Beitrag #1
Des Predigers Rückkehr
Am Rande des grössten Platzes jenes Viertels von Roms, dass die Gladiatoren als das ihrige betrachteten, hatten es sich drei Mitglieder der Stadtwache an einem der zahlreich Essensstände bequem gemacht. Selbst der penibelste Zenturio hätten an den Uniformen und Haltung der beiden Jüngeren nur schwerlich etwas zu beanstanden gehabt, ein sicheres Anzeichen, dass diese beiden Stadtwächter in der Wache Neulinge sein mussten. Der dritte dagegen, im Alter seine beiden Kameraden um mindestens zwanzig Lenze voraus, hätte mit seinem Äusseren bei einem Appell einem Zenturio einen Schreikrampf beschert.
Das Interesse der drei galt einem alten Mann, der im Zentrum des Platzes stand, still, starr regungslos. Bekleidet war dieser mit einer schmutzig- grauen Robe, das Haar verfilzt, vollkommen weiss. Von Gestalt her wirkte der Alte hager und sehnig, sie schätzten sein Alter auf mindestens siebzig Jahre. Der Blick des Alten war auf den Hügel des Palatin gerichtet, auf jene Stelle, an der des Imperators prunkvoller Palast sich erhob.
Der alte Mann erschien mit dem Aufgang der Sonne auf dem Platz, mit Sonnenuntergang verschwand er. Niemand schien zu wissen, woher dieser kam und wohin er entschwand, doch Tag für Tag war er erschienen, zum ersten Mal an dem Tage, als der Imperator dem Volk von Rom seine das Imperium erschütternden Entscheidungen verkünden liess. Und seitdem an jedem Tage, der diesem Tag gefolgt war. Der alte Mann sprach nicht, regungslos blickte er auf den Palatin gen des Imperators Palast.
Manch ein Vorübergehender sprach den Alten Mann an, doch dieser reagierte nicht, verharrte weiter stumm und regungslos wie eine Statue. Am gestrigen Tage hatte ein hünenhafter Gladiator, vermutlich einer der Kämpen aus der Arena, in der Schulterbreite den Alten um das Zweifache übertreffend, diesen an Grösse um drei Kopflängen überragend, sich mit genüsslich provozierenden Lächeln vor diesem aufgebaut. Der alte Mann hatte sich nicht geregt, aber zum ersten Male etwas gemurmelt, die Worte vermochten die drei Stadtwächter nicht zu verstehen. Der Hüne war zurückgewichen, gab den Blick auf Palatin wieder frei.
Immer mehr Einwohner Roms kamen im Verlauf der Tage auf den Platz. Manche unter diesen waren wohl Neugierige, die einen Blick auf diese menschliche Statue werfen wollten. Doch andere, deren Zahl anwuchs, verhielten sich wie der Alte Mann, standen regungslos, blickten gen Palast des Imperators, unter ihnen auffallend vieler jener Gladiatoren, die sonst in der Arena aufzutreten pflegten...
Einer der jüngeren Stadtwächter wandte sich mit gerunzelter Stirn an den älteren unter seinen Kameraden: "Sag mal, Dekurio, sollten wir langsam nicht mal etwas unternehmen? Diesen Tattergreis sollten wir festnehmen!" Der Dekurio verschluckte sich an dem köstlichen Wein, an dem gerade genippt hatte, als der Hustenanfall verebbte, herrschte er seinen Untergebenen an: "Dir hat wohl der Imperator ins Gehirn geschissen! Wieso bei allen Göttern glaubst Du eigentlich, dass Dir es gelingen würde, den Alten festzunehmen... sofern Du mir zuvor auch noch 'ne Begründung liefern könntest, die mir einleuchtet!" Der Jüngere lief rot an: "Dekurio, dieser Tattergreis fällt um, wenn ich dem einen Stoss versetze!" "Aha... Du erinnerst Dich an den Gladiator, den der Alte gestern verscheuchte, als wäre dieser nur ein lästiger streunender Köter?" "Ähm... Dekurio, der Alte hat vermutlich den Hünen angefleht, ihm nichts anzutun, weil er so alt und gebrechlich...?"
Der Dekurio musterte seinen Untergebenen von oben bis unten, seufzte resigniert: "Du hat doch Augen im Kopf, oder? Dann solltest Du die auch benutzen. Vermutlich wäre Dir nämlich aufgefallen, dass der Gesichtsausdruck des Hünen, als dieser zurückwich, voller Entsetzen und Angst war. Dir wäre ebenso aufgefallen, dass sich hier immer mehr Gladiatoren aus der Arena versammeln, in deren Gesichtern sich, wenn sie den Alten verstohlen mustern, eine Ehrfurcht abzeichnet, die dem Imperator, sollte er seinen parfümierten Allerwertesten mal hierher bewegen, ganz gewiss nicht zuteil werden wird!"
Jetzt galt der Blick des Dekurio seinen beiden Untergebenen: "Ich weiss nicht, wer diese Alte Mann ist. Während ihr beiden Vollidioten mit euren schmucken Uniformen versucht, Tavernendirnen zu beeindrucken, habe ich versucht, etwas in Erfahrung zu bringen. Ich bin auf eine Mauer des Schweigens gestossen! Ich verwette meinen Arsch, dass dieser Alte unter den Gladiatoren bekannt ist, und sogar die Älteren unter den Einwohnern Roms sich an diesen erinnern!"
Zwanzig Jahre hatte er in der Legion gedient, hatte sich erhofft, in der Stadtwache danach einen geruhsamen Dienst bis zum Ende seiner Tage verbringen zu können. Doch nun zog ein Sturm am Horizont auf, das sagte ihm seine Erfahrung. Noch stand der Alte Mann regungslos auf dem Platz, doch wenn dieser seine Stimme zu erheben gedachte, sollte er möglichst nicht mehr anwesend sein. Er wandte sich an seine Untergebenen: "Ok, Leute, es ist Zeit, Urlaub einzureichen. Habe gerade erfahren, dass meine Mutter gestorben ist, muss zu ihrer Beerdigung nach... Ägypten, das ist sicher weit entfernt genug!"
Der andere seiner Untergebenen meldete sich zu Wort: "Ähm, Dekurio, meine Mutter lebt noch und ist bei bester Gesundheit!" Der Dekurio hatte sich schon zum Gehen abgewandt, erwiderte kurz angebunden: "Entweder gehst Du auf die Beerdigung Deiner noch lebenden Mutter, oder diese wird an der Deinigen teilnehmen müssen!"
Ein leises Murmeln erklang vom Platze her, aus Hunderten von Kehlen, in unnachahmlicher Synchronisation, mit einem Klang, der dem Dekurio sich sträubende Nackenhaare bescherte...
Ave Imperator, Wir, die dem Tode geweiht sind, begrüssen Dich...!
Der Dekurio glaubte, den unausgesprochenen Unterton erkannt zu haben, murmelte lautlos das Unausgesprochene, das herauszuhören war ..., der den Tode mehr als nur verdient hat!. Auf dem Platz herrschte wieder Schweigen, dass sich auszubreiten schien!
Der Dekurio rannte, so schnell, wie er vermochte. Seine beiden Untergebenen folgten, das war deutlich zu hören. Die Grünschnäbel hatten es wohl endlich begriffen... lieber ein lebender Feigling als ein toter Held!
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