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Ich, Chrystel, vom Blute der Monegario [Priscylla]
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Beitrag #1
Ich, Chrystel, vom Blute der Monegario [Priscylla]
Auf Messers Schneide

1. Das Papier
Dieses Papier... Ich knüllte es zusammen, meine Finger gruben sich in die Holzfasern. Das Gefühl, welches mich dabei überkam, war überwältigend. Meine Fingernägel suchten nach Falten, in die sie greifen konnten, um das Große Ganze zu zerreißen, das herrliche Geräusch der Zerstörung zu hören, die Schnipsel mit den Augen davon flattern zu sehen und dabei Genugtuung zu empfinden. Sie fanden diese Falten...
Aber sie übten keine Kraft aus, rissen es nicht in Stücke, tausende und abertausende. Meine Augen sahen keinen bleichen Papierregen, mit Sprenkeln von Tusche gezeichnet, meine Ohren missten das absolute Geräusch der Befreiung. Das Geschriebene konnte nicht zurück genommen werden, denn nicht meine Hand hatte es verfasst, nicht mein Kopf hatten die Zeilen erdacht.
Wütend und doch erleichtert die Zerstörung nicht zugelassen zu haben... Was war nur mit mir los?
Ich zog vorsichtig die Falten der Wut auseinander, glättete das Papier auf meinem Kopfkissen, die beschriebene Seite nach unten. Nein, die Schmach es noch einmal zu lesen tat ich mir nicht an.
Meine Finger strichen fast zärtlich über das Papier, die Fasern, den Entscheidungsträger über mich. Das Papier hatte etwas erregendes an sich, jedes Papier. Es war schlicht, es war einfach. Und doch war es teuer und nur von denen begehrt, die mit ihm umzugehen wussten. Es verströmte einen Geruch, der mit nichts zu vergleichen war außer mit... Papier. Es streichelte die Haut auf eine zärtliche und doch durch die Fasern rau unterbrochene Art. Das Geräusch einer Feder auf dem Papier bedeutete meinen Ohren höchsten Genuss. Mein Blick konnte sich in den Maserungen und Fasermustern von Papier verlieren. Es fing mich mit all meinen Sinnen auf eine sinnliche, herbe und auch erotische Art.

Papier

Es war kostbarer als Damast und Seide, als Rubin und Gold, als Perlen und Rouge. All das, was meinen Körper zierte, gäbe ich nur gerne her, wenn ich das letzte Stück Papier der Welt dafür bekäme und mit der letzten Tusche ein paar Sätze schreiben dürfte. Ich würde ihm schreiben, würde ihm schreiben, dass...
Doch nein, ich würde abwarten. Abwarten, was der heutige Abend mir bringen würde, abwarten, ob ich den heutigen Abend überleben würde. Denn das war es, was am allerwichtigsten war. Das war es, was dieses Papier in meinen Händen, unter meinen streichelnden Fingern sagte, das war es, was man mit Papier anstellen konnte.

Das leichte Pochen riss mich aus den Gedanken. Ich schob das Papier unter das Kissen, stand auf und glättete meine Röcke. Rot wie Blut der Unterrock, der frech durch einen Schlitz von der Hüfte abwärts durch das Perlenbestickte Kleid lugte, schwarz wie die Nacht der Rock des Kleides, die Perlen wie Sterne funkelnd darauf. Schwarz... Das war die Farbe, die mein Leben dominierte, die meines Vaters und meines Vatervaters Wappenfarbe war. Schwarz wie mein Herz gewesen, bis ich diesen einen Mann traf, schwarz wie das Blut der Familie Monegario, meiner Familie.
Die Zofe betrat den Raum, den Kopf gesenkt. Sie kündete meinen Cousin an, Luca. Er hatte mich von der Academia Arcana abgeholt und er war mein Begleiter für den heutigen Abend. Dass mein Bruder mich nicht zu sich bat war mir Recht. An seiner Seite und der seiner Frau hätte ich es nicht ausgehalten. Ich würde schon neben ihm sitzen müssen während des Festes, doch den kompletten Abend mit ihm zu verbringen, nein. Er war mein Fleisch und Blut, meines Vaters Kind, meiner toten Mutter Sohn. Und doch würde er mich zu seinen Gunsten verschachern, war ganz erzogen im Sinne meiner habgierigen Tante Isidora.
Doch steckte hinter Lucas Freundlichkeit vielleicht gar mein Bruder Angelo? Oder, schlimmer noch, Tante Isidora? War er eine der vielen Puppen in diesen Spiel der Macht? Aber nein, er war unter meinem Stand. Er war nicht anerkannt, er war ein Bastard. Er war ein Nichts in der Hierarchie der Familia, niemand, der um meine Hand anhalten durfte, nicht so lange mein Vater noch lebte. Und das tat er. Mehr schlecht als recht, ans Bett gefesselt durch Husten und Fieber, durch Schwäche. Aber er lebte. Und das hieß vor allem: Mein Bruder durfte nicht über mich entscheiden, noch lag mein Leben in meines Vaters Hand und er hatte grausam genug gezeigt, dass ich nicht meiner selbst Herrin war. Er war es, der mich an die Academia geschickt hatte, nachdem ich zwanzig Jahre meines Lebens damit verbracht hatte ihm nach zu eifern, ihm eine perfekte Tochter zu werden, die genauso versiert im Handel war wie er selbst, vielleicht gar besser. Ich hatte versucht das Patriarchat zu durchbrechen, mich als Erstgeborene unabdingbar zu machen, mir meinen Platz als Erste der Familie zu sichern, vor meinem jüngeren Bruder und auch vor den Geschwistern meines Vaters. Und dann kam dieser verfluchte Tag vor zwei Jahren, an dem meine arcane Begabung entdeckt wurde. Ich wurde umgehend an die einzige Adresse gesandt, die eine Ausbildung in der Scientia Magica, der Wissenschaft der Magie anbot. Diese Academia war meine zwangsläufige Heimat geworden, in der ich mich mit meinen um vieles jüngeren Mitschülern arrangiert hatte und nebst Klassenbester auch unabdingbare Kraft für die Spectabilitaet, dem Leiter der Academia geworden war. Als Einzige, die in der Buchführung gelehrt war und als Einzige, die das Alter erreicht hatte, das den Handel mit jeglichen Dingen erlaubte, war ich von der einfachen Scolaria ganz nebenbei zu Secretaria aufgestiegen. Eine Ehre, die wohl nie einem Schüler in die Hände hätte fallen dürfen... Wenn nicht mein Vater ein nahmhafter Gönner der arcanen Kunst wäre.
Doch meine Gedanken verschwendete ich besser nicht. Mit dem Augenaufschlag, in dem ich Luca gestattete mich zur Feierlichkeit zu führen, begann das Spiel. Das Spiel um mein Leben.

