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Was tut man nicht alles für die Liebe? [Jalina] - Druckversion

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Was tut man nicht alles für die Liebe? [Jalina] - Ecthelion - 15.06.2010

Story:

Was tut man nicht alles für die Liebe? Die Frage nagt an ihr wie eine Ratte an einem zähen Stück Abfall, während sie von Schatten zu Schatten schleicht. Barfuß verursacht sie quasi kein Geräusch. Ihre Rechte umklammert den Dolch schon seit ihrem Aufbruch, als würde sie ihn verlieren, sollte sie den Griff nur geringfügig lockern. Vergangener Regen hat dreckige Pfützen auf ihrem Weg hinterlassen und wie die Werte ihrer Vergangenheit tritt sie diese nun mit Füßen. Statt des nächtlichen und sternenlosen Himmels zeigen ihre Oberflächen nun nur noch Chaos mit Bruchstücken eines jungen Mondes.

Er ist pünktlich. Natürlich. Ein Mann von seinem Kaliber kann es sich nicht leisten, nicht perfekt zu sein. Dennoch ist er alt und hört nicht mehr so gut. Im nächsten Augenblick ist sie hinter ihm und stößt das kalte Metall in seinen Leib. Kein Gedanke existierte in ihrem Geist. Dann realisiert sie plötzlich mit Grauen, dass er keinen Ton von sich gegeben hat, während er zu Boden sackte. Sein Gesicht liegt zur Hälfte in einer gammligen Wasserlache, die sich nun langsam von seinem Blut tiefrot färbt. Er sieht aus wie ein ganz normaler Mensch aus Fleisch und Blut. Voller Entsetzen starrt sie erst auf ihn, dann auf die Waffe in ihrer Hand und rennt Hals über Kopf in die stumme Nacht hinaus.

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Die Sonne hat ihre Finger noch nicht auf den Boden der Gassen Roms ausgestreckt, als Armenius, ältester Sohn des Imperators und Thronerbe eines mittlerweile alten Mannes, stolzen Schrittes die Stufen zu den Tagungsräumlichkeiten des Palastes emporsteigt. Die Türen öffnen sich für ihn, und er schreitet in die Kühle des Gemäuers, als brächte er dem Winter die Nachricht von Frühling. Seine stolze Körperhaltung war noch nie etwas, worauf er sich konzentrieren musste. Er, Armenius, war geboren, um die Macht seines Vaters fortzuführen und auszubauen. Diese Gewissheit ist unumstößlich, seit seinem ersten Atemzug. Der Stolz war jeher Teil seines Seins, wie auch sein Herzschlag. Der Gipfel seines Wunders ist nur noch eine Frage der Zeit. Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel.

Schon bevor er die große Tür des geräumigsten Besprechungssaales erreicht, dringen die aufgebrachten Stimmen des engsten Beratungskreises des Imperators zu ihm durch. Die Ereignisse der vergangenen Nacht halten viele Verantwortliche Leute seit den frühesten Morgenstunden in hellster Aufregung. Und vor allem Sorge. Sein Vater hatte sich in seiner greisen Unvorsichtigkeit in große Gefahr begeben. Armenius stößt mit einer ausholenden Bewegung beide Türflügel auf und betritt den Raum. Einen Augenblick herrscht höfliche Stille, den Tisch umstehende Bedienstete verneigen sich geräuschlos. Einen Moment später nimmt die laufende Diskussion ihren Fortgang. Neben seinem eigenen Stuhl sind noch zwei weitere unbesetzt. Sein Vater wohnt den Tagungen nur noch selten bei. Der zweite Stuhl gehört dem Hauptmann der persönlichen Leibgarde des Imperators und Armenius hatte dafür Sorge getragen, dass er heute nicht anwesend sein würde. Mit geschulter Aufmerksamkeit verschafft er sich nun einen Überblick über den Fortschritt des Themas, während er sich setzt und sich einen Kelch Rotwein reichen lässt.

"... er nun nicht hier ist, jawohl!", schmettert soeben Ensontus, Schatzmeister und König der Geizigen. Sein rundes, geschwollenes Gesicht ist purpurrot vor Erregung. Seine Stimme hat Ähnlichkeit mit seinen wabbelnden Oberarmen. Sein Gegenüber, grau im Haar und Verstand, schüttelte müde den Kopf und winkt immer wieder ab. Armenius rechnete jeden Tag damit, dass Halmetias, Haus- und Hofmeister, von jetzt auf gleich seinem schwachen Herzen erliegen würde.

"Nein, nein... Ihr könnt doch nicht jede Gelegenheit am Schopfe packen...", er hustet grauenvoll, und fährt dann fort: "... um den Verdacht jedem in die Schuhe zu schieben, der sich gerade nicht Verteidigen kann!" Ensontus springt auf, geht unruhig und wild Gestikulierend ein paar Schritte auf und ab.

"Wenn dem so wäre, hätten es viele böse Menschen auf dieser Welt wirklich sehr einfach!", schnaubt er. "Wir können unmöglich die Tatsachen leugnen, die die aktuelle Rechnung eindeutig ins Negative fallen lassen...! Marvin ist der einzige Mitwissende bei solchen Treffen, nur ihm sind Zeit und Ort bekannt. Sollte ein Meister des Fachs ausgerechnet kurz vor dem Termin und am betreffenden Ort etwa ZUFÄLLIG", er wirft die Arme in die Luft und Armenius schaut rechtzeitig weg, " dort aufgekreuzt und sich über den netten Fang gefreut haben?!" Er lacht nervös. "Und wie soll er ihn erkannt haben? Unser Herr hüllt sich zu solchen Anlässen in dreckige Lumpen!"

"Wenn Marvin als Einziger davon weiß, wäre er dumm gewesen, die Möglichkeit zu nutzen.", kontert Halmetius trocken, ohne aufzublicken. Einen Augenblick lang sagt niemand etwas. Jeder weiß, dass Marvin oft nicht über die Spitze seines Gladius' hinaus denkt. Armenius seufzt hörbar.

