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Das Mädchen und der Tod
Jalina
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Beitrag #1
Das Mädchen und der Tod
Das Mädchen und der Tod.

In dem Raum war es stockfinster. Jasoph hielt zur Probe sogar seine eigene Hand vor die Augen - zumindest vermutete er, dass er sie dorthin hielt, denn sehen konnte er: Nichts. Vorsichtig löste er seinen Griff vom Fensterbrett, über welches er soeben im Schneckentempo gekrochen war und machte einen Schritt nach vorn. Es kam ihm so vor, als würde er sich nur vorstellen, dass er sich bewegte, doch die Luft um ihn herum bewegte sich sanft. Er konnte die Wasch-Schüssel schon auf dem Boden aufkommen hören, als sie kippte und fiel. Der Lärm, den sie letztendlich machte, war jedoch noch viel grausamer. Leise fluchend machte er zwei Feststellungen: Er konnte nichts sehen, aber immerhin noch etwas hören und: Das Waschwasser aus der Schüssel hatte sich zum größten Teil in seinen Stiefeln aufgefangen, was zumindest der Frau im Hause weniger Arbeit beim Schrubben einbringen würde; Doch leider konnte er diesen Umstand nicht mehr als rettendes Argument für sein Eindringen in dieses fremde Haus vorbringen, denn im nächsten Augenblick wurde er mit brutalen Schlägen irgendeines Stockes von hinten eingedeckt.

"Bei den sieben Höllen...!" grunzte er, während er sich auf allen Vieren wieder fand und blind durch den halben Raum kroch, dabei mehrmals seinen Kopf an irgendwelchen gemeinen Kanten stieß und außerdem noch mit einer Hand in ein Gefäß fasste, dessen Inhalt nichts anderes sein konnte als gesammelte, mitternächtliche Rotzanfälle. Vor Ekel und aufkommender Wut würgend drehte er sich herum und versuchte nach dem Angreifer zu fassen. Doch alles, was ihm das einbrachte, war ein Gesicht voller Stroh und ein weiterer Hieb mitten auf die Brust. Die Luft wich aus seinen Lungen und abermals viel er nach hinten, wobei er nur noch wimmerte: "Haltet ein! Ich will nichts Böses! Ich..." Ja - wie sollte er das nun in einem Satz formulieren, während seine Zunge mit dem Stroh in seinem Mund kämpfte? "Ich bin hier, um zu helfen! Ihr seid in Gefahr, so hört mich doch an, bei den Göttern!" Er konnte spüren, wie sein unsichtbares Gegenüber zögerte und nutzte die Chance, um sich nach vorn zu werfen. Sein Gegner war nicht so schwer, wie er vermutet hatte, daher riss er ihn weit mit nach hinten und beide landeten sie unsanft auf zwei Ballen Stroh, die hier wohl als Nachtlager dienend auf dem Boden herumlagen.

Sofort spürte Jasoph, dass sich dieser Körper unter ihm auf Anhieb angenehmer anfühlte, als es ihm lieb war. Verblüfft hielt er inne, hielt die Arme seines Gegners mit zwei festen Griffen auf Abstand und starrte in die Finsternis vor ihm. Warum nur musste es hier so dunkel sein? Doch schon flammte irgendwo hinter ihm eine Öllampe auf und als hätte er es nicht anders erwartet entpuppte sich der Angreifer mit dem Besen als eine Frau. Gerade kam Jasoph nach eingehender Musterung ihres dünnen Baumwollhemdes zu dem Entschluss, dass dies sogar eine recht attraktive Frau war, als ihm der Gedanke kam, dass es gut wäre zu wissen, wer eigentlich das Licht entzündet hatte. Überrascht drehte er den Kopf, ohne die Arme der Frau unter ihm loszulassen. Nicht weit hinter ihm, in eine Art Schlafrobe gekleidet, stand ein junger Mann mit roten, zerwühlten Haaren, grauen, aufgerissen Augen und den Mund sperrangelweit offen. Seine linke Hand hielt eine rostige Öllampe, die andere Hand verharrte noch immer mit dem Zündeisen am Docht der Lampe. "Wer... Was wollt Ihr hier...?", stammelte er, ohne sich seines grotesken Anblicks bewusst zu werden. Als Jasoph nicht sofort antwortete, kam der Kerl näher. "Lasst sie sofort los, oder..."
"... oder was?", knurrte Jasoph. Er hatte nicht viel Zeit und langsam ging ihm dieses Theater hier auf die Nerven. Es gab wichtigeres zu wissen, als den Grund für Jasoph, auf dieser Frau hier zu liegen.

