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In guten wie in schlechten Zeiten
Anonymous

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Beitrag #1
In guten wie in schlechten Zeiten
Flacher, lautloser Atem. Straffe Bauchmuskeln, die sich bei jedem Atemzug gegen den schwarzen Stoff pressen. Graue Augen, die ihren scharfen Blick schweifen lassen. Schlanke, kühle Finger zupfen den Schal zurecht, der das Gesicht verbirgt, streichen eine dunkle Haarsträhne unter den Stoff. Die schwarzgekleidete Gestalt, die kaum von den Schatten zu unterscheiden ist, bewegt sich geschmeidig und geräuschlos durch eine Gasse bis zu einer hohen Mauer. Mit flinken, katzenhaften Bewegungen klettert sie die Mauer, die kaum Halt bietet, hinauf, verharrt einen Moment auf der Mauerkrone und gleitet dann auf der anderen Seite hinab. Sie duckt sich hinter Sträucher, wartet, lauscht, beobachtet. Als alles ruhig bleibt, huscht die Gestalt weiter zu der prachtvollen Villa, schmiegt sich an die Wand, lauscht noch einmal, richtet dann den Blick nach oben und sucht nach dem einen Fenster, ihrem Ziel.

Kein Licht dringt aus der Maueröffnung, kein Laut ist zu hören. Die vermummte Gestalt erklimmt scheinbar mühelos die lotrechte Mauer und öffnet mit geschickten Fingern und einem kleinen Werkzeug geräuschlos das hölzerne Fenstergitter. Dann schiebt sie sich mit den Füßen voran langsam durch das Fenster, drückt das Gitter hinter sich wieder zu, um von außen keinen Verdacht zu erregen. Im selben Moment spürt sie einen warmen, weichen Körper an ihrem Rücken, eine unerbittliche Hand, die ihren Kopf nach hinten an eine Schulter drückt, und eine scharfe Klinge an ihrem verhüllten Hals.

"Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man fremde Häuser durch die Tür betritt?" fragt eine weiche, leise Frauenstimme direkt an ihrem Ohr. Raues, kehliges Lachen, dann die geraunte Antwort: "Wo bliebe denn da der ganze Spaß?" Ein helleres Lachen, der Körper hinter der vermummten Gestalt zuckt, die Klinge verschwindet. "Wirklich, du hast ein seltsames Verständnis von Spaß, Soraya..." Die Besitzerin der weichen Stimme durchmisst das Zimmer mit eleganten Schritten, um zwei Fackeln an der Wand neben dem großen Bett zu entzünden. Im Fackelschein glänzen ihre blonden Haare wie Gold, und die dunkelblaue Robe unterstreicht noch die edle Blässe ihrer Haut.

Nun tritt auch der Eindringling ins Licht und wickelt den Schal vom Kopf, so dass das füllige schwarze Haar fast bis zur Taille fällt. Die roten Lippen - die Unterlippe ist voller als die Oberlippe - verziehen sich zu einem gefährlichen Lächeln, während die Frau langsam und mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze auf ihr Gegenüber zugeht. "Wie du meinst, Flavia. Aber wenn ich mich recht erinnere, dann hat es dir bisher immer gefallen..." Die Worte klingen rau, als kämen sie ganz tief aus der Kehle. Beide Frauen stehen sich nun direkt gegenüber, weniger als eine Handbreit trennt sie noch. Der sehnige, dunkelhaarige Eindringling mit den schwarzen Haaren und der schwarzen Männerkleidung und die kleinere, sehr junge Blonde, unter deren blauer Robe sich ausgeprägte weibliche Kurven abzeichnen. Gewitterwolkengraue Augen senken sich in kornblumenblaue und der Atem beider Frauen geht schneller. Lippen berühren Lippen, nicht sanft, sondern fordernd und leidenschaftlich, und Flavia stöhnt auf. Sie vergräbt ihre schlanken, blassen Finger in Sorayas Haaren, während Soraya ihre Oberarme umfasst und sie rücklings auf das breite Bett drückt.

