Beitrag #2
Wieder einmal hatte sich der Schmerz im fehlenden Bein des Smutjes als untrüglicher Hinweis auf einen bevorstehenden Sturm erwiesen. Der eben noch seicht in den Segeln sich fangende Nordwind, auch Tramontana genannt, hatte im Laufe des Tages immer mehr zugenommen und ihnen eine wahrhaft unruhige Nacht beschert. Einer führungslos dahin treibenden Nussschale gleich hatte sich die Banmaden über die sich immer höher und höher auftürmenden Wellenkämme geworfen, stets in Gefahr, hier im Nirgendwo zu kentern und spurlos zu verschwinden. Ein nasses Grab vor Augen und ohnmächtig dem Willen Neptuns ausgesetzt hatten die Neulinge an Bord schnell begriffen, dass ein Leben auf See mehr in sich barg als das laue Leben in Gesellschaft billiger Dirnen und Fässern voller Rum.
Die bereits erfahrenen Seemänner auf der Banmaden, allen voran Luzifer Morgenstern, dem es wohl zu aller erst zu verdanken war, dass das Schiff diese Nacht überstand, hatten sich als wahre Männer der See erwiesen und die Liburne vor dem Untergang bewahrt.
Kosto selbst hatte die ganze Nacht an Deck verbracht und sich derer angenommen, denen ob der schieren Naturgewalten der Mut zu versiegen drohte, hatte beruhigend auf sie eingeredet und allein seine Anwesenheit schien die Männer mit neuem Vertrauen zu beseelen.
Nun, am Morgen nach dem Sturm, zeugten nur noch die alles in allem eher unbedeutenden Schäden am Rumpf und Mast von den Ereignissen der letzten Nacht. Außer einem etwa 16 Jahre jungen Makedonier, der von einem der anbrausenden Kawenzmänner von Bord gespült worden war, hatten sie keine Verluste unter der Crew zu beklagen, die nun damit beschäftigt war, die Wassermassen, die der Sturm am Bord gespült hatte, aussenbords zu lenzen.
Dichter Nebel bildete die Nachhut des Sturmes und erschwerte die Arbeit des Ausgucks erheblich, was Kosto jedoch nicht davon abgehalten hatte, ihn gleich nach Abklingen des Windes wieder auf seinen Posten zu schicken. Die See lag ruhig vor ihnen, doch immer noch beschlich den Kapitän das Gefühl der bevorstehenden Entscheidung. Wie so häufig in der Vergangenheit, so trog auch an diesem Tag sein Gefühl ihn nicht...
"Segel ahoi! Segel ahoi!", hörte er die Stimme der Ausgucks die allgemeine Ruhe an Bord wie eine Klinge zerschneiden.
"Segel bei Nordnordwest!", gab der Ausguck einen Moment darauf zu verstehen, woraufhin alle Piraten, die sich an Deck befanden nach backbord eilten, um den Horizont nach dem gemeldeten Schiff abzusuchen.
Einen endlosen Augenblick lang, legte sich eine Nebelbank über die Szenerie, die jedoch kurz darauf wich und den Blick in die gemeldete Richtung frei gab.
Und in der Tat, da war sie! Der Rumpf bereits über der Kimm sichtbar und nur etwa eineinhalb Seemeilen entfernt, trieb die Virgo dahin. Kosto kniff die Augen zusammen und erkannte sofort, dass das Schiff erheblichen Schaden an der Takelage genommen hatte. Kosto rang sich ein Lächeln ab: Es würde ein Leichtes sein, mit dem Handelschiff gleichzuziehen und auf Tuchfühlung zu gelangen.
Er wandte sich um und blickte in die Gesichter seiner Führungsoffiziere, auf denen sich Tatendrang und Euphorie abzeichneten.
"Na dann, meine Herren. Großsegel setzen und anluven. Alle Mann an die Ruder. Und anschliessend... klar machen zum Entern! Und das Ganze ein bisschen zackig, wenn ich bitten darf!"
Die Offiziere machten auf dem Absatz kehrt, wandten sich ihren Untergebenen zu und gaben die Befehle brüllend an die Mannschaft weiter. Für einen Aussenstehenden musste das Treiben, das nun auf Deck ausbrach, wie blankes Chaos anmuten, Kosto jedoch erkannte die Strukturen in den Handlungen der Piraten. Nun zahlten sich die häufigen Manöver und Übungen der letzten Tage und Wochen aus. Nach ein paar Minuten schon mache die Banmaden Fahrt in Richtung der immer noch müde schippernden Virgo. Die Vorfreude auf das bevorstehende Gefecht übertrug sich von den alten Seebären auf die Jungspunde, die nun mit vollem Eifer ans Werk gingen, die Seekrankheit der letzten Nacht vollständig aus ihren Gliedern tilgend.
Das Raubtier hatte Blut geleckt und würde erst wieder von seinem Opfer ablassen, wenn es gelungen war, es endgültig zur Strecke zu bringen. Nun gab es kein Zurück mehr...
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