Beitrag #5
Schon vor langer Zeit hatte Iya gelernt, dass es – egal ob Mann oder Frau – besser war sich eine aufrechte Haltung anzugewöhnen. Nicht nur dass man dadurch unangenehme Rückenschmerzen und Verformungen der Wirbelsäule im Alter vermeiden konnte, sondern es sah auch imposanter aus.
Und als Frau und vor allem für sie als Halbzwergin hatte es sich als vorteilhaft erwiesen nicht auf den ersten Blick als schwächlich und besiegbar verurteilt zu werden.
Und so hatte sie sich schon als kleines Mädchen einen Gang angewöhnt, der nur allzu deutlich ausstrahlte, dass sie sich ihrer Kraft und ihres Könnens durchaus bewusst war.
Gelegenheiten wie dieser Kampf forderten aber nicht nur die normale Art von aufrechtem Gang, sondern eine von ihr perfektionierte Art davon.
Zum geraden Rücken und vorgereckten Kinn gesellte sich nun ein stolzes und leicht arrogant wirkendes Lächeln sowie ein kühner Blick, der ihre Züge härter zu machen schien und dennoch nicht ihre Weiblichkeit verschleierte.
Physisch und mental war Iya nun gut für den Kampf gerüstet, und so schritt sie langsam und bedächtig den Gang zur Arena entlang. Dumpf konnte sie durch die dicken Steinwände das johlende und rufende Publikum hören, anscheinend war das Kolosseum bis zum Anschlag voll.
Wenige Meter vor sich konnte sie in der Düsternis den Lichteinfall der Tür sehen, gleich war es soweit.
Endlich, endlich trat sie die Nachfolge ihrer Mutter ein, der Frau die sie so sehr bewundert hatte, auch wenn sie keine Erinnerung an sie hatte.
Sie hatte den Torbogen schon fast erreicht, als sie hinter sich Schritte hörte.
“Iya Insania Ardrad’g? Wartet, einen Moment!“, hörte sie eine Männerstimme rufen. “Ich habe etwas für euch, ein Paket und einen Brief!“
Offensichtlich handelte es sich bei dem Mann um einen Sklaven, der Botengänge erledigte. Er war außer Atem, also schien der Brief sehr wichtig zu sein.
Sie nahm beides entgegen und nickte dem Sklaven zu, was er sogleich verstand und sich entfernte.
Mißmutig brach Iya das Siegel der Nachricht und begann zu lesen.
Hätte jemand sie beobachtet, so hätte er die Veränderung in ihrer Miene deutlich erkennen können.
Die Farbe änderte sich zuerst von einem gesunden, braunen Ton in ein tiefes rot, und anschließend in Leichenweiß.
Tief getroffen von der Nachricht ließ sie das Papier sinken, bevor sie es sich noch einmal vors Gesicht hielt und es wieder und wieder las.
Iya,
Es tut mir aufrichtig Leid dass ich dir diese Botschaft gerade jetzt vor deinem großen Kampf sende, aber du musst es wissen, und vielleicht lässt es dich über dich hinaus wachsen.
Ich mach es kurz:
Vater ist tot.
Vor wenigen Tagen hauchte er seinen Lebensatem aus, du weißt wie lang er schon nicht mehr richtig lebte...
Nun liegt Kam’kaz Ardrad’g dort begraben, wo er sich – außer in den Armen unserer Mutter natürlich – am wohlsten gefühlt hat: Im Wald vor Rom.
Sei nicht betrübt, er starb um der Liebe willen, und wo er nun ist, ist er glücklicher.
Anbei ist noch ein Paket, ich habe etwas hineingelegt was dir gehören sollte.
Unsere Mutter führte es bei jedem Kampf mit sich, und nun soll es dir Glück bringen.
Lebe wohl,
Rogar Moriturius Ardrad’g
Durch die Worte ihres Bruders tief betrübt öffnete Iya wie in Trance das Paket.
Der Inhalt bestand aus einem kleinen Lederbeutel, der wiederum mit einem Band verschlossen war, das man sich um den Hals hängen konnte.
Sie öffnete es und förderte mehrere kleine Holzfiguren zu Tage.
Beim Anblick dieser kleinen Heiligtümer kam ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie erinnerte sich an diese Dinge, es waren Symbole für die Familie, die ihrer Mutter bei jedem Kampf Kraft und Glück bringen sollten.
Eisern festigte sich Iyas Miene wieder.
Sie würde diesen Kampf bestreiten.
Für ihre Mutter, und nun auch für ihren toten Vater. Und sie würde siegen, dafür würde sie alles tun.
Mit unbeirrbarem Geist stampfte sie nun in die Arena, den Brief und das Paket ließ sie auf dem Boden zurück, den Beutel hingegen hängte sie um ihren Hals.
Xardas‘ begrüßende Worte nahm sie kaum wahr, sie spürte nur das Adrenalin in ihren Adern pulsieren.
“Redet nicht groß rum, lasst uns den Kampf gewinnen, denn ich möchte so wenig Zeit wie möglich hier verbringen. Ich muss eine Beerdigung besuchen...“
Der eherne Grimm der Zwerge war deutlich in ihren Augen zu sehen, verdrängte Emotionen, alte Gefühle und verschwommene Bilder tauchten auf und leiteten ihr ganzes Sein in diesem Moment, da ihre Trauer sie ohnmächtig zu machen drohte.
Dies schien kein Glückstag für ihre Gegner zu sein, denn in diesen Minuten wurde Iya Insania Ardrad’g, halb Mensch, halb Zwerg, zu einer ihrer Sippe, und ließ sich voll und ganz von den Instinkten der Zwerge leiten.
“Möge der oder die Beste überleben....!“
Diese Drohung kaum ausgesprochenen trat sie auch schon auf Grenn Dagu zu, ein Schwert in jeder Hand, beide jedoch noch ruhig zu Boden gerichtet....
|