Der dünne blaue Stoff reißt unter Sorayas Fingern glatt entzwei und entblößt die blasse Haut ihrer Geliebten. Sofort nehmen sich warme rote Lippen der seidigen Haut an, erst zart und flatternd, dann intensiver, leidenschaftlicher. Blasse, weiche Finger mit perfekt manikürten Fingernägeln gleiten und kratzen über einen bronzefarbenen Rücken, liebkosen und reizen ununterbrochen. Schon bald füllt Seufzen und verhaltenes Stöhnen den Raum, als die beiden Frauen sich eng umschlungen über das breite Bett wälzen, den Körper der jeweils anderen gründlich mit Fingern, Lippen und Zunge erforschend.

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Schweiß glänzt auf den miteinander verschlungenen Leibern, beide Frauen atmen noch immer heftig. Soraya stützt sich auf einen Ellbogen, beugt sich über Flavia und küsst ihre Nasenspitze, ihre Augenlider. "Es wird Zeit, dass ich dich hier raushole, damit ich dir endlich im Bett nicht mehr den Mund zuhalten muss. Seit ich dich kenne, wünsche ich mir, zu hören, wie du meinen Namen schreist, fast besinnungslos vor Lust..." Ein leises Lachen, bei dem sich Flavias volle Brüste gegen Sorayas fast männlich-flache Brust drücken. "Schon am ersten Tag wäre ich dir überallhin gefolgt, schöne Fremde. Ein Wink mit dem Finger hätte genügt. Ist es jetzt so weit? Wirst du mich heute endlich mit dir nehmen?" Als Flavias Fragen auf sie niederprasseln, verziehen sich Sorayas Lippen wieder zu einem Grinsen. "Ja, heute ist es so weit. Und ich denke, wir sollten uns beeilen, bevor deine Eltern noch aufwachen. Ich glaube nicht, dass sie dich freiwillig hier weglassen..."

Flavia rollt sich fast augenblicklich aus dem Bett und geht zu ihrer Kleidertruhe, um sich anzuziehen. Soraya setzt sich leise lachend auf, streift ihre Hose über. "Für heute nacht solltest du dir etwas dunkles, schlichtes anziehen. Du musst mit mir durch das Fenster raus, sonst sehen uns die Wachen..." Der erstickte, erschrockene Laut, der sich Flavias Kehle entringt, bringt die andere Frau zum Lachen. "Was dachtest du, Prinzessin? Dass wir Arm in Arm aus dem Haus deiner Eltern spazieren, an den Dienern und Wachen vorbei? Wir kämen keine 20 Schritte weit... Ich pass schon auf, dass du nicht auf dein süßes Hinterteil fällst beim Abstieg." Flavia schneidet eine Grimasse und sucht sich eines ihrer älteren Kleider heraus: grau und verwaschen und ohne jeden Zierat schmiegt es sich eng an ihre weiblichen Kurven. Soraya nickt zustimmend, während sie noch rasch den schwarzen Schal wieder um ihren Kopf wickelt, so dass nur noch ihre Hände und Augen unbedeckt sind.

Sie schlingt sich Flavias Gepäck quer über den Rücken, öffnet das Fenster und reicht der jungen Blondine die Hand. "Vertrau mir, Prinzessin" murmelt sie rau und zieht ihre Geliebte zu einem leidenschaftlichen Kuss in ihre Arme. Soraya lächelt, lässt ihren Blick dann suchend über die nähere Umgebung gleiten, bevor sie selbst aus dem Fenster steigt und dann auch Flavia hinaushilft. "Und jetzt denk einfach dran, was ich dir in den letzten Wochen beigebracht habe." Wenn sie es mal geschafft haben, das Bett zu verlassen... Das Lächeln auf Sorayas Lippen wird breiter, während Flavia konzentriert die Stirn runzelt und sich langsam an den Abstieg macht. Hin und wieder muss ihre erfahrenere Begleiterin helfend eingreifen, doch beide kommen heil und ohne Lärm zu verursachen auf dem Boden an.

