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das letzte Duell (K`Ehleyr)
Ecthelion
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Beitrag #1
das letzte Duell (K`Ehleyr)
Titel: das letzte Duell

Viele Male war ich schon diesen Weg gegangen. Aber niemals, selbst in den schwersten Stunden nicht, war er mir so schwer gefallen wie heute.
Mein Herz fühlte sich wie Blei an. Gepaart mit einer Trauer, die nicht so recht zu dem lauen Frühlingstag passen wollte. Ein Frühling, der so schön war, wie er es in einer Stadt wie Rom nur sein konnte. Mit sprießendem Grün und blühenden Büschen. Und mit Vögeln, die es nicht schafften, gegen meine steigende Melancholie anzusingen.

Es hätte mehr als diese paar Spatzen gebraucht, um mir meinen letzten Weg leichter zu machen.
Ein Weg, gepflastert mit runden Steinen. Abgetreten von unzählig vielen Gladiatoren, die den Weg schon vor mir gegangen waren. Der von Schaulustigen gesäumt war und der mehr Seufzer gehört haben musste als die Hurenhäuser am Ufer des Tibers.
Auch ich seufzte. Nicht vor Angst wegen dem, was mich erwarten würde, sondern aus dem immerwährendem Grund, der alte Leute nun einmal zum Seufzen reizte: Die Erinnerung an alte Zeiten, an bereits gegangene Freunde, an vergangenem Ruhm.
Vergangener Ruhm. Ich seufzte ein weiteres Mal und meine Schritte wurden automatisch schneller. Der Gedanke an die alte Zeit beflügelte mich. Trotz meines Alters beeilte ich mich nun, das Gebäude zu erreichen, das am Ende des Weges lag.

Dann, nach der nächsten Wegbiegung, stand es vor mir. Ich wusste, dass es sich an dieser Stelle befand und doch jagte mir sein Anblick wie früher einen Schauer über den Rücken.
Ein Gebäude, das höher war als die meisten anderen seiner Art. Kreisrund, mit mehreren Eingängen, von denen Treppen zu den Zuschauerrängen hinaufführten. Nur eine der Treppen ging zu einem abgetrennten Abteil, das eigens für den Imperator geschaffen worden war. Eine weitere für die Richter, die dem Schauspiel innerhalb des Gebäudes vorsaßen. Die wichtigste Treppe von allen, denn ohne die Richter würde das Spektakel gar nicht erst stattfinden.

Trotzdem ging ich direkt zu dem großen Eingang, der sich an der Nordseite des Gebäudes befand.
Zwei hohe Steinsäulen säumten ihn, darüber hing ein Wappen aus Marmor. Das Wappen zeigte ein gekreuztes Schwert und eine Axt über einem Cäsarenkranz. Die einst bunte Farbe war nun abgeblättert. Dreck hatte sich in den Ecken festgesetzt und ließen es schmuddelig wirken. Dort, wo kein Dreck saß, wurde es von Vogelkot verunstaltete.
Der Gang hinter dem Tor lag im Dunklen. Die Sonne erreichte nur die ersten Meter. Sie beschien einen Boden aus Stein. Einen Gang und dann folgte Schwärze.
Früher hatte ich an dieser Stelle immer kurz innegehalten. Ich wusste, sobald ich unter dem Wappen hindurchgetreten war, gab es kein Zurück mehr. Denn dann zählte es: Mein Können. Meine Geschicklichkeit. Mein Wille.
Und alles nur für Ruhm und Ehre. Für den Sieg über einen Gegner.
Ein Innehalten an dieser Stelle war heute nicht nötig. Auf mich warteten keine Gegner mehr. Auf mich wartete nur die Vergangenheit. Das Vergessen. So wie dieses Gebäude vergessen worden war.