"Sein Fehlen heute verstärkt den Verdacht.", wirft er ein. Seine Stimme klingt wie immer zentriert und kühl. Daran hatte er lange gefeilt. Innerlich gratuliert er sich zu diesem gelungenen Tagesanfang. "Er muss aufgespürt und überwacht werden." Einen kleinen Schluck Wein nehmend fügt er hinzu: "Überlasst das mir. Ich kenne seine Leute ganz gut. Ihr hingegen solltet euch besser um den ordnungsgemäßen Ablauf der symbolischen Prozession heute kümmern. Ich möchte keine peinlichen Vorkommnisse erleben, verstanden? Mein Vater räumt mit dieser Abreise mit seiner Vergangenheit auf, da darf nur die Sonne ihre Finger im Spiel haben!" Zufrieden nimmt er allgemeines, unterwürfiges Kopfnicken zur Kenntnis. Betont lässig lehnt er sich ein wenig zurück. "Gut. Was gibt es sonst noch zu besprechen?"

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Der Moment, kurz bevor die Sinne die Traumwelt verlassen und sich in das Hier und Jetzt begeben: Dieser Augenblick ist es, dem sich nun der Duft Elenas hinzufügt und mich mit dem Gefühl äußersten Glückes erwachen lässt. Einen Augenblicke nehme ich sie mit geschlossenen Augen war, spüre ihre sanfte Haut an mir, ihre Wärme um mich herum. Sanft berühren ihre Lippen meine Stirn und vertreiben die restlichen Geister der Nacht. Langsam kreist ihre Hüfte auf der meinen und ich schlage endlich die Augen auf. Umgeben von ihren blonden Locken blicken ihre dunklen Augen auf mich herab, die Lust steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ich streichle sie und fahre mit meinen Fingerspitzen in gewohnten Linien ihr Körperprofil entlang.

"Guten Morgen, mein Gebieter", säuselt sie, leicht gepresst. "Du musst meine Ungeduld verzeihen. Das Leinentuch konnte Dein Versprechen einfach nicht verbergen und ich bin...", sie seufzt innig, "... doch so ungeduldig..." Ich lache leise und genieße die wohlige Wärme unserer Liebe.

Kurze Zeit später lasse ich mir nach einem kurzen Bad von ihr in meine Uniform helfen. Routiniert ziehen ihre schmalen Finger Riemen und Gurte fest. Auf die vielen Jahre unseres gemeinsamen Lebens zurückblickend empfinde ich tiefe Dankbarkeit und muss meinen Blick immer wieder in ihren Augen ruhen lassen. Täusche ich mich, oder ist sie heute besonders aufgeregt? Kein Wunder, denke ich bei mir. Der Imperator würde eine längere Reise antreten, die allgemein als eine aufklärende, im hohen Alter des Mannes erläuternde Maßnahme gepriesen wurde. Im Grunde bedeutete es nichts anderes, als dass er sich in höfische Gesellschaft einer Dame begeben würde, mit der er sich Gerüchten zu Folge in jungen Jahren einmal etwas inniger begeben hatte. Frecheren Gerüchten zu Folge haben sie damals nicht nur Händchen gehalten. Einige gehen sogar soweit zu behaupten, dass dieser Beziehung zueinander auch ein Kind entsprungen wäre. Natürlich sind diese Lügen reiner Frevel, da Armenius' Position als ältester Sohn unanfechtbar ist. Doch leumderische Spekulation ist in der Politik Roms nicht wegzudenken und so wird dieser Tatsache mehr Gewicht beigemessen, als nötig.

Schmerzlich werde ich mir bewusst, dass mich meine Rolle in diesem öffentlichen Schauspiel viele Wochen von meiner Frau fernhalten würde. Fortan würde ich jeden Schritt meines alten Freundes, dem wichtigsten Mann des Reiches, an dessen Seite begleiten. Mein Leib wäre wie immer seine Versicherung vor dem vorzeitigen Tode. Mehr als 20 Jahre ist es nun her, als er mich zu seinem ersten Vertrauten machte.

Bevor ich unser Haus verlasse, tausche ich noch innige Küsse und noch innigere Versprechen mit Elena. Mein Gesicht zeigt bereits die professionelle Maske eines unerschütterlichen Mannes.

"Die unruhige See vermisst ihren Anker schon jetzt...", flüstert sie mir noch ins Ohr. Ein Grinsen kämpft mit meiner Mimik aus Stein.

Erst als ich den Palast erreiche und Aufstellung beziehe, wird mir der Widerspruch in ihren Worten bewusst. Klang es in ihrem Munde nicht doch ziemlich endgültig...?

Eine bekannte Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. "Marvin! Bei den Göttern, da bist Du ja endlich!" Temmanus, Zeremonienmeister, viel zu schnell für die vielen Stufen unter ihm, kommt auf mich zugeflogen. Er wirkt vollkommen aufgebracht. Alarmiert greife ich automatisch zum Gladius an meiner Seite. "Was ist denn los, mein König der Zeremonie?" rufe ich belustigt zurück, um meine Anspannung zu überspielen. Außer Atem kommt er vor mir zum stehen und bringt seine Gewänder wieder in Ordnung.

"Der Sohn unseres Herren persönlich ist auf der Suche nach Dir. Du musst ihn nur knapp verpasst haben..." Temmanus runzelt die Stirn. "Eigentlich merkwürdig, er ist doch eben erst..."

"Was ist denn los?", unterbreche ich ihn ungeduldig. Wenn Armenius etwas wichtig war, dann hieß es meist nichts Gutes. Mein Gegenüber schaut mich überrascht an.

"Sag bloß', Du weißt es noch nicht?" ruft er mit einem kurzen Blick zu den Göttern über uns. "Dein Freund, der vermaledeite Imperator höchstpersönlich, ist in der Nacht angegriffen worden!" Er packt meine Schultern und meine Rüstung klappert ein wenig. "Angegriffen!! Während er sich wiedermal außerhalb geschäftlich traf. Mit einem Dolch, bei den Göttern!"

"Beruhige Dich, Temmanus!" Ich streife seine Arme von meinen Schultern und nehme ihn mir stattdessen zur Seite. Angegriffen hieß nicht getötet. Mit gedämpfter Stimme rede ich nun ernst auf ihn ein. "Das kann unmöglich sein. Er nennt mir immer genau Zeit und Ort seiner Ausflüge. Ich habe nichts davon gewusst. Warum wurde ich nicht informiert?"

