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Im tanzenden Krug (Rael)
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Im tanzenden Krug (Rael)
Im tanzenden Krug

Die Taverne hätte gefüllt sein sollen, wie jeden Kaisertag. Doch war es dafür deutlich zu früh. Zu dieser Zeit kehrten die Huren wieder nach Hause zurück und die Märktler machten sich auf, ihre Ware anzupreisen und einen guten Handel abzuschließen. Die alternde Schenke, mit einem schief hängenden Holzschild, war von außen eher unscheinbar und doch versprach leises Gemurmel, Musik und interessanter Duft in den späten Abendstunden ein Erlebnis der besonderen Art.

Die Reisenden verschlug es in diesen Teil Roms eher weniger, nur die Eingeweihten und die Ortskundigen suchten die schon leicht heruntergekommene Taverne auf. Im Inneren sah es nicht unbedingt besser aus als von außen. Die Abzüge der Kamine waren verrust und ein schwerer Dunst, vom Feuer und dem Eintopf, der im Kessel darüber köchelte, fraßen einen Großteil der Luft auf. Doch auch der Geruch nach Schweiß, Urin und Exkrementen ließen die Patrizier sofort wieder kehrt machen. Hier kehrte der Pöbel ein!

Die Sonne ging bereits blutrot auf und tauchte ganz Rom in ein warmes Licht, ließ die Grausamkeiten der Nacht nicht gefährlich, ekelhaft oder gar abstoßend erscheinen. Die Kühle der Nacht schwand nur langsam und wenige Römer befanden sich auf den Straßen. Wer etwas auf sich hielt, schlief lange. Wer dies nicht tat, besuchte um diese Zeit den tanzenden Krug.

Die mächtige Holztür öffnete sich knarrend, als die in einen dunklen Mantel gehüllte kleine Gestalt scheppernd eintrat. Der Wirt, der gerade aus seinem Suff hochschreckte, hob blinzelnd den Kopf und blickte den Neuankömmling aus großen, eulenartigen Augen an. Die Überreste der Nacht klebten ihm an der Stirn, während die Haare wirr zu Berge standen. Er wischte sich die Hände an seinem verdreckten Hemd ab und hinterließ, auch wenn dies fast nicht mehr möglich war, eine Fettspur. Er rülpste und ließ die Umwelt an seinem Mundgeruch teilhaben. Zudem offenbarte er dabei ein nahezu zahnloses Gebiss, und auch wenn es niemand für möglich hielt, steckten jedoch zwischen den Zahnstümpfen Essenesreste, die den Ankömmling auf ihre eigene, ganz besondere Art begrüßten.

Der Fremde, kleingeraten in der Statur, trat an den Tresen und schob sich die Kaputze von seinem Haupt und blickte mit seiner übersichtlichen Größe den Mann von unten heran an. “Morgen Wirt. Ein Bier, aber schnell. Ich vergehe fast vor Durst.“, brummte der Herr Zwerg, als welcher der Fremde nun deutlich zu erkennen war. Die Miene kaum verzogen, blitzten in dem überaus behaarten Gesicht zwei wachsame, jedoch überaus durstig wirkende Augen entgegen. Die Barthaare zu zwei Zöpfen gepflochten, auch das Haupthaar aus dem Gesicht gepflochten. Ein barbeißiges, wettergegerbtes Gesicht, derber wollener Mantelstoff unter dem Metall hervorblitzte.

“Morjn..., nuschelt der Wirt, während er sich den Kopf hielt und laut nach der Magd brüllte. Hier mußte noch einges gesäubert werden. Nunja vielleicht nicht einiges, sondern ein bißchen. Vielleicht mußte auch nur der Tresen gewischt werden. Oder aber man schlief noch eine Runde und vielleicht, aber auch nur vielleicht verschob man das aufräumen auf Morgen. Für die Leute im tanzenden Krug machte es sowieso keinen Unterschied, ob die Krüge gesäubert waren oder noch vom Vorabend eine alkoholische Kruste enthielten.