Er erwartete mich in der großen Halle, trug bereits seine Augen unter der Maske verborgen. Ich spürte die perlenbesetzte Spitze auf meiner Gesichshaut und die Schnüre in meiner Frisur, auch ich war maskiert. Es war zum Maskenball geladen.
Mit der Linken nahm ich, das Haupt zum Gruße neigend, seine angebotene Hand, in der Rechten trug ich den Fächer. Jetzt diente er mir einfach dazu, mir ein wenig kühle Luft zuzufächern, später würde er als Mittel zur Verständigung dienen. Die Lingua der Fächer, die hohe Kunst sich nonverbal zu unterhalten, allein über die Nutzung des Holzgerippes, bezogen mit feinster Spitze, war in meiner Heimat kultiviert worden, diente den hohen Familien zur Verständigung. Eine Verständigung, die die Besatzer nicht belauschen konnten.
Luca fächerte ebenfalls, auf seinen Lippen ein freundliches Lächeln. Seine Verbeugung war tief, ehrerbietig. Er wusste um seinen Stand in der Familie.


2. Familienbande
Im Rahmen der großen Prozession betraten wir den Saal. Mein Blick eilte zu dem Tisch der Gastgeber, den Besatzern meiner schönen Heimatstadt. Die Gerüchte, die in den letzten Tagen die Gassen der Stadt mit Raunen und Flüstern erfüllt hatten, bewahrheiteten sich: Der Imperator selbst war zugegen. Dazu gehörte eine gute Portion Mut, denn diese Stadt, so gefolgsam sie seit der Besetzung und der sofortigen Unterwerfung unter die neuen Herrscher war, war ein Risiko für den Imperator. Der Blutzoll, den er an das Umland gezahlt hatte war hoch. Zudem hatte man mir an der Academia zugetragen, dass der Imperator nur noch wenige Tage Freude an der Stadt Ularia haben würde. Und wenn man das im fünf Reisetage weit entfernten Faradicia, der Stadt in der die Academia ihre Räumlichkeiten besaß und die sich sußerhalb des Imperiums befand, schon wusste, dann war zu erwarten, dass etwas Wahres an dem Gerücht war... ebenso wie an jenem, dass der Imperator selbst auf dem Ball erscheinen würde.
Während wir in angemessenem Tempo an den beiden Familien vorbeischritten, die neben uns geladen waren, musterte ich kurz die Gesichter unter den Masken. Rot war die Farbe der Familia Foscari. Sie war ebenso zugegen wie das Weiß der Familia Barbarigo. Doch während ich vor den Familienhäuptern der Familia Foscari noch einen leichten Knicks machte, die Foscaria waren nach uns die mächtigste Familie Ularias, sah ich die Familienführung der Familia Barbarigo nicht offen an. Sie waren an siebenter Stelle der machtvollen Familien und hatten nicht viel zu sagen. Einzig ihre Matriarchin war durch einen unglücklichen Zustand zur Meisterin des Stadtrates ernannt worden. Doch wie ich meine Tante Isidora einschätzte, würde die überhebliche Barbarigio in dieser Nacht ihren letzten Atemzug tun.
Diese Überlegung warf meinen Blick nach vorne. Als erster schritt mein Bruder, das stellvertretende Familienoberhaupt, führte den Einzug unserer Familie an. An seiner Seite seine Frau, eine schwache Person von unscheinbarem Äußerem, der das Schwarz unserer Familie nicht gut zum viel zu bleichen Gesicht stand. Danach diejenige, die wohl eigentlich die Fäden unserer Familia in der Hand hielt: Tante Isidora Monegario. An ihrer Seite schritt ihre älteste Tochter. Der Mann meiner Tante hatte vor einigen Jahren einen plötzlichen Tod gefunden, der in meinen Augen bis heute nicht geklärt war. Doch man fragte besser nicht, welcher Giftmischer in wessen Lohn die Hände im Spiel hatte, wenn jemand von hohem Rang starb in Ularia. Hatte Tante Isidora vielleicht den Brief geschrieben? Wollte sie mein Leben in den Händen des Imperators vergehen sehen? Konnte sie das wollen, wo nach vielen Generationen nun endlich jemand die Gabe der Magie in sich trug und zum Nutzen der Familia ausgebildet wurde? Konnte sie wirklich meinen Tod wollen?