Soraya führt Flavia durch den Garten und über die Mauer, ohne dass sie von den Wachen bemerkt worden wären. Dennoch bewegen sich die beiden Frauen weiterhin vorsichtig und möglichst geräuscharm. Erst einige Meilen weiter bricht Flavia in erleichtertes Lachen aus, fällt Soraya um den Hals und ruft immer wieder jubelnd aus "Frei! Endlich frei!" Ihre Gefährtin lässt sie eine Weile gewähren, bis sie ihr sanft den Mund zuhält, sie nochmals fest an sich drückt und sie dann weiterführt.

Flavia kann nicht abschätzen, wie lange sie so durch die Dunkelheit gewandert sind, als Soraya plötzlich anhält und sie in ein Gebüsch zieht. Ein leises Schnauben und das Stampfen von Hufen ist zu hören, dann wird die junge Blondine an einen großen warmen Körper gedrängt, der sich als Pferd entpuppt. "Darf ich vorstellen: Laverna. Sie wird uns ihre Ausdauer und Schnelligkeit leihen..." Die Stute ist ungesattelt, und so benötigt Flavia Sorayas Hilfe, um auf den breiten Rücken zu klettern. Soraya schwingt sich elegant hinter Flavia, nimmt die Zügel und lenkt Laverna aus dem Gebüsch heraus auf einen im Mondschein kaum zu erkennenden Weg.

So lange es dunkel ist, lässt Soraya die Stute im Schritt gehen, doch kaum stehlen sich die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont, treibt sie das Pferd zu schnellerer Gangart an. Schon bald fühlt sie den weichen Körper ihrer jungen Geliebten an ihre Brust sinken, spürt den gleichmäßigen Atem. Ein Lächeln stiehlt sich auf das Gesicht der älteren Frau, als sie die schlafende Flavia betrachtet und noch etwas enger an sich zieht. Sie selbst verspürt keine Müdigkeit, sondern ist so voller Energie, dass sie Bäume ausreißen könnte. Endlich, endlich endlich kann sie ihre Liebste zu sich holen! Und gerade noch rechtzeitig, wie sie weiß. Flavia wurde schon unruhig, weil die von ihren Eltern für sie arrangierte Hochzeit mit einem mehr als korpulenten alten Senator immer näher rückte. Nun, der würde sich nach einer anderen Braut umsehen müssen, denn Flavia gehört nun endlich zu ihr, und nur zu ihr!

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Als Flavia erwacht, ist sie irritiert. Ihre Welt schaukelt ungewohnt, und die Sonne brennt ihr ins Gesicht. Die junge Frau blinzelt einige Male, dann hört sie ein leises Lachen hinter sich, spürt die Vibrationen in dem sehnigen Körper, an dem sie lehnt. "Na, Prinzessin Schlafmütze, auch schon aufgewacht? Wir sind fast da..." Flavia setzt sich auf dem breiten Pferderücken zurecht und sieht sich um. Die Sonne steht schon hoch am Himmel, doch sie hat nie gelernt, die Tageszeit am Stand der Sonne oder anderer Himmelskörper abzulesen. Ihr Blick fällt auf die Stute, die sie beide trägt, und die Blondine muss sich im ersten Moment beherrschen, nicht die Nase zu rümpfen. Laverna ist kein Vergleich zu den Pferden aus den Stallungen ihrer Familie: das Fell der Stute ist schmutzigbraun und struppig, die Mähne an einigen Stellen leicht verfilzt und die junge Frau könnte darauf schwören, dass dieses Tier seine besten Jahre schon länger hinter sich hat. Sie muss über sich selbst lachen. Immerhin wusste sie vorher, worauf sie sich da einlässt.

"Alles in Ordnung, Prinzessin?" Sorayas warmer Atem streicht über ihr rechtes Ohr und jagt ihr einen Schauer über den Rücken. "Ja. Ja, wirklich." Flavia dreht sich um und küsst ihre Geliebte innig. "Ich bin da, wo ich sein will. Bei dir." Sie lehnt sich wieder bei Soraya an, streicht mit einer Hand über deren Oberschenkel und schließt die Augen. "Ist es noch weit?" Die ältere Frau gibt ein schnurrendes Geräusch von sich, bevor sie antwortet. "Nein, nur noch über ein Flüsschen und durch ein kleines Waldstück. Es wird dir gefallen..."