Gymar, Sohn des Teralon, blickte den Wirt herausfordernd an. “Wirt, eil` Dich. Mein Durst wird nicht weniger. Und an Bezahlung wird es Dir nicht mangeln, wenn mein Krug immer schnell gefüllt wird.“ Der Wirt kehrte aus seinen Gedankengängen um die Sauberkeit seiner Kaschemme zurück (oder deren nicht-Vorhandensein) und blinzelte den Zwerg vor sich milde überrascht an. Er gähnte abermals und nickte. “Jaja, immer die kleinen Leute. Haben es immer eiliger als and`re, wenn`s um das Getränk der Götter geht.“ Mit geübten Handgriffen, die auch im schlimmsten Suff noch ausgeführt werden konnten, füllte der Wirt einen Krug Bier und stellte diesen vor dem Zwerg ab. Ein kleines Glas mit Bärenfang folgte, als hätte er es fertiggebracht, beide Getränke gleichzeitig zuzubereiten.

Erst jetzt legte sich ein zufriedenes Lächeln auf das Gesicht des Zwergens und mit schneller Hand und festem Zug leerte er das Bärenfanggläschen. Sogleich setzte er den Krug mit Bier an. Den Schaum im Bart lassend, krachte der alsbald geleerte Krug auf den Tresen zurück. “Das gleiche nochmal!“, brummte der Zwerg, der sich langsam entspannte und seine Schultermuskeln spielen ließ.

Im hinteren Teil der Taverne ruckte das Gesicht eines altbekannten Kunden des tanzenden Kruges hoch und leicht glasige Augen blickten durch den Schankraum. “Bier? Bärenfang? Ich rieche Bärenfang! Gibts schon wieder was zu trinken? Hey da, Wirt! Für mich auch das gleiche, was der da hat.“, rief Tiegam, Sohn des Marol, dem Wirt zu. Tiegam, seines Zeichens ebenfalls Zwerg, zeigte die Anzeichen einer durchzechten Nacht. Die Barthaare standen wirr und in ihnen klebten die Reste einer Mahlzeit. Doch all das interessierte den Zwergen nicht, mehr interessierte ihn das Bier und den Bärenfang, welches vor dem anderen Zwerg stand und nicht vor ihm.

Gymar blickte erstaunt über die Schulter, musterte den Zwerg ihm gegenüber, nickte diesem wortlos zu. Er hob den abermals gefüllten Krug, maß sein Gegenüber und leerte den Krug erneut mit wenigen Schlucken. Ehrgeiz keimte daraufhin in Tiegam auf und er blickte den Wirt wild an, da dieser Zeit brauchte, zu seinem Tisch zu stiefeln und ihm einen neuen, nicht wirklich frischen Krug mit Bärenfang hinzustellen. “Immer diese Eile... der Suff kommt schon noch früh genug!“, grummelte dieser.

Die Sonne wanderte auf dem Firmament weiter, der Tag nahm seinen Lauf und die Taverne füllte sich wieder. Der Alltag hatte begonnen, die „normale“ Kundschaft fand den Weg zurück in den tanzenden Krug. Gymar bekam davon jedoch nicht allzu viel mit. Er war zu sehr auf sein Bier, seinen Bärenfang konzentriert und ebenso darauf, schneller seinen Krug zu leeren, als der Zwerg am anderen Ende der Taverne.

Sie sprachen nicht miteinander, sie maßen einander nur mit Blicken. Die unausgesprochene Herausforderung flimmerte zwischen den Beiden hin und her und sobald ein Krug, ein Glas geleert war, wurde ein neues geordert. Der Wirt und später sein Magd hatten alle Hände voll damit zu tun, die beiden Zwerge schnellstmöglich mit Getränken zu versorgen. Immer mehr Gläser, Krüge stapelten sich vor den Beiden und immer mehr Leute interessierten sich für den heimlichen Wettstreit der Beiden. Eine scheinbar magische Macht ließ stets einen Korridor zwischen den beiden Kontrahenten frei, als würde ein Abriss des Blickkontakts das Ende der Welt bedeuten. Wer würde zuerst dem Suff erlegen sein? Wer würde als erstes aufgeben? Gymar, der Fremde oder Tiegam, der Einheimische? Geld wechselte den Besitzer, Wetteinsätze wurden gemacht und doch schienen die Chancen der Beiden recht ausgeglichen.