"K.. keine Ahnung...!" Temmanus zuckt verzweifelt mit den Schultern. "Ich hätte gedacht, dass Du der Erste wärst, den man informieren würde."

"Hätte man. Wenn nicht schon dieses Treffen nicht äußerst merkwürdig wäre." Tiefe Sorge krallt sich in meinem Herz fest. Wenn Er mich nicht informiert hat, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder Er wollte nicht, dass ich im Bilde bin, oder der Ausflug war nicht Seine eigene Entscheidung gewesen. Dass bis jetzt niemand den Weg zu mir gefunden hatte, ließ darauf schließen, dass mich jemand aus dem engsten Kreise der Verantwortlichen absichtlich außen vor ließ. "Wo ist er jetzt?", flüstere ich gedämpft und mit Seitenblicken auf vorbeieilende Personen. "Wie ist sein Zustand?"

Temmanus lacht heiser auf. "Woher soll ich das wissen? Er wurde augenblicklich isoliert und keiner kommt zu Ihm rein oder raus. Bei den Göttern, wahrscheinlich hinterfragt man zurzeit sogar die Luft, die Er atmet." Er strafft seine Schultern. "Tut mir leid, Marvin. Ich kann hier nicht weiter mit Dir spekulieren. Sieh' zu, dass Du Deinen Hintern aus diesem Mist manövrierst und vor allem sorge dafür, dass meine Zeremonie heute nicht platzt!!" Und schon stolpert er weiter in Richtung Tempel. Einen Augenblick sehe ich ihm mit tiefen Sorgenfalten im Gesicht nach, dann geht ein Ruck durch meine Eingeweide und ich stürme in voller Montur die Treppe hinauf. Temmanus mochte nicht wissen, wo der Imperator verwahrt wurde, doch ich kenne die militärischen Strichlisten. Wenige Sekunden später stehe ich schweißgebadet vor einer massiven Tür, bewacht von drei Soldaten in voller Rüstung und mit Speeren. Ich mache Anstalten, die Tür zu öffnen, als mich einer von ihnen grob zurückhält. Ungläubig wende ich mich ihm zu und will meiner Empörung ob der Rangverletzung Luft machen, als der Typ mir kühl zuvorkommt.

"Anweisung von Armenius selbst. Niemand darf durch. Auch Ihr nicht, Hauptmann." Er grinst verschmitzt und fügt hinzu. "Besonders ihr nicht."

Einen kurzen Moment lang habe ich das Gefühl, meine Sicht würde sich tunnelartig nur auf die sich bewegenden Lippen dieses Kerls beschränken. Dann macht etwas in mir ein Geräusch wie ein brechender, trockener Zweig.

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Der Imperator erkennt die Stimme seines Freundes auch durch die massive Tür sofort. Trotz der enormen Schmerzen in seiner rechten Seite richtet er sich ein wenig in den großen Kissen des ausladenden Bettes auf und zwingt seine Mimik dazu, entspannt und sorgenfrei zu wirken. Auch unter diesen Umständen gelingt es ihm wie immer sehr überzeugend. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Wachen nur provisorisch die Tür schützen würden. Sein Sohn hatte im Hinblick auf Marvin noch viel zu lernen. Zum Glück war er rechtzeitig mit der Besprechung an seinem Bett fertig geworden. Die Sache ist kompliziert.

Eine Erschütterung lässt kleine Holzsplitter vom Türrahmen rieseln. Der zweite Schlag ist so heftig, dass das Schloss ein empörtes Kreischen von sich gibt. Einen Moment später zersplittert es, die Tür schwingt auf und kracht an die Wand. Hindurch fliegt im hohen Bogen ein Mann in Rüstung. Ohne Zweifel einer der Soldaten. Wimmernd rappelt sich der junge Mann auf und weicht rückwärts in den Raum zurück. Durch die Tür tritt nun Marvin, tiefe Zornesröte im Gesicht. Sein Gesicht wendet sich dem Imperator zu und große Erleichterung entspannt es nahezu augenblicklich wieder.

"Raus, Rotzbengel!" pöbelt er noch in Richtung des Soldaten, welcher klappernd die Beine in die Hand nimmt. Marvin tritt alsdann an das Bett heran und lässt sich auf ein Knie nieder. Große Reue zeichnet sein Gesicht. Aber Marvin ist kein guter Schauspieler, weshalb dem Imperator auch die gebändigte Wut eines hintergangenen Kindes auffällt. "Mein Gebieter. Verzeiht mir mein Versagen. Ich finde keine Worte für das Glück, welches ich ob Eurer augenscheinlichen Unversehrtheit empfinde."

"Marvin." Der Imperator lächelt ein professionelles, gütiges Lächeln. "Du hättest wenigstens anklopfen können. Steh' doch bitte auf, also wirklich." Der grobschlächtige Mann kann die vielen Fragen nicht aus seinem Gesicht heraushalten, räuspert sich und nimmt Habachtstellung ein. Trotz dass sie seit vielen Jahren Freunde waren, hatten sie zwischen sich stets die nötige Distanz der Unantastbarkeit gewahrt. "Gut dass Du hier bist. Deinem Fehlen heute Nacht entnehme ich, dass meine letzten Worte Dich nicht erreicht haben. Und weiter, dass sie stattdessen eine falsche Person erreichten." Er mustert das Gesicht des Hauptmanns. War sein Freund nervös? Die Mimik verriet erstaunlich wenig, Marvin schien wütender als gedacht.

"Mein Gebieter, ich..."

"Verschone mich, Marvin", unterbricht er ihn. "Was Du sagst, ändert nichts daran, was bereits geschehen ist." Er seufzt, fühlt sich so müde... "Ich bin den Göttern dankbar, dass sie mich verschont haben. Warum auch immer sie das tun. Meine oberste Priorität ist nun, Gerüchte zu vermeiden. Ich werde die Reise antreten. Was geschehen ist, ist nur noch Lüge."

"Ja, Herr." Marvin nickt. Vermutlich hatte er nichts anderes erwartet. 20 Jahre hin oder her, man lernt sich kennen. Würde genau das den Plan gefährden...?

