RE: Der Schäfer des Chaos
Andreus verstand sich ausgezeichnet darauf, seine Mimik unter Kontrolle zu halten und seine Gedanken zu verbergen. Besser noch, er konnte seiner Umwelt des öfteren im Glauben lassen, etwas zu fühlen, was nicht der Fall war. Diese Fähigkeit hatte ihm den Ruf eines Weisen, ja, eines Unberechenbaren eingebracht. Jedenfalls, wenn man von seinen Kollegen in der Politik sprach. In privaten Angelegenheiten brachte diese Eigenschaft nur Probleme hervor, besonders seine weiblichen Kontakte würden dies frustriert bestätigen. Es war ihnen häufig nicht möglich, zu seinen wahren Gefühlen vorzudringen. Andreus kam daher unweigerlich nur selten in den Genuß von Vertrauen und der inneren Erleichterung, die einem widerfuhr, wenn man sich jemandem gegenüber "ausschüttete".
Es war ein fester Bestandteil von ihm, diese Art und Weise der Abkopplung von der Außenwelt. Er konnte es nicht ablegen. So auch jetzt, als sich sein Herz vor Sorge und Alarmierung verkrampfte. Ihm war keinesfalls die Angst entgangen, die für einige Momente in den Augen des Herrschers entflammt war. Ebensowenig die Momente der geistigen Abwesenheit, aus denen sein alter Freund stets gelähmt zurückkehrte. Diese Augenblicke hatte er schon vorher vereinzelt an ihm beobachtet, doch in letzter Zeit häufigten sich die Vorfälle. Hinter Andreus' eiserner Maske eines leicht besorgten aber treuen Freundes rasten Gedanken. War sein Freund geistig verwirrt, hatte er eine Alterskrankheit, zum Beispiel die des steten Vergessens oder Wahnvorstellungen? Aber woher sollten diese kommen und warum jetzt? Drohte ihm jemand, eine Macht, die stärker war als er? Täuschte sich Andreus vielleicht auch einfach nur und der Imperator machte lediglich eine schwere Zeit durch, die mehr seiner gedanklichen Aufmerksamkeit erforderte...?
So viele Fragen, und er würde sie nicht stellen können. Sie bezeichneten sich unter der Hand zwar als Freunde, doch die Grenzen zwischem dem Herrscher und seiner Umwelt galten auch für Andreus. Er würde auf keinen Fall derlei Fragen stellen können, ohne seinen Kopf zu riskieren. Daher behielt er seine Maske auf und beobachtete weiter aufmerksam. Eines Tages würde er Antworten finden, er war es seinem Freund schuldig. Und jenen, die von ihm abhängig waren, nämlich niemand Geringerem als dem Volke Roms.
Ihre private Audienz wurde jäh unterbrochen, als Maximus eintraf. Andreus zog sich unauffällig zurück, um das Gespräch nicht so offensichtlich zu belauschen und bediente sich zurückhaltend am Wein. Von Maximus hatte er keine großartige Gutmütigkeit zu erwarten, sie beide waren viel zu unterschiedlich, um jemals ein ansprechendes Gespräch gestaltet zu haben. Maximus war ein Soldat durch und durch, Humor oder schöne Worte kamen ihm einer Duellforderung gleich. Besser man beließ es dabei, stets zu bestätigen, dass er "seine" Stadt gut im Griff hatte.
Natürlich redete er von einem außerordentlichen Schwert und bot sich im Duell gegen die Gladiatoren des alten Mannes an, von dem Caesar soeben noch so verächtlich gesprochen hatte. Andreus rollte mit den Augen. Doch als von dem Mädchen die Rede war, runzelte er - professionell leich besorgt aussehend - die Stirn. Sie machte sich Sorgen um den Herrscher? Ein niederes Mädchen? Maximus lehnte sich ziemlich weit aus dem Fenster, eine solche Bitte an den Imperator heranzutragen. Angespannt beobachtete er die Reaktion Caesars, doch ein ungewohntes Geräusch störte seine Aufmerksamkeit. Es kam aus dem Gang hinter der Tür, neben welcher er gerade stand. Es klang wie... ein Niesen. Niemand vom Hof des Herrschers würde sich eine solche Störung der Ruhe an diesem Ort erlauben.
Neugierig wie Andreus war, verbeugte er sich leicht, was niemand bemerkte, und entschwand lautlos durch die Tür. Als er die Tür auf der anderen Seite wieder schloss, erblickte er im Vorzimmer stehend eine fremde Frau. Sie war erstaunlich leicht bekleidet und wirkte, als wäre sie soeben auf frischer Tat ertappt worden. Andreus sah genauer hin. Irrte er sich, oder...
"Kennen wir uns, MyLady?" fragte er, unfähig, zumindest einen Blick über ihren Körper streifen zu lassen. Er zwang sich, Augenkontakt aufzunehmen. "Ihr müsst wissen, dass ihr hier nicht ohne Begleitung sein dürft. Habt ihr euch vielleicht verlaufen? Kann ich euch einen Diener mitgeben, der euch etwas...", er wedelte mit einer Hand in ihre Richtung, "... mit Kleidung versorgt und zum Ausgang geleitet?"
Während er sprach, spähte er bereits nach einem Diener, wurde jedoch enttäuscht. Stattdessen fiel ihm an einer Wand ein gähnend schwarzes Loch auf, ein... Geheimgang...! Andreus' Unterkiefer klappte nun doch nach unten, auch wenn dies professionell aussah.
"Äh..."
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