Mich überlief es kalt. Tante Isidora war alles zuzutrauen. Sie würde nicht das erste Mal einen Mord innerhalb der Familia verschulden. Und nun, da mein Vater schwach und mein Bruder unter ihren Fittichen war, hatte letztlich sie die Macht. Dass mein Bruder in erster Reihe schritt war eine Formaila, lästig aber den Traditionen der Familie geschuldet. Egal wie groß die Macht meiner Tante war, an dem Patriarchat der Monegarios würde selbst sie nichts ändern können.
Angelo, mein Bruder, hielt eine kurze aber herzliche Dankesrede vor dem Imperator. Dass wir zu dem Fest geladen worden waren war eine großzügige Geste des Herrschers über das größte Reich der Erde, doch hätte er uns nicht geladen, wäre seine Macht innerhalb der Stadt untergraben gewesen. Die mächtigste Familia der Stadt nicht zu laden wäre ein Affront gegen das System gewesen. Meiner Familia unterstanden fast ein Viertel der Bevölkerung. Wer nicht vom Blute einer der großen Familien war, musste sich dem Schutz einer diesen Familien unterstellen, um überhaupt ein florierendes Geschäft führen zu können. An der Fassade eines jeden Hauses konnte man dem Anstrich ablesen, welche Familie Patron für die Bewohner war. Es war kaum verwunderlich, dass unter zwanzig Häusern wohl zwischen fünf Fassaden mit schwarzem Stuck verziert waren.

Die Worte meines Bruders und die leise gesprochene Antwort des Imperators, des goldenen Wolfes, konnte ich nicht verstehen. Das maskierte Gesicht mit den markanten Zügen an Nase, Wangen und Kinn jedoch, mit dem schmalen, herb-männlichen Lippen und dem harten Lächeln eines Heerführers zeigte mir an, dass dieser Mann nicht bloß in Sagen Großes vollbrachte. Er war ein Mann mit Prinzipien, ein Mann der Herrschaft, ein Mann, der über Leben und Tod bestimmte. Er war ein Mann, der die Magie verbannt hatte und jegliche Form der Ausübung strafte. Der Wink seiner Hand reichte, um die Wolfsgarde, seine Leibwache, ein Urteil vollstrecken zu lassen. Auf das Wirken von Magie stand der Tod in den Flammen, in dem Feuer der Läuterung, auf dass der Sünder nach dem reinigenden Bad in den leckenden Zungen des Ingis, der Flammae seine Ruhe im Hades finde, unter dem Schutz der fürsorgenden Götter. Die Magie selbst, so der Imperator in einem Manifestum, sei Ausgeburt eines Gottes, der von den anderen seiner Art geschmäht würde, eines ausgestoßenen Gottes, der die Sterblichen mittels bösartiger Verführung in Form der Magica ihre Seelen entreiße. Eben deswegen sei es wichtig einen Maleficus Arcana, dem magischen Übeltäter die Seele zu reinigen, damit einzig die Götter im Nachleben über das Unendliche des Sterblichen entscheiden könnten und nicht ein Nicht-Gott. Was für ein ausgegorener Unsinn, welch lachhafter Versuch die eigene Phobie vor Magie zu rechtfertigen. Doch, so einer meiner Lehrer, verlache nicht die Angst eines Mächtigen, es könnte dein letztes Lachen sein.
So schritt ich an der Seite Lucas am Imperator vorbei, knickste tief und senkte mein Haupt. In meinen Augen sollte der goldene Wolf nicht einen Hauch von Schuld lesen können, denn schuldig war ich nicht.