"Gehe nun. Sorge dafür, dass keine weiteren Dolche den Weg in mich finden. Ich habe wirklich andere Interessen, als wie ein Hund abgestochen zu werden." Marvin nickt erneut und wendet sich zum gehen, wobei er penibel den verstreuten Teilen des Türrahmens ausweicht. "Marvin...", setzt er noch hinzu...

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"... eines noch, für den Weg:"
Ich halte inne, ohne mich umzudrehen. "Traue nicht Deinen Augen, suche die Wahrheit im Herzen." Na toll. Neben unbeantworteten Fragen - die ich immer gehasst habe - jetzt auch noch kluge Sprüche. Die lange Freundschaft scheint ihm wohl zu Kopf zu steigen. Still fluchend verlasse ich den Raum, werfe finstere Blicke auf die verbliebenen Wachen vor der Tür, und mache mich auf den Weg nach draußen. Ich habe noch jede Menge Leute zu konstruieren.

Stunden später: Es ist bereits Nachmittag und die Sonne brennt erbarmungslos alles nieder, was nicht irgendwie vor ihr geschützt ist. In mir ist nach und nach die Gewissheit herangereift, dass mir wegen dieser Sache mehr Aufmerksamkeit gezollt wird, als mir lieb sein kann. Die zwei mich verfolgenden Kapuzenleute machen ihre Arbeit eher schlecht als recht. Doch auch sind die Blicke von Ensontus und die sicher freundschaftlich gemeinten Kommentare von Halmetias äußerst alarmierend. Ich werde verdächtigt. Ausgerechnet ich stand im Verdacht, den Imperator ans Leder zu wollen. Man hielt mich augenscheinlich für dümmer, als ich bisher gedacht hatte. Unter anderen Umständen hätte mir das zum Vorteil gereicht, doch die Beweislage war erdrückend. Wie konnte die Information, die jahrzehntelang sicher zu mir herangetragen worden war, diesmal in den falschen Rachen gekommen sein?

Mit knirschenden Zähnen verfolge ich, wie die Prozession Aufstellung bezieht. Natürlich hat Temmanus alles ganz genau durchgeplant und der klapprige Mann gibt sich alle Mühe, diesen Plan auch umgesetzt zu sehen. Den ganzen Tag schon war er hin- und her gerannt, hatte die Position von Gestecken korrigiert, Leute anders aufgestellt, sich über meine Männer aufgeregt, die nun aber überall und voll gerüstet in der Nähe stehen mussten - auch wenn nicht zu seiner Dekoration passend. Langsam nimmt die ganze Sache Gestalt an und ich begebe mich endlich an meinen Platz, im zweiten Drittel des Feierzuges, eingeschlossen von lockeren Reihen meiner Männer, gemischt mit freien Plätzen für die hohen Adligen. An meiner Seite ist auf dem Boden mit Kreide ein Lorbeerkranz gezeichnet. Hier würde der Imperator selbst Position beziehen und genau hier bleibe ich stehen und warte.

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Die Sicht ist perfekt. Die Gasse unter ihr präsentiert sich ihr in einer wunderbaren Kurve. Hier würde die Menschenmenge zu Langsamkeit gezwungen und unübersichtlich werden. Die Häuser hatten allesamt mehr als ein Stockwerk und viele, viele Fenster. Sie hätte an jedem von ihnen lauern können.

Das hölzerne Wunderwerk in ihren Händen hat nichts mehr mit dem kalten Eisen gemein, welches sie wenige Stunden zuvor mit rasendem Herzen in einem Busch entsorgt hatte. Es muss ein Vermögen wert sein und sie kann regelrecht fühlen, wie der Wert dieser Waffe einen sicheren Tod garantierte. Scham überkommt sie plötzlich wie ein Schauer. Sie hatte mehr gewagt, als sie verantworten kann und hatte versagt. Nun bedient sie sich eines geschenkten Werkzeugs, dass sie nicht verdient hat und welches ihre Unfähigkeit kaschieren würde.

Doch was tut man nicht alles für die Liebe? Geduldig macht sie es sich bequem und sucht ihre Gedanken zu betäuben.

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Hektik kommt auf, doch ich widerstehe der Versuchung, mich suchend umzusehen. Er ist immer pünktlich. Als sich der Zug langsam in Bewegung setzt bin ich daher wenig überrascht, seine Präsenz neben mir zu spüren. Sie hatten die Prozession aus Menschen auf dem Vorplatz des Palastes zusammengebaut. Nun würden wir geschlossen den Platz verlassen, uns ein paar hundert Meter durch die Straßen des Adligenviertels bewegen und uns daraufhin in die engeren Gassen der Mittelständler einfädeln. Das würde die Zeit sein, in der ich keinen Augenblick auch nur blinzeln durfte. Es wird kein Wort gesprochen, nur die Musikanten tönen sowohl am Anfang als auch am Ende des Zuges eine muntere, abenteuerlustige Weise. Der Imperator auf seiner letzten Reise, dieses Mal in die Vergangenheit, mit dem Ziel der reifen Läuterung. Die Dame seines Aufenthalts konnte sich wohl kaum mehr Aufmerksamkeit gewiss sein. Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Endlos langsam bahnt sich die empfindliche und bis an die Zähne bewachte Menschengruppe einen äußerst penibel erdachten Weg durch die Stadt. Die großen Häuser werden nach und nach ein wenig kleiner, scheinen sich mehr und mehr zu ducken und an Glanz zu verlieren. Schließlich passieren wir das Tor zur grauen Zone, wie ich sie gerne nenne. Die beiden großen Flügel aus massiver Eiche liegen fest verankert in einer alten, nicht weniger massiven Steinmauer. Sie sind mit hunderten von Blumensträußen und Gestecken geschmückt, Frauen in weißen und roten Gewändern säumen die Brustwehr darüber und streuen Blütenblätter auf die Hindurch schreitenden. Schon von hier aus kann ich die erregte Menge des Volkes dahinter hören. Sie jubeln und grölen, blasen Sinn und Zweck dieses ganzen Spektakels zu seiner gewünschten Größe auf und verpassen der Aktion die nötige Selbstverständlichkeit, um nicht lächerlich zu erscheinen. Schon passiere ich an der Seite des Imperators das Mauerwerk und als wir wieder in den Sonnenschein treten ist es, als brandete ein Meer aus Lärm und zuckenden Menschenkörpern an die Absperrungen längs unseres Weges. Unwillkürlich legt sich ein dünner Schweißfilm auf meine Stirn und mein Blick streift zügig und gewohnt penibel von links nach rechts und wieder zurück.