Soraya irrt sich nicht, schon der dichte Wald bezaubert Flavia geradezu. Das Spiel von Licht und Schatten, die vielfältigen Gerüche, die verschiedenen Geräusche... Sie kann sich kaum sattsehen und wendet ihren Kopf hierhin und dorthin, um nur nichts zu verpassen. Soraya lächelt still in sich hinein, lenkt Laverna auf die Lichtung, die ihr Ziel ist, und deutet auf das zweistöckige Gebäude, das vor ihnen liegt. "Wir sind da!" Flavias Blick saugt sich regelrecht an dem Haus fest, das aus Natursteinen gemauert ist und irgendwie urgemütlich wirkt. Beim Näherkommen bemerkt sie das Tavernenschild über der Tür: "Zur tanzenden Hetäre". Sie runzelt die Stirn. Hetäre? Davon hat Soraya ihr nichts erzählt. Sie hat nur von der Taverne gesprochen, die sie mit Freundinnen betreibt, direkt an einem großen Handelsweg. Und Flavia sieht auch die breite Straße, die hier den Wald durchschneidet, fast im rechten Winkel zu dem Weg, den sie mit Soraya gekommen ist. Dennoch ist die junge Frau verwirrt. Was hat ihre Geliebte ihr noch verschwiegen?

Als die beiden Frauen sich der Taverne nähern, tritt ein großer Mann mittleren Alters heraus. Er hat kurzgeschorene dunkelblonde Haare und trägt Hose und Hemd aus strapazierfähigem Stoff. Mit einer Hand ergreift er Lavernas Zügel und grinst dann Soraya an "Du hast es also geschafft. Glückwunsch!" Seine Stimme ist rauchig und eigentlich kaum tief genug für einen Mann. Dann streckt er die freie Hand Flavia entgegen. "Ich bin Runa. Willkommen in der tanzenden Hetäre, Flavia." Die junge Blondine weiß nicht, worüber sie sich mehr wundern soll: darüber, dass dieser Mann eine Frau ist, oder darüber, dass er, oder eher sie, ihren Namen kennt. Doch sie hat keine Zeit, darüber nachzugrübeln, denn Soraya gleitet von Lavernas Rücken und hilft gleich darauf auch ihr hinab.

"Komm, du musst die anderen kennenlernen. Sie werden dir gefallen, da bin ich mir sicher." Und schon zieht Soraya Flavia hinter sich her in die Taverne hinein. Runa bleibt zurück, um sich um Laverna zu kümmern. In der Tür der Taverne bleibt Flavia wie angewurzelt stehen. Nie hätte sie den Anblick erwartet, der sich ihr jetzt bietet: das Innere der Taverne ist angenehm gestaltet, mit stabilen Holzmöbeln und geweißten Wänden. Und im ganzen Raum verteilt sitzen, stehen oder gehen Frauen. Aber was für Frauen! Einige tragen die typische Kleidung der Römerinnen und haben ihre glänzende Haarpracht aufgesteckt und mit Kämmen verziert. Andere tragen andere Kleider, fremdartige Kleider, skandalöse Kleider. Sie sieht Frauen in tief ausgeschnittenen Kleidern, in Kleidern, die den Bauch entblößen und auch einige Frauen - oder zumindest vermutet sie jetzt, dass auch das Frauen sind - , die sich ihre Haare wie Männer kurz geschoren haben und in Hose und Hemd gekleidet sind, genau wie Runa. Jede Altersstufe ist vertreten, jede Haarfarbe, verschiedenste Tönungen der Haut.

"Hat deine Mama dir nicht beigebracht, dass es sehr unhöflich ist, so zu starren?" Erst dieser scherzhafte Kommentar, ein leichter Stoß in die Rippen und Sorayas Lächeln bringen Flavia wieder zu sich. Doch noch immer kann sie ihren Blick nicht von diesen Frauen losreißen. Sie sind so anders, als die Frauen, die sie kennt. So unmöglich, ja skandalös! Und so herrlich, in ihrer bunten Vielfalt. Ein Lächeln breitet sich auf Flavias Gesicht aus, als sie nacheinander allen vorgestellt wird. Da ist Sumeila, deren schwarze Haare noch länger als die von Soraya sind und die ihre braunen Augen schwarz umrandet und ihren Mund dunkelrot anmalt. Ihr seltsames bauchfreies Gewand ist beinahe durchsichtig und an ihren Hand- und Fussgelenken klimpern und glänzen goldene Reifen und Spangen. Die dicke Gelsa, die Köchin, deren Haar bereits ergraut ist und die so gut nach Heim und Essen riecht. Ein Name nach dem anderen wird Flavia genannt, und sie versucht, sich alle zu merken, weiß aber, dass sie wohl noch öfter wird nachfragen müssen.