Der Tisch der Familia Monegario stand am weitesten von der Empore entfernt, auf der die Besatzer Platz genommen hatten. Auch waren wir am weitesten vom Tanzparkett entfernt. Doch das mochte mich nicht stören. Ich genoss an der Seite Angelos das köstliche Mahl und Luca zu meiner Linken unterhielt mich. Er war ein angenehmer Zeitgenosse, von hohem Wuchse und mit einer ihm eigenen Anmut. Wahrscheinlich hatte er die Erziehung Tante Isidoras genossen, war sein Vater, mein Onkel, doch oft auf Reisen und galt seit einigen Jahren gar als verschollen.
In meiner Unruhe jedoch versuchte ich immer wieder einen Blick auf Isidora zu erhaschen. Sie saß am Nachbartisch und ließ sich von ihren vielen Töchtern unterhalten. Viel erfahren konnte ich so gewiss nicht. So sicher wie zu Anfang war ich mir auch nicht mehr, ob sie die Zeilen geschrieben hatte. In ihnen wurde mir einiges vorgeworfen: Mord an frisch Geborenen wurde mir vorgeworfen, meine Waffe die Magie. An diesem Abend des Festes würden die letzten Beweise geliefert und der Imperator informiert, so der Absender des Schriftstückes. Dass mein letzter Atemzug damit getan sei war nur noch eine Klausel, denn wenn der Imperator von meiner Potentia Arcana erführe, dessen war ich gewiss, würde ich ohnehin brennen.
Ich hatte überlegt gar nicht zu erscheinen und gleich wieder zur Academia abzureisen als mich der Brief erreichte. Doch das hätte mich erst recht verdächtig gemacht. Zudem war der Maskenball die einzige Möglichkeit herauszufinden, wer der Autor der Zeilen war. Ich würde ihm das nicht durchgehen lassen, würde einen Weg finden ihn hinzurichten, hinrichten zu lassen, egal wer er war...
Doch das gestaltete sich schwierig. Der Kontakt zu den Mitgliedern der anderen Familien war aufgrund der Tradition untersagt und mir stand auch nicht der Sinn danach mich mit niederem Pöbel zu unterhalten. Nein, meine Suche war auf den engen Kreis meiner eigenen Familie beschränkt. Nur jemand von meinem eigenen Fleisch und Blut konnte derart dreist sein mir so zu drohen. Nur jemand aus meiner eigenen Familie hatte diesen Brief unbemerkt in mein Zimmer bringen lassen können...

Ehe meine Gedanken sich den potentiellen Tätern zuwenden konnten, also allen anwesenden und nicht anwesenden Mitgliedern meiner eigenen Familie, rief der Herold zum ersten Tanze auf. Es war die 'Pavane der Ehre', die schwarz-weiß getanzt wurde: Die Familia Monegario tanzte mit der Familia Barbarigo zusammen. Natürlich tanzte niemand von uns direkt mit einem der niederen Barbarigos sondern mit dem eigenen Partner, jedoch mochte der Tanz an ein Miteinander denken lassen, wenn man von der Empore herabsah auf die tanzenden Paare. Die klaren Strukturen wurden von keinem unterbrochen und der Wechseln von Schwarz und Weiß machten den Tanz optisch mehr als Ansehnlich.
Bei dem Tanz fiel mir auf, wie sicher Cousin Luca in den Schritten war. Anderen Tänzern merkte man zwar ebenfalls keine Schnitzer an, jedoch erwies sich Luca als der beste Tänzer auf dem Parkett, seine Eleganz und Anmut war bei keinem anderen Herrn zu finden. Die Damen schlugen sich allemale besser im Gesamten betrachtet. Ich war mehr als froh, dass ich einen guten Tänzer als Begleiter hatte, freute mich gar auf die noch folgenden Tänze. Diese Hohstimmung wurde noch bestätigt als mein Bruder nebst Frau bei einem Schritt beide in die verkehrte Richtung tanzten. Wenn Vater zugegen gewesen wäre hätte dies ein Nachspiel gehabt...
„... musste von Briefen erfahren“, hörte ich noch neben meinem Ohr geflüstert. Mein Blick hastete von meinem Bruder zu dem Sprecher dieser Worte: Cousin Luca.
„Was für Briefe denn?“, fragte ich leise. Mein Herz jedoch raste, schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, während ich die Ronde vollendete und neben ihm zu Stehen kam. War er derjenige...?
„Die Briefe, die du jeden Mond absendest mit Ziel Corvalia!“, raunte er leise, während er in acht Simples um mich herum schritt, ganz dem Schritt des Tanzes angepasst.
Meine Gedanken jagten einander. Es gab solche Briefe, ich schrieb sie einem Scolarius einer Academia in einem weit entfernten Reiche nahe Teutonia. In Corvalia befand sich ein Arcanes Institut, mit dem meine Academia regen Kontakt unterhielt. Im Winter hatte ein Austausch stattgefunden, wo uns eine Delegation des Instituts besucht hatte. Einer der Scolarii hatte mein Interesse geweckt und es zu Begehren und einer noch tiefer empfundenen Hingabe ausweiten können in seinen Briefen, die wir seit dem gewechselt hatten. Niccolo Foliero sein Name. Wenn ich an ihn dachte, hüpfte mein Herz erfreut und mich sehnte nach den nächsten Zeilen, die ich von seiner Hand geschrieben lesen konnte. Erst vor wenigen Tagen hatte mich sein letzter Brief erreicht und sogleich hatte ich mich daran gemacht ihm zu antworten, hatte schon einen guten Teil meines Antwortschreibens zu Papier gebracht, als mich Cousin Luca abholte.