Die Straße verengt sich langsam zu einer Gasse, die Menge rückt spürbar näher und teilweise trennt uns nur eine Armlänge der absperrenden Soldaten von den ausgestreckten Händen des Volkes. Weitere Blumen und andere Symbole der Fruchtbarkeit und Versöhnung regnen auf uns herab. In meinem Blickfeld liegen Häuserfassaden mit beunruhigend vielen Fenstern, scharfe Schatten säumen Hauseingänge und Dachterrassen. Ich habe derlei öffentliche Präsentationen schon immer verabscheut. Sie provozieren das Unvermeidliche und bieten tausende Möglichkeiten für die bösartigen Menschen dieser Welt. Doch wie heißt es so schön: Das Volk kennt nur, was ihm nah ist. Doch ich bin äußerst gut vorbereitet. Nahezu 150 hocheffiziente Männer habe ich in einem lückenlosen Netz in und um den Zug herum verteilt. Ein Drittel von ihnen bewegt sich in zivil unter und hinter der wogenden Menge, der Rest läuft Schulter an Schulter mit den priorisierten Personen im Zug selbst mit.

Die Sicht nach Vorn wird durch eine langgestreckte Biegung der Gasse versperrt. Der Zug staut sich unmerklich und ich bedeute den Aufstellungen hinter mir, langsamer zu werden. Die Blasmusik wird blechern von den hohen Wänden der Häuser zurückgeworfen, die nun dicht an dicht den Weg säumen. Die helle Farbe der Mauern wirft das Sonnenlicht zurück und blendet heimtückisch. Mein Blick ist unablässig auf die Fenster gerichtet. Mehrere sind geöffnet und überall lehnen sich Menschen daraus hervor um einen expliziten Blick zu genießen. Gerade taxiere ich erneut die die Situation weiter vorn in der Prozession, als ein Aufblitzen in einem der Fenster auf einen Schlag alle meine Muskeln anspannt. Innerhalb eines Sekundenbruchteils mache ich einen halben Schritt vor den Imperator und packe Ihn unsichtbar für die Menge hinter meinem Rücken am Handgelenk, zwinge Ihn so hinter mich. Einige meiner Leute haben meine Blickrichtung sofort erkannt und bewegen sich auf den betreffenden Hauseingang zu. Die Prozession fährt fort, ohne dass meine Unruhe weiter erkannt wird. Unverwandt blicke ich auf das Fenster. Ist dort nicht eine Silhouette, ein Schatten zu sehen? Die Soldaten verschwinden unauffällig im Inneren des Hauses. Prompt verschwindet der Schatten. Meine Leute würden jeden sofort festnehmen, der sich nun aus dem Haus absetzte. Nach und nach würden sie daraufhin die Wohnungen durchsuchen und die Liste der Gefangenen unverblümt erweitern. Wenn das hier alles vorbei ist, würde ich sie mir alle der Reihe nach in aller Ruhe zu Gemüte führen. Nackt, um Gnade windelnd und geschändet.

Zunehmend entspannter trete ich wieder an die Seite meiner Schutzperson und riskiere einen Blick in Dessen Gesicht. Sein rigoros geschmückter Helm wirft tiefe Schatten auf Seine Züge dennoch erkenne ich darin mehr Angst, als ich meinem Freund zugemutet hätte. Und plötzlich erstarre ich mitten in der Bewegung. In einer Welle des größten Entsetzens bemerke ich nun, dass mein Herr nach Luft ringt und im nächsten Augenblick einen Sturzbach aus Blut über Seine golden schimmernde Rüstung erbricht. Gerade noch kann ich nach Ihm greifen, als auch schon seine Beine nachgeben. Schlaff fällt sein Körper in meine Arme, sein Kopfschmuck rollt zu Boden und verteilt Blüten und Federn auf lehmigen Boden. Ein schockiertes Stöhnen geht durch die Menge um uns herum und nahezu sofort ist die Prozession in Auflösung begriffen. Entsetzte Schreie und laute Kommandos sind zu hören, doch ich kann den Blick nicht heben. Zu Stein erstarrt ist mein Körper und meine Seele. All die vielen Jahre habe ich mein Leben für Seines geben wollen, doch innerhalb eines Augenblicks habe ich meine Chance verpasst. Ich habe sie verstreichen lassen und mein ältester Freund, der mächtigste Mann des Reiches, hat mit Seinem Leben dafür bezahlt.

Eine unbestimmte Panik ergreift mich. Unfähig, logische Gedanken zu fassen, springe ich auf, hebe den toten Körper empor und setze unseren Weg fort. Er würde seine Reise antreten. Er würde nicht weichen. Auch nicht vor dem Tode. Es lebe der Imperator!

Schreckensbleich weicht die Menge vor mir zurück, bildet eine Schneise, stetig wandelnd, mir immer ein paar Schritte voraus. Ich bemerke nicht die salzigen Tränen, die den Staub auf meinem Gesicht in dunkelgraue Rinnsale der Trauer verwandeln. Mir entgehen die gepressten Mienen meiner Männer, unschlüssig, ob sie mich zurückhalten oder wandeln lassen sollten. Unter meiner mächtigen Rüstung erbebt mein Körper, wird vom Schluchzen geschüttelt. Weiter trage ich meinen alten Freund, weiter, immer weiter. Noch einen Schritt, es kann nicht mehr weit sein. Noch einen Schritt...

Als mich besinnungslose Schwärze zu umnebeln beginnt, und meine Beine nachzugeben scheinen, schält sich ein vertrautes Gesicht aus der Finsternis. "Marvin", flüstert Elenas Stimme. "Mein Gebieter. Lass' ihn gehen. Komm' mit mir. Alles wird gut."


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Der Moment, kurz bevor die Sinne die Traumwelt verlassen und sich in das Hier und Jetzt begeben: Dieser Augenblick ist es, der sich mir nun als der wahrhaftige Albtraum zeigt. Das, worin ich erwache, ist die Gegenwart und sie zeugt von einem Geschehnis, welches nie hätte passieren dürfen. Ich spüre die Angst eines Kleinkindes in mir, bin unfähig, die Augen zu öffnen. Der Duft Elenas jedoch ist bei mir, ich spüre ihre Nähe, als wäre es wieder der heutige Morgen. Nun küsst sie sanft meinen Mund und ich blinzle trotz allem: Kerzenschein, ein vertrautes Zimmer. Wir sind daheim. Es ist Abend.