Die Taverne war gefüllt und viele der Geräusche schwappten nach draußen. Leise Musik waberte durch den Schankraum, schien die beiden Kontrahenten noch weiter anzuheizen. Auch wenn der Musikmacher nicht für die Zwerge spielte, machte es den Eindruck, dass je schneller die Musik spielte, die Zwerge ebenso zügiger ihre Krüge und Gläser leerten. Unruhe kam in der Taverne auf und die Kundschaft des tanzenden Kruges ließe ihre Blicke von den beiden Zwergen zum Tresen wandern. Die Unruhe war dort zu lokalisieren und hatte eindeutig etwas mit den Zwergen zu tun. Der Wirt, mit hochrotem Kopf, tauchte unter dem Tresen auf, um sogleich wieder abzutauchen und laut fluchend ein Fass nach dem anderen umzuschichten. Worte des Wirts waren trotz des allgemeinen Getöses noch in der letzten Ecke zu hören. “Das kann doch nicht sein... sowas aber auch... ach du heilige Scheiße... verdammt noch eins... das auch leer.“

Die Sonne war bereits untergegangen und die Nacht hatte schon lange seine Schatten voraus geschickt. Es war der Moment, wo die Tür hinter einem neuen Gast ins Schloss fiel, als der Wirt unter dem Tresen auftauchte, mit hochrotem Gesicht und wirrem Blick zu den beiden Zwergen blickte. Unsicher, fast ängstlich räusperte er sich und erhob die Stimme über das allgemeine Getöse. “Alle...! Der Bärenfang ist alle! Dies ist die letzte Runde... oder eher das letzte Glas. Alle ist er.“, sprach er mit bebender Stimme. Die letzten Worte zerbrachen, bevor sie seine Lippen verließen.

Stille.

Die anwesenden Säufer und Feiernden hatten das Gefühl, dass ganz Rom für einen Moment still stand. Kein Mucks war zu hören und die Blicke wanderten zu den Kontrahenten, die ein, zwei Momente brauchten, um die Worte des Wirtes zu realisieren. Die Krüge Bier und etlichen Gläser Bärenfang machten das Denken auch bei den Zwergen irgendwann langsamer. Doch annähernd zeitgleich sprangen beide auf, brüllten dem Wirt wortwörtlich das gleiche zu. “Hier! Ich! Ich bekomme den letzten Bärenfang!“ “Hier. Ich! Ich bekomme den letzten Bärenfang!“, brüllte es wie aus einem Munde. Der Blick des Wirts wanderte von einem Zwerg zum anderen, sein rechtes Augenlid zuckte und er leckte sich nervös über die Lippen. Er wollte sich nicht zwischen zwei Zwerge stellen, die einen Wettstreit miteinander ausfochten und so stellte er in der immer noch die Luft anhaltenden Taverne das letzte volle Glas auf den Tresen.

“Einigt euch!“, waren die quiekenden Worte des Wirtes, der zurück trat und sich damit beschäftigte weiter Bier zu zapfen. Bloß weg von den Streithähnen, die sich Blicke zuwarfen, dass selbst die hartnäckigste Blume darunter verdorrt wäre. Gymar, der sich dem Ziel, dem Bärenfang sehr nahe sah, griff nach dem Glas und hob bereits die Hand, das Getränk zum Mund führend, als sich eine schwere Pranke auf seinen Arm legte. “Das ist mein Bärenfang.“, sprach Tiegam, der sich unheimlich schnell aus seiner Ecke zum Tresen hinbewegt hatte.

Gymar blickte in das entschlossene Gesicht Tiegams und nickte. Dies war ein Wettstreit. Hier galt es seine Ehre zu verteidigen. Es ging um das wichtigste im Leben eines Zwerges, um den Sieg des letzten Glases Bärenfang. Jeder der Zwergensippe würde dies verstehen und genau so handeln. Stolz und entschlossen streckte Gymar seinen kurzen Rücken durch, um sich zu seiner vollen Größe aufzubauen. Niemals, zu keinem Preis würde er das Glas aufgeben. Eher würde er sterben, schwor er sich.