3. Erpressung
Die 'Pavane der Ehre' endete und die 'Regina India' wurde von den Spielleuten aufgespielt. Bei diesem Tanz tanzt man innerhalb einer Vierergruppe, einem Karree, so dass private Gespräche bis auf wenige kurze Momente unterbunden wurden... es sei denn man legt Wert darauf, dass das andere Paar von dem Gespräch etwas mitbekommt. Dies war in meinem Fall nicht so und ich wollte erst recht nicht dem arroganten Spross der Familie Barbarigio und seiner Frau, die mit Luca und mir das Karree bildeten, Informationen über mich in die Hände spielten. Immer wieder konnte ich Luca mustern, doch seine Züge verrieten nichts. Er hatte sich perfekt unter Kontrolle.
Es waren viele Takte der Unruhe, die mir die Luft zum atmen nahmen. Jetzt erst merkte ich, wie eng das Korsett geschürt war.: Für einen schnellen Tanz weit genug aber für innere Aufruhr zu eng. Selbst der weite Rock schien meine Beine zu fesseln. Selbst das Collier, das auf meinem Dekollete lag, schien mir die Kehle zuzuschnüren, selbst die Maske aus Spitze schien meinen Kopf einzuklemmen.
Was bezweckte Luca damit? Wusste er wirklich von den Briefen an und von Niccolo? Wollte er meinen Bruder durch mich erpressen? War er etwa derjenige, von dem ich den Drohbrief erhalten hatte?
Die 'Regina India' dauerte und dauerte, sie schien zu lang. Und doch blieb mir kaum Zeit meine Gedanken zu ordnen, es blieb gar keine Zeit. Ich merkte erst viel zu spät, dass ich bei dem Wechsel ins neue Karree dem ersten Offizier des Imperators gegenüberstand. Ich knickste in meinen Gedanken so tief, wie ich es bei Luca tat... der Offizier schien erfreut. Bislang hatten ihn Monegari'sche Frauen wohl eher mit steifen Knicksen bedacht und nicht mit formvollendeten, tiefen Knicksen, die im besten Falle gar einen Blick auf den Busenansatz erhaschen ließen. Ich hingegen hatte eben so gegrüßt, wie ich es bei einem Familienmitglied tat, tief und voller Eleganz. Seine Verbeugung fiel entsprechend etwas stärker aus. Luca stand fast steif vor der Dame des Offiziers. Seine Blicke maßen mich, ich spürte sie wie heißes Eisen auf meinen frei liegenden Schulterblättern. Zeit zum Überlegen blieb nicht, der Offizier legte seine Hand gegen meine zur Ronde und ich ging den eingeschlagenen Weg weiter. Nun einen Rückzieher zu machen hätte eine Brüskierung sondergleichen bedeutet. Wenn der Imperator mich noch nicht unter Beobachtung hatte, dann bestimmt spätestens nach einem Schnitzer. Diesen wollte ich aber gerade ausbügeln.
Mit heißer Haut und fahlem Gefühl absolvierte ich lächelnd und mit der absoluten Beherrschung des Tanzes die Schritte, die ich mit dem Offizier zu tanzen hatte. Dann wandte ich meinen Blick zu Luca, der mit der Besatzungsfrau recht steif umging. Ich sah ihr an, dass sie sich mehr als unwohl fühlte, dass sie ihren Mann mit vorwurfsvollem Blick maß, dass sie diese Ablehnung nicht erwartet hatte und nun ihn dafür verantwortlich machte. Sie tat mir fast ein bisschen Leid, war sie doch Gefangene einer Gesellschaft wie ich und wie alle anderen in diesem Saal. Selbst der Imperator, der goldene Wolf, war Gefangener der Ideale. Er musste der unnahbare Herrscher sein, er musste der vollendete Gastgeber sein, der das Spiel der Intrige beherrschte und es in Wahrheit nicht tat. Er musste seine Augen allüberall haben und jede Bewegung sehen, jedes Fächeln eines Fächers registrieren, interpretieren und sich merken. Er konnte das gar nicht schaffen, es sei denn er hatte Zuträger in den großen Familien...
Meine Hoffnung diesen Abend zu überleben schwand in weite Ferne. Wie konnte ich meinen Kopf nur aus dieser Schlinge ziehen?