Nach einem letzten Blick auf das Wappen trat ich unter dem Torbogen hindurch. Bereits nach einigen Schritten empfing mich angenehme Kühle. Sie trocknete den Schweiß auf meiner Stirn und hinterließ dort einen klebrigen Film.
Ich wischte mir mit einer Hand den Film vom Gesicht. Dann, beim Weitergehen, blieb ich kurz stehen. Ein Geruch stieg mir in die Nase, der so typisch für dieses alte Gebäude war wie der nach altem Fisch in einem Hafen: Blut. Schweiß. Sand. Öl. Altes Leder und erkaltete Feuerstellen.
Wie oft ich diese Mischung gerochen hatte, wusste ich nicht mehr zu sagen. Ich hatte ihn damals als selbstverständlich wahrgenommen. Er gehörte zu diesem Gebäude wie die Brunnen zu der Stadt.

Ich ging weiter. Nach einigen Metern ging vom Gang ein zweiter ab. Er war schmaler als der, den ich bisher gegangen war, und führte zu kargen Zellen. Damals brannten an den Wänden Fackeln, die gespenstische Schatten an die Wand warfen, heute musste ich mir den Weg zu den Zellen ertasten. Die Hand an die Wand gelehnt, ging ich in das Dunkle hinein, bis ein Lichtstrahl mich selbst zu einem der kleinen Räume führte. Der Strahl stammte von einem kleinen Fenster, das ganz oben in der Zelle gebaut worden war. Das Fenster war kaum breiter als zwei Hände und nur eine Hand hoch. Doch es genügte, um mich einen Blick in den Raum werfen zu lassen, in den man sich vor den jeweiligen Kämpfen vorbereitet hatte.

Allerdings war von dem einstigen Interieur nichts mehr zu sehen. Lediglich die eisernen Ringe hingen noch an der Wand. Ich blieb deshalb nur kurz darin stehen und begab mich dann zu dem breiten Gang zurück, der direkt in das Herz des Gebäudes führte.

Mitten hinein in die Arena.

Da stand ich nun. Alt und am Ende meiner Zeit. Ich spürte den Sand unter meinen Füßen, den Wind in meinen Haaren. Um mich herum waren die leeren Ränge. Die Loge des Imperators. Nur in der Loge der Richter herrschte reger Betrieb: ein Vogelpaar nistete dort. Ihr lautes Zwitschern war das einzige Geräusch innerhalb der Arena.
Für einen Moment schloss ich die Augen. Versuchte, mich jeder Narbe zu erinnern, die ich mir innerhalb dieser Arena zugezogen hatte. Und meiner Gegner, deren Zahl ich schon lange nicht mehr wusste. Einige von ihnen waren meine Freunde gewesen. Die engsten und besten, die jemand in meiner Position hätte haben können. Krieger, die schon längst gegangen waren. Wahre Helden ihrer Zeit. Männer und Frauen, deren Erwähnung heute noch ein Raunen verursachten. Namen, die man in Stein gemeißelt sah und Kempen, wie es sie kein zweites Mal geben würde.

Ich lächelte. Schon lange hatte ich nicht mehr an die Zeit von damals gedacht. Ich tat es auch nur jetzt, weil ich spürte, dass ich bald meinen Freunden folgen würde. Denn in mir war es ebenfalls Herbst geworden. So, wie dieser die Blätter färbte und zum Absterben brachte, bereitete auch ich mich auf den Tode vor. Mag es mir da jemand verdenken, wenn ich diesen Ort noch einmal aufsuchte? Hier, wo ich Triumphe und Niederlagen gefeiert hatte, und wo ich die Hälfte meiner Jugend anzutreffen gewesen war?

Vielleicht die Jugend, aber die Jugend war gerade nicht anwesend.

Trotzdem blickte ich einmal nach hinten über die Schultern. Schließlich wollte ich nicht, dass mich jemand bei meinem Tun beobachtete. Ich war zwar alt, aber als albern wollte ich mich selbst da nicht betitulieren lassen.
Ich straffte mich. Drehte mich erst zur Loge des Imperators und dann zu denen der Schiedsrichter. Beide Male deutete ich eine leichte Verbeugung an. Nicht zu viel, schließlich wollte ich nicht als unterwürfig gelten und außerdem war ich zu stolz dazu.
Nachdem ich das getan hatte, zog ich eine imaginäre Waffe hinter meinem Rücken vor. Sie war groß und schwer, und würde ich sie heute in der Hand halten, würde mich ihr Gewicht gen Boden ziehen. Aber mit diesem Luftschwert bewegte ich mich fast so leichtfüßig wie damals, und nachdem ich es in meiner Hand gewogen hatte, begann ich zu grinsen.

