtlich.
“Naja, das Ding hat sein Lager bei uns aufgeschlagen. Und die Besitzer – die waren geil...“, gluckste Nadja vor Lachen schon. “Aus dem Wagen ist ne Mammi ausgestiegen, so was hat die Welt noch nicht gesehen. Ein rotes Kleid, ein Dekollte zum neidisch werden und schön wie Ornella Muti! Und eine Stimme...“, und Nadja lachte laut auf und schüttelte den Kopf ungläubig. Elisa sah sie nun entgültig verwirrt an.
“Stell Dir vor Joe Cocker und Bonni Tyler haben n Kind. Und das hat Halsschmerzen, drei Liter Whiskey und ne Stange Zigaretten intus – so klang die!“
Elisa grinste – na das musste eine Frau sein, schön wie die Welt und eine Stimme wie ein Reibeisen!
Doch schon erzählte Nadja weiter.
“Und was die zu uns sagte war der Hammer – ob sie uns ihren Schutz anbieten darf!
Aber wenn Du die gesehen und gehört hast, dann hast Du ihr das echt abgenommen.“, schmunzelte Nadja weiter vor sich hin. “Sie hat sich als Theodora vorgestellt und hat uns ihre Tochter Aurora vorgestellt – ein Püppchen, elfengleich, bisschen wie die Casta – nur kleiner. Also das komplette Gegenteil von der Mama!“
Elisa grinste, na das war ne Familie!
“Naja, irgendwie sind meine Mama und Theo dann zum Reden gekommen und die meinte, sie kommt mit mit uns. Sie wartet nur noch auf ihre sechs Söhne mit Kindern und Kegel.
Daraufhin hat meine Mama dann gemeint, dann sollte sie sich auch mal vorstellen – weil bisher war die noch nicht viel zu Wort gekommen.“
Nadjas Blick wurde weich und doch zugleich finster und Elisa spitzte ihre Ohren – was für ein Name würde da nun kommen?
“Tja, meine Flügeldame hat sich als Nofretiri vorgestellt und dann hat sie mich vorgestellt – und da bin ich aufgewacht!“
Elisa lachte lauthals auf und Nadja ereiferte sich ungerührt davon weiter.
“Na wirklich, so ein Quark! Ist das nicht fies!!!“
In diesem Moment hielt die Straßenbahn an der Haltestelle vor der Uni an und die beiden bekamen ein wenig Stress auszusteigen. Gerade noch rechtzeitig schafften sie es...
Und als die Straßenbahn wieder anfuhr, saß die alte Frau noch immer am Fenster und man konnte unter dem Hut smaragdene Augen hervorblitzen sehen. Sie lächelte und hob die Hand, als würde sie die beiden Mädchen, an denen sie gerade vorbeifuhr, segnen.
Abermals war leise die glockenhelle Stimme zu hören.
“Bald, bald werden wir uns wiedersehen...“
...to be continued in 4 days...
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