"Ich..." beginne ich leise, "... ich kann das nicht ertragen, Elena...! Wie konnte das passieren? Wie konnte es nur??" Verzweifelt vergrabe ich mein Gesicht in den Händen. Die Tränen scheinen versiegt, in mir herrscht bleierne Leere.

"Geliebter Schatz..." Elena. Sie sitzt neben mir auf der Bettkannte und reinigt mit einem feuchten Leinentuch mein Gesicht, wofür sie meine Hände fortnimmt und mir in die Augen sieht. "Du konntest nichts dafür, Dich trifft keine Schuld. Du konntest Dich nur auf eine Gefahr zurzeit konzentrieren." Sanft lächelnd tupft sie über mein Gesicht. "Mache Dir keine Vorwürfe, mein Gebieter. Dein alter Freund verdankte Dir bereits nahezu ein halbes Leben der besten Sicherheit. Es war nur eine Frage der Zeit...! Du hast getan, was getan werden konnte. Er wird Dir auf ewig dankbar sein."

Ich unterdrücke den Widerwillen, den ihre Worte in mir hervorrufen. Noch bin ich nicht in der Lage, sie zu akzeptieren. Sein Tod war nur möglich gewesen, weil mein Körper nicht dort war, wo er hingehörte: Nämlich zwischen den Imperator und... Ja, was eigentlich? Hatte ihn jemand erstochen? "Elena... weißt Du zufällig, wie er..." meine Stimme bricht, als steckte ich ihm tiefsten Stimmenbruch.

"Den Gerüchten nach zu urteilen, war es ein Armbrustbolzen. Gefeuert aus einer Waffe höchster Qualität. Nur so soll es möglich gewesen sein, die Rüstung des Imperators zu durchdringen." Sie blickt mir ernst in die Augen. "Eine Armbrust kann man nicht aufhalten, Marvin. Ist der Bolzen unterwegs, helfen die schärfsten Sinne nicht mehr." Sie schüttelt sanft den Kopf. "Du hattest keine Möglichkeit, Geliebter."

Gequält wende ich mich ab. Ihre Worte klingen nach Verrat an meinen Werten, doch mit großer Wut spüre ich, dass sie recht hat. Moderne Waffen übertrumpften die Fähigkeiten eines menschlichen Körpers und übertrafen den geschultesten Sinn um Längen. Graue, schwere Resignation packt mich tief im Herzen und ich sinke kraftlos in mein Kissen zurück.

"Es ist vorbei, mein geliebter Mond, meine Sterne." flüstere ich tonlos.


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Der Imperator ist tot. Es lebe der Imperator!

Diese Worte sind so mächtig, dass ihm ein Schauer über den Rücken läuft. Der alte Mann muss unwillkürlich grinsen, was wirklich außerordentlich selten geschieht. Sein Sohn hatte getobt, geschrien und geflucht. Er hatte ihm mit den Fäusten gedroht und sich vor dem zügig einberufenen Geheimrat vollständig zum Narren gemacht. Armenius war noch jung und herrschte mehr über seinen Verstand, denn über sein Herz. Man konnte nur Überlegungen darüber anstellen, warum er mehr erzürnt als erleichtert war, seinen Vater noch lebend zu sehen. Obwohl er sich schnell gefangen und seinen Ausbruch als Ausdruck seines unendlichen Schreckens ob dieses Vorfalls hingestellt hatte.

Schnell tritt er in den Schatten eines Hauseingangs, blickt nochmals prüfend die in der späten Dämmerung des Abends daliegenden Straße hoch und runter, und verschwindet dann in dem Gebäude. Etwas ungeübt entledigt er sich seines schäbigen Umhangs und hängt ihn an einen Haken neben der Tür. Dann lauscht er angestrengt. Nichts ist zu hören, weshalb er sich weiter ins Innere des Hauses vorarbeitet. Kochstube und Wohnzimmer sind verlassen und dunkel, der Kamin liegt kalt und finster da. Der alte Mann glaubt oben an der Treppe ein schwaches Licht auszumachen und beginnt den Aufstieg. Vorfreude macht sich in ihm breit, und auch ein wenig Sorge. Sein alter Freund würde stinkwütend sein und sich vermutlich verraten fühlen. Doch er würde schnell sehen, dass nicht umsonst mit seinen Gefühlen gespielt wurde.

Die knarzenden Stufen der alten Treppe mussten ihn verraten haben, denn plötzlich ist eine Frauenstimme zu hören und kurz darauf nähert sich jemand mit einer Kerze. Er hat die letzte Stufe noch nicht erreicht, als sein Blick auf die Frau trifft, welche mit dem Licht herbeieilt. Freundlich lächelnd winkt er ein wenig verlegen Elena zu. Sie pflegte ihn stets bei seinen Besuchen zu empfangen.

"Sei gegrüßt, Ele..." setzt er an, doch hält verdattert inne. Elena stößt einen erstickten Schrei aus, ihr Gesicht hat die Farbe von Kalk angenommen, die Kerze fällt ihr aus der Hand und es wird stockdunkel. Er kann unsichere Schritte hören, die sich von ihm entfernen. Unschlüssig bleibt er stehen und flucht leise in die Finsternis hinein. "Du hättest es doch wissen müssen... schleichst hier als Geist eines vermeintlich Toten umher..." Er lässt resigniert seine Schultern hängen und wartet. Nicht weit entfernt ist nun der gedämpfte Bariton von Marvin zu hören. Er scheint sich aus einem Bett herauszuarbeiten, es ertönt hastiges Rascheln von Kleidung und das schabende Geräusch von Stahl auf Stahl. Die Situation wird ihm langsam unangenehm.

"Wer ist dort?", tönt es nun.