Es dauert, bis Soraya und Flavia endlich Zeit finden, allein in ihr Zimmer im hinteren Teil des Hauses zu gehen. Ihr Zimmer. Endlich werden sie ein Zimmer für sich zu zweit haben, eines, in dem sie keine Entdeckung zu fürchten brauchen, nicht immer auf jedes Geräusch lauschen müssen... Und hier bietet sich Flavia auch die Gelegenheit, die Dinge zu erfragen, die Soraya ihr bisher nicht erzählt hat. So erfährt sie, dass die Taverne wirklich eine Taverne ist, aber auch noch viel mehr. Natürlich verköstigen sie Reisende gegen Geld und vermieten Zimmer für die Nacht. Aber wer genug Geld hat, kann sich auch mehr als nur ein Bett für eine Nacht mieten. Und mancher, der übernachtet, wird nie wieder gesehen. Jede Frau hat andere Aufgaben. Einige bewirten die Gäste, einige versorgen die Tiere, einige gehen mit Männern auf's Zimmer und einige... einige gehen dann auf die Zimmer, wenn die Gäste schlafen, nehmen Gold und Wertgegenstände an sich und beseitigen anschließend die Leichen. Natürlich dürfen nicht zu viele Gäste verschwinden. Niemand, dessen Weg man zur tanzenden Hetäre zurückverfolgen könnte. Aber hin und wieder lohnt es sich. Ansonsten vermisst mancher Gast nach einem feuchtfröhlichen Abend in der überfüllten Taverne seine Börse, doch noch nie fiel ein Verdacht auf die bezaubernden Bedienungen. Die betrunkenen Tischnachbarn sehen einfach immer so viel verdächtiger aus...

Flavia lauscht gebannt und alles andere als entsetzt. Immerhin hat sie bereits selbst gesehen, wie geschickt Soraya sich Zutritt zu einem fremden Haus zu verschaffen weiß, hat ihre schlanken flinken Finger auf ihrem Körper gespürt und kann sich gut vorstellen, dass ihre Geliebte ohne Probleme auch an fremde Geldbörsen kommt. Sie kuschelt sich in Sorayas Arme und lächelt. "Und wo in der tanzenden Hetäre ist mein Platz? Ich kenne mich mit Tieren nicht aus und bin sicher eine lausige Diebin..." Ein kehliges Lachen, dann "Nun, aber mit deinem hübschen Gesicht kannst du die Gästen ablenken, während du ihre Getränke auf den Tisch stellst und ich sie um ihr Geld erleichtere..." Jetzt lachen beide, und in Flavias Kopf tanzen romantische Vorstellungen von ihrem Leben hier bei Soraya. Wie wunderbar es werden wird, mit ihrer Geliebten in diesem Zimmer zu leben, mit den anderen Frauen zu arbeiten, nie, nie wieder die Stadt von innen zu sehen...