Als der Tanz zu Ende war, stand ich wieder vor Luca und er lächelte mich an.
„Werte Cousine Chrystel, ich ahne dass es dich nach einem Spaziergang an der frischen Luft sehnt. Gerne begleite ich dich.“, sprach er höflich zu mir.
Mehr als nicken konnte ich nicht. Er führte mich langsam nach draußen, legte mir fürsorglich meinen Schal um die Schultern. Zwar hatte mein Kleid lange Ärmel doch die Schultern waren frei. Woher er in der kurzen Zeit den Schal genommen hatte, lag er doch zuvor über der Lehne meines Stuhles, weit entfernt vom Tanzparkett, interessierte mich nur gering. Trotz der kalten Luft, die mich in der Fühjahrsnacht empfing, fächerte ich mit dem Fächer. Eine in der Sprache versierter Zuschauer konnte daraus lesen, dass ich zutiefst aufgewühlt war. Luca war ein solcher Zuschauer. Er führte mich in den Park des Anwesens. Anfangs waren da noch andere Paare, denen es nach frischer Luft dürstete doch schließlich waren wir zwei alleine und die Laternen waren nicht mehr all zu nah.
Ich blieb stehen, sah zurück zum offenen Portal, von dem wir kamen. Ich mochte eine Meisterin der Täuschung gewesen sein bevor ich an die Academia verbannt wurde, doch es waren zwei Jahre ins Land gezogen, in denen ich meine Familie nicht gesehen hatte und mich mit ihrer Intriganz nicht hatte messen können. Vieles hatte ich verlernt, was mir nun zu Gute hätte kommen können...

Ich sah in Lucas braune Augen, mein Herz raste im Galopp, mein Atem war schwer und mir war heiß und kalt zugleich. Er lächelte sachte, fast freundlich aber eine Spur zu hinterhältig.
„Cousine Chrystel, warum so verstockt? Ich dachte innerhalb der Familia vertraut man sich!?“, fragte er in gefährlich leiser Stimme.
Mir versagte es meine Stimme und ich machte meinen Mund wieder zu, klappte den Fächer rasch zusammen, klappte ihn wieder auf, schob ihn wieder zusammen: 'Du bist grausam'
Er las meine Worte und legte mir eine Hand auf den Arm. Der Fächer fiel kraftlos herab, nur noch gehalten durch die Perlenschnur, die mit meinem Armband verbunden war. Ich hatte Angst vor ihm. Machtvoll genug war ich bei weitem nicht, um ihm auf magischem Wege zu begegnen wenn er mir nun Gewalt antun würde. Da er mich um zwei Kopfgrößen überragte, hätte ich mich nicht einmal körperlich effektiv zur Wehr setzen können. So blickte ich trotzig in seine Augen, forderte ihn heraus mir das zu sagen, das anzutun, wofür er mich hierher entführt hatte. Ich rechnete damit, dass die Wolfsgarde aus den Büschen stürmte und mich vor den Imperator zerrte, ich rechnete mit allem...
„Cousine Chrystel. Du bist mein Weg in die Familia!“, sagte er schlicht. Ich verstand nicht.
„Ich weiß, dein Vater hätte dies zu entscheiden oder gar dein Bruder. Doch lass es uns so darstellen als sei es Liebe!“, er nahm zärtlich meine Hand in seine.
„Luca... Was... ich...“, ich bekam keinen zusammenhängenden Satz heraus. Seine Worte verwirrten mich, trieben mein Herz zu einem noch schnelleren Schlag. Ich spürte, wie etwas kühles über meinen Finger strich, über ihn glitt. Luca schloss seine Hand um meine und hob sie dann an, um den Ring zu küssen, den er mir übergestreift hatte. Seine Lippen formten leise dabei Worte: „Heirate mich. Andernfalls gebe ich die Briefe von Niccolo an deinen Vater, deinen Bruder und Tante Isidora weiter!“
Eine so zärtliche Geste, solch harte Worte. Sie waren wie Schläge in mein Gesicht, trafen mich hart, schleuderten mich zurück. Ich riss meine Hand aus seiner und rannte, rannte weg von ihm, rannte weg vom Licht, tiefer in den Garten. Die Fingernägel, die sich in meine Handballen gruben schmerzten so sehr, dass ich die Tränen zurück halten konnte. Ich hielt erst an, als ich völlig außer Atem war. Da ich schon zuvor nur flach hatte atmen können, war dies recht bald schon, nur wenige Duzend Schritte von dem Anfangsort meiner Flucht entfernt. Cousin Luca war schon da, war hinter mir und legte seine Hand auf meine Schulter.