"Marvin, ich bin es. Dein Herr und Gebieter. Ich muss Dir etwas erzählen, hörst Du?" Keine Antwort. Angestrengt horcht er in die Dunkelheit. Hört er wirklich so schlecht? "Erinnerst Du Dich noch, was ic..." Mit einem Mal wird er von den Füßen gerissen und hart an die nächste Wand geworfen. Der Aufprall presst die Luft aus seinen Lungen, im selben Moment wird er an der Wand empor gedrückt, sodass seine Füße im Leeren strampeln. Er spürt heißen Atem auf seinem Gesicht.

"Der Imperator ist tot, *piep*.", knurrt Marvin und packt ihn zusätzlich an der Gurgel, dass ihm Sehen und Hören vergeht. Mühsam ringt der alte Mann nach Luft, zerrt vergebens an den rohrartigen Unterarmen des Hauptmanns. Elena entzündet anscheinend wieder eine Kerze, denn schwaches Licht enthüllt den Hass und die Wut in Marvins Gesichtszügen.

"Suche.... die... Wahrheit... im....." mit letzter Kraft presst er das letzte Wort durch seinen Hals. "... Herzen!! Arghl..."

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"Woher zum Teufel..." entfährt es mir keuchend. Ich will diesen Idioten den Hals umdrehen, doch etwas in mir zögert. Diese Worte hatte mir mein alter Freund doch... Wie kann der Verrückte hier denn davon wissen?

Traue nicht Deinen Augen..., zitiert mein Gedächtnis. Ich schaue nochmals in das Gesicht des sterbenden Imperators auf der offenen Straße. Blut quillt aus seinem Mund. Ich sehe den Imperator im Bett, noch am selben Tag. Hatten am Fenster nicht Krücken gestanden? Gehhilfen für jemanden, der nicht richtig laufen kann...

Mit einem Mal fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Es erscheint mir plötzlich alles so sonnenklar, dass ich augenblicklich lachen muss. Lachen vor Erleichterung und einem Anflug von Ironie. Natürlich war der Imperator nicht ermordet worden.

Gestorben war ein Doppelgänger. Ich war dem ältesten Trick der Welt anheimgefallen.

Was auch bedeutet, dass ich in diesen Moment den Imperator an einer Wand in meinem Treppenhaus erwürge. Ebenso schockiert wie auch erleichtert löse ich meinen Griff, doch statt gierig Luft zu holen, sich den Hals zu reiben und mir zu sagen, dass ich ein Idiot bin, kippt der alte Mann vornüber und reißt mich zu Boden. Vollkommen verwirrt starre ich in das leblose, schmerzverzerrte Gesicht meines Freundes. Was ging hier vor? Panisch schiebe ich ihn von mir und richte mich auf. Elena steht mit schneeweißem Gesicht und weit aufgerissen Augen vor mir. Ihre Hand ist über und über mit Blut besudelt. Langsam tropft es auf den toten Mann zwischen uns herab, in dessen linker Brust bis zum Schaft ein Dolch steckt. Entsetztes Schweigen herrscht einige Augenblick vor, dann platzt mir der Kragen.

"Was, bei allen Teufeln dieser Welt, hast Du getan?!", brülle ich los und packe sie an den Schultern. "Wie kannst Du nur den Imperator abstechen?? Hast Du eigentlich eine Ahnung, was das für uns und die Welt bedeutet? Hast Du ÜBERHAUPT EINE AHNUNG?!?" Bebend vor Zorn schüttle ich die zierliche Frau, bis sie hysterisch zu weinen anfängt.

"Ich habe es doch nur für Dich getan, oh Du dummer lieber Arsch!!", sie befreit sich aus meinem Griff und streckt ihre Hände nach meinem Gesicht aus. Verwirrt weiche ich etwas zurück. "Verstehst Du es denn nicht, mein Gebieter?" Elenas Stimme zittert vor Aufregung. "Armenius! Er wollte Dich hintergehen! Und nur ich konnte ihn überzeugen, von dem Teufelsplan abzulassen!" Sie lächelte verschwörerisch und zugleich zutiefst verängstigt. "Weil ich dich doch Liebe, Marvin! Ich liebe Dich!"

"Lass' von mir, Elena! Was ist los mit Dir?!", rufe ich und schlage ihre Hände weg. Nichts ergibt mehr Sinn. "Was faselst Du da von Liebe und Hinterhalt? Bist Du übergeschnappt oder was?" Nur mühsam gelingt es mir, aufkeimenden Wahnsinn zu unterdrücken und lasse den Blick noch einmal durch den Raum gleiten. "Wir müssen das hier aufräumen...", plätschert es stammelnd aus mir heraus. "Wenn das hier jemand sieht, dann..." Ich blicke Elena in die Augen und spüre sofort, dass etwas Gewaltiges hier nicht stimmt. Ihre Mimik hat sich vollkommen gewandelt, um ihren Mund spielt ein hämisches Grinsen, in Ihren Augen steht Wut und eine gefährliche Vorfreude auf etwas Böses. Erschrocken weiche ich zurück, etwas Kaltes berührt mich im Nacken und ich fahre wie von der Tarantel gestochen herum.

"Sieh' an, sieh' an... was haben wir denn hier, Herr Hauptmann?" Armenius‘ Stimme pellt sich aus dem Zwielicht, noch bevor seine überhebliche Visage zu sehen ist. Die Spitze seines Gladius' ist auf meine Kehle gerichtet. Ich höre mich überrascht aufkeuchen und hebe automatisch leicht die Hände.

"Armenius! Was um aller Welt machst Du denn hier...?"

"Aber Marvin...!", der Sohn des Imperators lässt in gespielter Empörung eine Augenbraue hochschnellen. "Es ist meine Aufgabe, für die Sicherheit meiner Familie zu Sorgen! Gerade Du müsstest das doch wissen." Er scheint in seinem Schauspiel ganz aufzugehen, doch ich bin zu gelähmt, um mich ihm zu entziehen. Nun wirft er einen Blick auf seinen toten Vater und reißt betont erschrocken die Augen auf. "Doch was muss ich hier sehen? Mein Vater, der Herrscher des Reiches, tot, getränkt in seinem eigenen Blut! Welche Schmach." Er ändert gekonnt seine Mimik und blickt mir unheilvoll in die Augen. "Ermordet. Hinterhältig erstochen."

"Armenius, jetzt hör' mir doch erst mal zu, es ist nicht so wie..." höre ich mich heiser sagen, doch er unterbricht mich mit einer Handbewegung.