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Die Monate vergehen und Flavia verliert so einige ihrer romantischen Vorstellungen von der Freiheit. Die Arbeit in der Taverne ist manchmal hart und nicht alle Gäste angenehm. Und doch genießt die junge Frau ihr neues Leben mit Soraya, die Nächte zu zweit in ihrem Zimmer, die freien Stunden, die sie zumeist im Wald verbringen, umherstreifen, reden oder trainieren. Soraya lehrt sie, sich ohne Waffen zur Wehr zu setzen, so wie sie sie damals in ihrem Elternhaus heimlich zu Kraft- und Kletterübungen animiert hat. Flavia bedient Gäste, beobachtet die Tänzerinnen, die sich zu Trommel- und Flötenklang geschickt winden und verbiegen und damit die Gäste in ihren Bann schlagen, putzt Zimmer und mistet Ställe aus. Doch sie beteiligt sich nie daran, wenn Gäste im Schlaf ausgeraubt und getötet werden. Zum einen kann sie sich nicht so lautlos bewegen, wie die anderen, und ist mit den Waffen nicht so bewandert, und zum anderen behagt ihr die Vorstellung nicht, mit ihrer Hand ein Menschenleben zu beenden. Nichtsdestotrotz schätzt sie die Annehmlichkeiten, die sie sich alle dank dieser gelegentlichen Diebstähle leisten können, und sie bedauert die Männer nicht - fressen und gefressen werden heißt es hier draußen, und nur der Stärkste überlebt.

Flavia wird inzwischen uneingeschränkt akzeptiert und hat sich mit einigen der Frauen eng angefreundet. Mit der stummen rothaarigen Yanna zum Beispiel, die sogar noch jünger als sie selbst ist, und Gelsa in der Küche zur Hand geht. Und mit Sumeila und ihrer Freundin Yesobel, die ebenfalls tanzt. Und obwohl ihre schwarzen Haare schon von grauen Strähnen durchzogen sind, bewegt sie sich noch so anmutig wie eine junge Frau. Runa lehrt Flavia den Umgang mit dem Dolch und wie sie einen Dolchangriff abwehren kann, wenn sie selbst keine Waffe zur Hand hat. Flavia liebt dieses Leben, das so erfrischend anders ist als das Leben, das ihre Eltern für sie geplant haben: eine Heirat mit einem alten Senator, ein paar Kinder von ihm und ein Leben im goldenen Käfig, umgeben von Sklaven und Wachen...

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Heute ist ein besonders guter Abend für die Frauen der tanzenden Hetäre. Der Schankraum ist voll, kein einziger Platz mehr frei, und die Bedienungen kommen mit dem Nachschenken kaum nach. Gelsas Töpfe und Pfannen dampfen, um all die hungrigen Mäuler zu stopfen, und die Tänzerinnen legen sich mächtig ins Zeug, um die wohlhabenderen der Männer von ihren Künsten zu überzeugen und für eine Nacht für sich zu gewinnen. Auch ein reicher Kaufmann mit ein paar bewaffneten Wachen ist heute hier. Ein Unwetter hat ihn zu einer spontanen Änderung seiner Reiseroute gezwungen, damit die Wagen nicht im Morast steckenbleiben. Und für die Frauen ist klar, dass er und sein Vermögen die tanzende Hetäre nicht mehr verlassen werden. Zu gut die Gelegenheit. Zu gering das Risiko. Die Wachen haben bereits ordentlich getrunken, und der Kaufmann macht Yesobel schöne Augen. Besser könnte es nicht laufen...

Doch es soll anders kommen. Zwar gibt Yesobel das verabredete Zeichen, als der Kaufmann endlich schläft, und die anderen Frauen in Männerkleidern schleichen nach oben, um ihn zu töten und auszurauben, doch jemand stößt gegen ein Tischchen, eine Waschschüssel geht klirrend zu Bruch. Sofort ist der Kaufmann wach und schreit angesichts der maskierten 'Männer' um Hilfe. Nur ein kurzer Laut entfährt ihm, bevor Runa ihn ersticht, doch er genügt, um die trunkenen Wachen auf den Plan zu rufen. Sie stolpern ins Zimmer, Laternen in der Hand, die Waffen gezogen und gehen auf die Eindringlinge los. Die Frauen wehren sich, ein Kampf entbrennt und es sieht so aus, als wären die Frauen dank ihrer Nüchternheit siegreich. Plötzlich wird einem der Männer die Laterne aus der Hand geprellt, sie zerbirst auf dem Bett und setzt dieses mitsamt der Leiche des Kaufmanns in Brand.

Im Kampfgetümmel bemerken die Frauen das Feuer nicht gleich und es greift rasch um sich. Bald brennt der halbe Raum lichterloh, doch die Frauen können ihn nicht verlassen, weil die Wachen zwischen ihnen und der Tür stehen. Sie kämpfen jetzt erbitterter, es geht um ihr Leben, sie müssen hier raus!