4. Eine Entscheidung
„Überlege es dir gut, Chrystel. Wer weiß was die drei mit den Briefen anfangen würden und was dann mit Niccolo passieren würde!“, mahnte mich die Stimme meines Cousins. Ich hasste ihn, hasste ihn aus tiefster Seele, mit all dem was ich war und was mich ausmachte. Und dennoch drehte ich mich um, hoffte ihn mit meinem Blick töten zu können. Doch er lächelte nur überheblich.
„Woher weißt du...?“, zischte ich wütend, verzweifelt.
Er schob seine Hand in eine verborgene Tasche seines aus schwarzem und blutrotem Stoff gefertigtem Wamses und holte ein Papier hervor. Feines Papier mit zarten Fasern, einer Maserung, die einmalig war. Ich konnte auf die Distanz riechen, dass in Lavendelrauch getrocknet war. Es war Papier von der Schöpfergilde in Faradicia, der Gilde, bei der ich mein Papier zu kaufen pflegte. Als er die Seiten vorsichtig auseinander faltete, sah ich die geschwungene, steile Schrift, die meine Hand verließ, wenn ich eine Feder auf Papier setzte. Es war mein noch nicht abgeschickter Brief an Niccolo. Ich hatte die Torheit besessen ihm meine Liebe zu gestehen... und das Papier in meiner Kammer in der Academia zu verstecken. Luca musste ihn gefunden haben als er die Kammer durchsucht hatte... in der Zeit, in der ich mich bei der Spectabilitaet für meinen Urlaub abgemeldet hatte.
„Du...“, setzte ich wütend an. Eine harsche Bewegung seiner Hand ließ mich verstummen. Seine Worte waren kalt und berechnend, nicht mehr gespielt sanft und gutmütig: „Du bist die Erstgeborene der Haupterblinie und erlaubst dir eine Liebschaft mit einem Fremden, einem, der nicht unter dem Protektorat der Familia steht? Und du willst mir jetzt ernsthaft Vorwürfe machen? Überleg dir lieber mehrfach, ob du das wirklich willst. Ich biete dir immernoch an, dass wir es wie wahre Liebe aussehen lassen können. Dein Bruder hätte gewiss nichts gegen eine Bindung zwischen uns und dein Vater... nunja, viele Tage hat er ja nicht mehr. Ich gebe dir Zeit bis zur 'Folia', dann werde ich dich zum Tanz auffordern und du teilst mir deine Entscheidung mit!“
Damit wandte er sich um und verließ mich.

Welch hartes Los. Die 'Folia' war der Tanz, den ich über alles liebte. Mehr als jeder andere Tanz hatte dieser wunderbare Paartanz mich gefesselt und eingenommen. Mit den richtigen Partner getanzt und geführt von liebender Hand war es der Traum der Götter. Mit Niccolo hatte ich ihn getanzt. Er hatte ihn perfekt beherrscht, hatte ihn tanzen können wie ein Liebesgott und in seinen Armen war ich geschwebt wie eine Nymphe in der Umarmung eines Baumes, wie die Muse in der Hand des Künstlers, wie die Geliebte in der Hand des Liebhabers. Und doch hatte ich erst vor wenigen Tagen den Mut gefunden Niccolo meine Leibe in einem Brief zu gestehen, der seinen Adressaten nie erreichen würde weil Luca diesen Brief in Händen hielt. Und weswegen wollte Luca eine Bindung mit mir? Er war ein Bastard und erst mit einer Heirat in den höchsten Kreis der Familie würde er anerkannt. Wer weiß, vielleicht würde er dann der Patriarch werden. Mich überging die Erbfolge, doch wenn mein Bruder zu Schaden kam? Würde mein Mann, wenn er von Erblinienblut gezeugt war, dann nicht eine gute Wahl sein? Mir war danach zu Mute mich weinend in die tiefste Ecke des Parks zu verkriechen, ja mich von der Brücke in den Teich zu stürzen und zu hoffen, dass er tief genug zum ertrinken war.
Meine Füße trugen mich zu eben jeder angedachten Brücke und ich lehnte mich gegen das Geländer, blickte sehnsuchtsvoll in die Tiefen des Gewässers. Das Antlitz des Mondes schaute zurück und sah mich an, auf eine sanfte, umsorgende Art. Leichter Wellenschlag ließ das Rund sich verformen und mich anblinzeln, anzwinkern und dann wieder voll und ohne Wellen anblicken. Woher die Wellen kamen, ich wusste es nicht. Ihre Bewegung hielt mich gefangen, lockte mich. Wie schön es doch wäre mich diesen Wellen hingeben zu können, meine Haut an sie zu schmiegen, sie mit meinem Haar spielen zu lassen. Die Hitze würde meinen Körper verlassen und ich fände Ruhe in dem Gewässer des Parks. Es würde mich dorthin tragen, wo der Fährmann die Seelen der Verstorbenen über die sieben Flüsse schifft und mich nicht loslassen, bis ich das Ufer des Hades erreicht hätte.
Die im Sommer blühenden Rosen des Sees würden meiner Gedenken, das Wasser würde auf ihnen perlen wie Tränen auf den Wangen der Trauernden, das Spiel des Windes auf dem Wasser, das kräuseln der Wellen wären das Trauerlied für meinen frühen Abschied von der Welt. Das Rauschen der Bäume am Ufer wär der Chor, dessen Klage zu den Göttern dringen würde. Jeden Abend würden die Sterne mich decken, der Mond mich wiegen.

Schritte klangen auf dem Holz der Brücke, langsam, bedächtig.
Ich wendete mich ab, wollte alleine sein. Bis zur 'Folia' hatte er mir Zeit gegeben. Wieso kam er jetzt wieder? Verzweifelt schloss ich meine Augen und wünschte so sehr, sterben zu können. Das, was wie ein Graus gewirkt hatte zu Beginn des Abends schien mir jetzt Erlösung: An diesem Abend den Hades zu betreten, geläutert von all den Erpressungen und Intrigen meines Lebens.