"Schweige, Hauptmann. Oder sollte ich sagen: Mörder?", er lacht gehässig, umrundet mich und die Leiche zu unseren Füßen, wohl bedacht, nicht in die Blutlache zu treten. Ich sehe mit Entsetzen und tiefster Ungläubigkeit, wie Elena sich an seinen Hals schmiegt und er sie innig küsst, ohne seine Schwertspitze einen Augenblick sinken zu lassen. Demonstrativ fährt seine freie Linke über ihren Busen und durch ihr loses Haar. Sie lacht entzückt und erwidert sein Spiel, wobei sie mir vernichtende Blicke zuwirft. Armenius lässt alsdann von ihr ab und wendet sich wieder mir zu. In diesen beschämenden Momenten hatte ich mich keinen Zentimeter rühren können. Draußen kommt jetzt Lärm auf, es klingt als wäre ein Soldatenkommando drauf und dran, in mein Haus einzudringen. Glas geht klirrend zu Bruch, Rufe dringen zu uns herauf.

"So kann es gehen, Marvin. Altes Eisen wird irgendwann brüchig und muss neuem Metall weichen." Armenius streichelt versonnen Elenas Hüfte, und hebt sein Schwert ein wenig in einer allumfassenden Geste. "Du bist verrostetes, altes Eisen, Marvin. Ich persönlich jedoch zähle mich nicht dazu. Unmöglich die Vorstellung, dass diese *piep* von Vergangenheitsbewältigung meinem Vater die Idee eines älteren Sohnes einpflanzen könnte! Ein Thronerbe, der wahrer sein würde als ich, Armenius!" Er wird wieder ernst, sein Blick wandert zu seinem Vater. "Nein, so etwas kann nicht geschehen. Die Dinge müssen ihren vorbestimmten Lauf nehmen, das Land braucht klare Strukturen! Doch er wollte nicht hören." Für einen kurzen Moment entgleitet ihm die Kontrolle über seine Stimme. "Du wolltest ja nicht hören, Vater! Nicht! Hören!" Er brüllt die letzten Worte förmlich und tritt mit einem Fuß nach der Leiche. Im nächsten Augenblick hat er sich wieder gefangen und heftet seinen Blick erneut auf mich. Irgendwo unten zersplittert eine Tür und Kochgeschirr wird scheppernd auf dem Boden ausgeleert.

Ich muss es versuchen. "Armenius. Ich kann Deinen Schmerz verstehen...! Ich flehe Dich an... sage mir, was ich tun kann! Verschone meine Frau und mache mit mir, was Du willst!". Sehr wohl bemerke ich das Flackern in Elenas Blick. Ist es ein Schauspiel? Ist es etwa trotz alledem Angst?

"Ha ha! Das ist wirklich äußerst ritterlich von Dir, Du Trottel.", lacht Armenius keckernd. "Doch weißt Du... nachdem Deine kleine Hübsche hier ihren ersten Anschlag auf meinen Vater so jämmerlich vergeigt hat...", er stößt sie von sich, "... und sie beim zweiten Mal nur einen DOPPELGÄNGER erwischte und außerdem mit zu viel Wissen über mich hervorging..."

Ich erkenne sofort die typische Bewegung seines Schwertarms. "Nein, Armenius!" brülle ich, doch zu spät.

"... kann ich sie einfach nicht mehr ausstehen!" Mit einem feuchten Ratschen fährt seine Klinge mitten durch den Brustkorb Elenas. Sofort entweicht ihr Atem in einem letzten Seufzer, ihr Blick liegt gläsern und trauernd auf mir. Wie ein Stein fällt sie zu Boden.

Armenius seufzt tragisch und wischt sein Schwert am Ärmel seines Vaters sauber. "Weißt Du, Marvin...", er schaut zu mir hoch, ganz der weise Lehrer vor einer Kleinkinderschulklasse. Gähnende Taubheit macht sich in meiner Seele breit. "... sie war eine sehr ehrbare Frau. Hat sie Dir erzählt, dass sie mit ihren Attentaten Dein Leben retten wollte? Das hoffe ich doch sehr, jetzt wo sie tot ist. Siehst Du, eigentlich wollte ich Dich einfach als Mörder meines Vaters arrangieren...", er grinst breit. "... Du kennst die Methoden. Jedenfalls - sie überzeugte mich, stattdessen sie auszusenden, damit sie die Aufgabe ohne Hinweise auf Dich erledigen könnte. Ein anonymer Auftragsmörder sozusagen. Die Idee gefiel mir und ich ließ mich in vielen Nächten mit ihr davon überzeugen." Er steht seufzend auf. "Doch tragisch, tragisch... sie hat es versaut. Mein Vater hat den Braten gerochen und hinter meinem Rücken einen Doppelgänger eingesetzt. Nun wusste er mit Sicherheit, dass nicht Du der Verdächtige bist." Armenius breitet die Arme aus, als träfe ihn keine Schuld. "Ich musste handeln! Natürlich wollte mein Vater Dich möglichst bald über diesen miesen Plan aufklären, weshalb ich ihm hierher folgte. Wie praktisch kam mir da der Aberglaube Deiner Frau zu Gute. Sie muss im Anblick eines tot geglaubten die Fassung verloren haben!" Er lacht leise und schüttelt den Kopf. "Wenn das nicht eine Fügung des Schicksals ist! Jedenfalls blieb mir die unangenehme Arbeit erspart." Er deutet auf die Mordwaffe im Leibe des Imperators. "Erkennst Du die Klinge? Ja, Marvin, es ist Deine. Dein Plan war wirklich ausgereift und all die Jahre hast Du auf diesen Moment gewartet."

Getrappel von vielen schweren Männern ist nun auf der Treppe zu hören. Armenius richtet sich zu voller Größe auf, zeigt mit dem Schwert auf meinen Kopf und brüllt: "Elender Verräter und Mörder! Festsetzen, im Namen des Imperators!"

Mehrere gerüstete Männer fixieren meine Arme. Das war es dann wohl. Ruhe in Frieden, Elena. Was tut man nicht alles für die Liebe... denke ich noch, bevor mir jemand mit einem Schlag auf den Hinterkopf das Bewusstsein nimmt.