Flavia hört den Lärm von oben, riecht den Rauch und sie weiß, dass etwas ganz und gar nicht so ist, wie es sein sollte. Sie greift sich einen Dolch und rennt nach oben, immer dicht an der Wand. Inzwischen ziehen sich Rauchschwaden durch das obere Geschoss, der Kampf hat sich in den Flur verlagert. Nur noch zwei Wachen stehen und werden von den Frauen heftig bedrängt. Flavia sieht, dass Runa einen tiefen Schnitt in einem Oberschenkel haben muss, denn ihre Hose ist zerrissen und blutgetränkt. Aber wo ist Soraya? Flavia sieht sie nicht, doch sie weiß, dass sie heute abend mit nach oben gegangen ist. Jede Frau, die kämpfen kann, ist nach oben gegangen, weil nach dem Kaufmann ja auch die Wachen hätten getötet und beseitigt werden müssen.

Die junge Frau sieht sich hektisch um, doch sie kann ihre Geliebte nicht entdecken. Die beiden Wachen sind tot, und aus allen Zimmern strömen Gäste, die durch den Lärm und den Rauchgeruch wach geworden sind. Oft nur teilweise bekleidet drängen sie in Richtung Treppe, und der Rauch wird immer dichter. Flavia hält Runa am Arm fest, als auch diese an ihr vorbei will. "Soraya! Wo ist Soraya??" Runa schüttelt den Kopf und humpelt weiter. Ihr Gesicht ist blass und sie hustet immer wieder.

Flavia tastet sich durch den Flur bis zum Zimmer der Kaufmanns. Hier ist der Rauch am dichtesten. Sie ruft nach Soraya, wieder und wieder. Schließlich meint sie, ein Husten zu hören. Sie drückt sich den Ärmel ihres Nachtgewandes über den Mund und betritt das brennende Zimmer. Da! Etwas bewegt sich direkt neben der Tür. Ohne nachzudenken packt Flavia die zuckende Hand und zieht die Person in den Flur. Es ist Soraya. Ihr linker Arm ist so verbrannt, dass Flavia nicht weiß, was Fleisch ist und was die Reste des schwarzen Hemdes, und das linke Bein sieht nicht besser aus. Die ältere Frau hustet heftig und kommt nur mit Flavias Hilfe auf die Beine. Die Blondine muss sie stützen, fast tragen.

Als sie vor dem Haus ankommen, tränen ihnen beiden die Augen und beide husten. Das obere Stockwerk des Hauses brennt inzwischen lichterloh, und vor dem Haus stehen die Frauen und ihre Gäste - diejenigen, die es geschafft haben, das Haus zu verlassen. Flavia hält Soraya im Arm, die kurz davor ist, das Bewusstsein zu verlieren, und sieht zu, wie ihr neues Zuhause den Flammen zum Opfer fällt. Sie haben keine Möglichkeit, das Feuer zu löschen, und können nur froh sein, dass es windstill ist und keine Bäume direkt am Haus stehen, so dass nicht auch noch der Wald in Flammen aufgeht.

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Die Ruine raucht noch immer, obwohl das Feuer längst aus ist. Sorayas Arm und Bein sind verbunden, und Runas Beinwunde ebenso. Sumeila lehnt an einem Baum und weint. Yesobel hat es nicht geschafft. Yanna weint stumm um Gelsa, die versucht hat, den anderen Frauen zu helfen, und zuletzt nicht mehr aus dem Haus gekommen ist. Die Gäste sind weitergezogen und die Frauen stehen buchstäblich vor dem Nichts. All ihr Besitz war in diesem Haus und ist ein Raub der Flammen geworden. Doch Flavias Tränen sind auch Tränen des Glücks. Sie hätte letzte Nacht beinahe mehr verloren als Kleidung, Gold und Schmuck. Sie hätte Soraya verlieren können. Sie schließt ihre Geliebte in die Arme und weiß, dass sie es schaffen werden, so lange sie nur zusammen sind.
12.05.2008, 12:02