„Na, Kleiner. Bist du sicher, dass du hier schon mitkämpfen darfst? Habe ich vorhin nicht gesehen, wie dir deine Mutter noch die Brust gegeben hat?“
Vor mir saß ein kleiner Vogel im Sand. Er scharrte mit seinem Fuß, auf der Suche nach einem Sandfloh oder Wurm. Bei meinem Worten hüpfte er etwas zur Seite und äugte mich misstrauisch an.
Er fühlte sich offensichtlich nicht angesprochen, aber das war mir in diesem Moment egal. Er war der einzige Gegner, die diese Arena zu bieten hatte und ihn zu besiegen, dürfte selbst mir möglich sein.
„Komm schon, zieh deine Waffe. Ich habe heute noch etwas anderes zu tun, als dir zuzusehen, wie du in die Hose machst.“
Jetzt wurde es dem Vogel zu dumm. Er flog auf und flatterte zurück auf die Schiedsrichtertribüne, von der er gekommen war.

Ich war nun ohne Gegner. Musste mich mit meiner Fantasie begnügen, was mir jedoch nicht weiter schwer fiel. Weiter leise Flüche und Verspottungen murmelnd, führte ich mein Schwert gegen einen unsichtbaren Gegner. Ein wenig sprang ich vor – nicht allzu oft, ich hatte es seit einigen Jahren in der Hüfte – dann schwang ich mein Schwert herum. Ich drehte mich, kämpfte mit meinem Gegner und einmal ließ ich mich sogar dazu hinreißen, mich in den Sand zu werfen und ein wenig zu jammern. Der Sturz war zwar nicht echt, das Jammern hingegen schon. Denn nun lag ich wie ein Käfer auf dem Rücken und musste mich wie dieser erst wieder auf den Bauch drehen, um aufstehen zu können.

Sobald ich stand, begann ich meinen unsichtbaren Gegner erneut zu umkreisen. Zu meinem Leidwesen war der Vogel nicht mehr zurückgekehrt, aber ich erkannte einen großen Käfer im Sand, der sich hervorragend dafür eignete, von mir bis aufs Blut gereizt zu werden. Meine Hand stieß vor. Hätte ich ein Schwert gehabt, der Käfer wäre sofort tot gewesen. Oder wenigstens schwer verletzt, denn töten, das durfte man in dieser Arena nicht. Hier galt es, um Ruhm und Ehre zu kämpfen.

Aber ich war fair. Auch ich musste Schläge einstecken. Ich hielt mir die Seite, murmelte höchst wirkungsvoll ein „Au“ und begann von nun an zu humpeln.
Nach einiger Zeit beschloss ich, den Sieg davon getragen zu haben. Ich sah auf den Boden. Stieß ein Lachen aus, das selbst in meinen Ohren wie das Meckern einer Ziege klang und reichte dem Besiegten anschließend die Hand, um ihm aufzuhelfen.
Gemeinsam mit ihm wankte ich vor die Schiedsrichtertribüne. Dort wartete ich ungefähr die Zeit ab, die die Richter für ihre Entscheidungen benötigt hatten, und riss anschließend die Arme hoch.

Ich hatte gesiegt!

Wie konnte es auch anders sein.
In meiner Jugend siegte ich schließlich über viele Gegner. Und lange siegte ich auch über die Zeit. Bis die Zeit drohte, mich zu besiegen.
Meine Arme sanken herab. Sie wurden schwer. Ein letztes Mal blickte ich mich um. Sah den Verfall der Arena, die einst so schön gewesen war. Spürte den Sand unter meinen Füßen. Bildete mir ein, Blut, Schweiß und Angst zu riechen.
Und trat dann ab.
Rom hatte mich zum letzten Mal gesehen. Und ich Rom.
In the end, all things betray you.
Honor. Ideals. Heroism.
Allies. Comrades. Lovers.
Your eyes. Your limbs. Your heart.
And in the end, you betray yourself.
And that is the greatest betrayal of all.


[Bild: otta.jpg]
01.05.2009, 13:16