Tiegam schien ebenso entschlossen und grinste zufrieden, als Gymar das Glas losließ, blinzelte jedoch nur mäßig erstaunt, als dessen Hände zu seinem Hals ruckten. “Niemals. Meiner! Hörst Du. Nicht deiner, sondern MEINER!“, brüllte Gymar voller Inbrunst. Tiegam ließ sich dies nicht zweimal sagen. Wenn ein Zwerg etwas genauso sehr liebte, wie den Bärenfang oder den Wettstreit des Saufens, dann war es eine zünftige Schlägerei. So dauerte es keinen Wimpernschlag und das Gerangel der beiden Zwerge wurde zu einer zwergengemäßen Auseinandersetzung, bei der die Hiebe vor nichts und niemandem Halt machten.

Durch die Taverne ging ein Ruck, als der erste Schlag daneben ging und einen Unbeteiligten traf. Mit einem Mal prügelte sich jeder, Tritte, Bisse und gar fliegende Stühle waren das Bild, was ein Neuankommling erblicken sollte, so er durch die Tür oder gar das Fenster spähte. Doch alle Anwesenden waren mit spaßigem Ernst an der Sache. Nur für die beiden Zwerge war der Wettstreit zu bitterem Ernst geworden. Keiner von beiden würde freiwillig aufgeben, niemand würde nachgeben. Gymar hieb mit schwerer Faust, so dass Tiegams Nase knackte. Tiegam ließ einen Krug auf Gymars Kinn krachen, so dass Blut spritzte und die Scherben splitternd davonstoben. Doch Tiegam merkte, dass er in Gymar einen wahren Gegner gefunden hatte. Gymar war ein echter Zwerg, nicht so verweichlicht wie manch ein Mensch. Aus Verzweiflung ging er einen Schritt zu weit, griff die beiden Bartzöpfe und zog seinen Kontrahenten zu sich heran. Das Knie erhoben, um in das Gemächt des Gegners zu treten, suchte Gymar einen ähnlich gewagten Weg. Sein Jaulen, ob des Schmerzes am Barthaar war jedoch noch ein paar Straßen weiter zu vernehmen.

Das Rangeln der Beiden wurde verzweifelter, ernsthafter, und beide fragten sich insgeheim, wann das Gegenüber eine Waffe ziehen würde. Tiegam war wieder jener, der diese Grenze als erstes überschritt und sein Messer zückte. Wie traf man einen Zwerg am ehesten? Man beschnitt ihn in seiner Ehre und seinem Stolz. Noch bevor Tiegam es sich versah, schnitt er mit einer fließenden Handbewegung einen der Zöpfe ab, die den Bartschmuck Gymars bildeten. Beide erstarrten im Getöse der Tavernenschlägerei. Tiegam blickte auf den Zopf in seiner Hand, das Messer, welches den Schnitt geführt hatte. Gymar blickte auf den Zopf, den Tiegam in der Hand hielt und seine Hand fuhr zu seinem Bart, der nur noch einseitig mit einem Zopf versehen war.

Die Erkenntnis, zu weit gegangen zu sein, traf Tiegam wie ein Schlag ins Gesicht. Seine Knie knickten ein und er sank wie ein nasser Sack zu Boden. Gymar reagierte jedoch anders, als man annehmen mochte. Er griff sich den Bärenfang, hob das Glas und stürzte den Inhalt mit wenigen Schlücken hinunter. “Er starb wenigstens einen ehrvollen Tod!“, gurgelte Gymar lauthals, lachte lieblos und klopfte Tiegam mit seinen Pranken auf die Schulter. “Komm, alter Freund. Es ist noch genug Bier zum zechen da. Lass uns den Tod eines guten Freundes begießen! Wirt! Zwei Krug Bier für mich und meinen Kumpel hier!“, brüllte Gymar und lachte laut auf, als der Wirt nur langsam und unter Zögern unterm Tresen hervorkroch.

Gymar klopfte Tiegam noch einmal auf die Schultern, als er mit einem feisten Grinsen in die Runde rief: “Gewonnen! Ich bin ihm einen Bärenfang voraus!“ Einen weiteren Kampf gab es diese Nacht nicht mehr, denn ein Glück hatte der Wirt genug Bier vorrätig, dass es für zwei Zwerge und ein paar Menschen für mehr als eine Nacht reichen dürfte. Also mußte der Wirt am nächsten Morgen neuen Bärenfang UND neues Bier ordern. Doch er würde diese Nacht nicht vergessen, denn dies war die Nacht, in der er reich wurde.
12.05.2009, 09:05