Ein leises Hüsteln ließ mich aufmerken. Es war nicht Luca, der hinter mir stand. Langsam und auf das Schlimmste gefasst wandte ich mich um. Angelo, mein Bruder, stand dort, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Er musterte mich mit einem Blick, den ich bei ihm noch nie wahrgenommen hatte. Mein kleiner Bruder schätzte meinen Wert ein, wie wichtig war ich ihm?
Ich eilte die paar Schritte zu ihm und ergriff seine Hände. Eine ungewohnte Geste, hasste ich ihn doch seit Jahren. Er war das Schoßtier von Tante Isidora, wurde benutzt für ihre Zwecke. War er hier, dann in ihrem Auftrag. Vielleicht wusste er über ihre Machenschaften Bescheid? Das war die eine Gelegenheit, auf die ich den ganzen Abend gehofft hatte... Auch wenn anderes meine Aufmerksamkeit beansprucht, meine Pläne zu Nichte gemacht hatte.
„Angelo, mein Bruderherz! Gestatte mir eine Frage und antworte ehrlich, ich bitte ich aus tiefstem Herzen, für dein und mein Seelenheil!“, reif ich leise aus und schluckte all die Pein, die mir auf der Zunge lag. Nein, ich wollte nicht sterben.
Mein Bruder war verdutzt. Er hatte wohl mit vielem gerechnet und auch mit vielem nicht gerechnet aber diese Tat war genau das, was er gar nicht hatte voraussehen können, ja die ich selbst nicht hatte voraussehen können. Seine tiefe Stimme, der unseres Vaters sehr ähnlich, versprach Dinge, die er nicht gesagt hätte, hätte er Zeit gehabt, Zeit zum überlegen und abwägen. „Chrystel, liebste Schwester. Ich verspreche es dir!“
Das musste ich nutzen. Jetzt war die Gelegenheit herauszufinden, ob er hinter dem Drohbrief steckte. „Alvaro, würdest du mir je schaden? Würdest du mir schaden können auf übelste Weise?“, fragte ich vorsichtig. Ihn nach dem Drohbrief zu fragen traute ich mich nicht. Wenn er ihn nicht geschrieben hatte, hätte ich ihm Dinge in die Hand gelegt, die er besser nie in die Hände bekam.
Er maß mich mit vorsichtigen Blicken, ließ sich mit seiner Antwort Zeit, zu viel Zeit. „Ich kann dir nicht schaden, Schwester. Doch die Familia geht über alle anderen Bindungen, das weißt du ja!“
Ich fiel in das selbst gegrabene Loch der Verzweiflung. Seine Antwort war keine und doch war sie eine. Er hatte taktieren gelernt, konnte selbst denken. Vielleicht war er nicht mehr die Puppe Tante Isidoras, vielleicht hatte er sich vorsichtig aus dem Netz der Spinne lösen können, vielleicht hatte ihm die Ehe mit seiner verschüchterten Frau doch wohl getan, obwohl auch diese Ehe...

Seine Finger strichen sanft über meine, ich hatte die Bewegung kaum wahrgenommen. Doch nun stockten sie und der Daumen tastete nach. Seine Augen lösten sich von meinem Gesicht, wanderten zu meinen Fingern.
„Blutroter Rubin, fast schwarz“, sagte er mit anerkennender Stimme, sein Blick wanderte wieder hoch, traf den meinen und bohrte sich in meine Augen. „Chrystel, von wem hast du den Ring?“, fragte er vorsichtig aber bestimmt. „Ich hoffe du hast dich nicht mit dem ersten Offizier der Wolfsgarde getroffen...“ Die Schärfe seiner Worte ließ mich zusammen zucken. Was hatte er alles gesehen? Wer hatte meinen Fehler beim Tanzen sonst noch bemerkt? Was für gerüchte über mich gingen unter den Anwesenden um?
Ich schüttelte den Kopf, heftiger als notwendig. Ich versuchte all die schlechten Sachen, die an diesem Tag passiert waren hinfort zu schütteln, doch Erfolg war dem Vorhaben nicht beschieden. Ich hörte eine Stimme in meinem Kopf rumoren: „Nein, nein, Cousin Angelo. Deiner Schwester Herz und meines sind in Liebe einander zugeflogen und ich schenkte ihr den Ring als Kundgabe meines Begehrens und in Aussprache meines Verlobungswunsches...“
Ich wandte mich um, es war wie ein Alptraum. Ich war gefangen zwischen Ängsten und Panik, zwischen schlechten Menschen und Niedertracht. Cousin Luca, der Bastard meines Onkels, stand hinter mir und hielt mir seine Hand hin.
„Darf ich Bitten, Chrystel!? Die Folia wird aufgespielt!“
In the end, all things betray you.
Honor. Ideals. Heroism.
Allies. Comrades. Lovers.
Your eyes. Your limbs. Your heart.
And in the end, you betray yourself.
And that is the greatest betrayal of all.


[Bild: otta.jpg]
10.06.2010, 11:37