Von draußen konnte man bereits Stimmen laut werden hören. Das Dorf erwachte. Doch dieser Trottel hier schien es nicht wahrzunehmen. Er warf der Frau unter ihm einen warnenden Blick zu und ließ sie dann los. Während er sich aufrichtete und sich den Dreck von seiner Plattenrüstung klopfte, ließ er die beiden nicht aus den Augen. "Du kannst mir nichts antun, Junge.", fuhr er mit düsterer, aber leiser Stimme fort. "Siehst Du denn nicht, wer ich bin?" Er drehte seine Brust zu dem Idioten hin, sodass er das Wappen des Imperators auf seinem Brustpanzer deutlich sehen konnte. "Mach den Mund zu. Und häng' die Lampe da oben hin. Dann helfe der Dame hier auf. Mach schon, zack zack." Er machte einen bedrohlichen Schritt auf den Jungen zu, woraufhin dieser sich spurtete zu tun, was ihm befohlen worden war.

Wenige Augenblicke später saßen die beiden brav auf einer klapprigen Holzbank neben dem Kamin und Jasoph baute sich vor ihnen auf. So gut es ihm mit seinen 1.70 Metern Körpergröße gelingen mochte. Der Junge hatte genau den richtigen Gesichtausdruck, doch die Frau blitzte ihn noch immer mit wütenden Blicken an. "Hört zu...", begann er zu erklären und seufzte, als würde er mit einer Horde Kleinkinder reden. "Es ist nicht so wie es aussieht. Dass ich mich hier einschleichen musste, tut mir leid. Glaubt mir, so was gehört weniger zu meinem Freizeit-Vergnügen." Ob dieses witzigen Wortspiels seinerseits musste er grinsen, doch dann viel ihm plötzlich die Dringlichkeit der Sache ein und in seinen Augen glomm ein wenig Hektik auf. "Alva. Das Mädchen.", er zeigte mit der Handfläche neben sich, auf Bauchhöhe. "In etwa so groß. Rote Haare." Er blickte der Frau offen ins Gesicht. "Sie befindet sich in großer Gefahr. Wo ist sie?" Die Frau jedoch rief nur: "Niemals erfährst Du es, Du Schwein!" und spuckte ihm auf seinen rechten Stiefel; Natürlich den Stiefel, welcher nicht mit Wasser gefüllt war.

Plötzlich hörte er laute Stimmen direkt vor der Tür der Holzhütte. Befehle wurden gebrüllt. "Sag es mir, Weib!", rief Jasoph nun fluchend, trat auf die Frau zu und packte sie bei den Schultern. "Verstehst Du denn immer noch nicht? Der Imperator erinnert sich gut an das Mädchen, doch treibt die Politik andere Spielchen mit Euch!" Holz splitterte, die scharfe Schneide einer Axt blitzte durch das Holz hindurch, bevor sie wieder aus der Tür gezerrt wurde. Verzweifelt starrte er der Frau in die Augen und spürte, wie die Panik ihn überkam. Mit letzter Kraft riss er sich zusammen und ließ sie erneut los. Mit zitternder Stimme fuhr er nun fort. "Wenn Alva leben soll, sprich nun. In ein paar Augenblicken wird es zu spät sein. Ihr... ihr müsst mir glauben! Pars pro toto... Ab ovo!"

Und da war es: Einen kleinsten Augenblick lang flackerten die Augen der Frau und ihre Mundwinkel zuckten. Zweifel stand nun in ihrem Blick geschrieben, die letzten Worte schließlich trieben ihr unverhofft Tränen in die Augen. Gerade wollte sie sich aufrichten und den Mund öffnen, als das Holz der Tür den letzten Widerstand aufgab und sich in tausende Späne auflöste. Sofort sprangen gepanzerte Männer hindurch und sicherten routiniert den Eingang. Der Gestank von Tod und Ruß drang in die Hütte. Für den Bruchteil einer Sekunde verweilte Jasophs Blick noch auf der Frau, bevor er flüsterte: "Es tut mir leid. Bei den Göttern, vergib' mir!". Sein mit Platin geschützter Ellbogen traf sie mitten im Gesicht. Sie schrie auf, während sie zurückstolperte, mit den Händen ihre Nase bedeckte und fiel. Mit der Rückhand verpasste er dem Jungen eine Ohrfeige, welche ihn seitwärts von der Bank schleuderte. Weitere Männer drangen in den Raum ein.

Dies alles geschah in wenigen Augenblicken und nun stand Jasoph schwer atmend über der Frau am Boden. "Hauptmann, Ser!" brüllte er den Männern zu. "Wir haben sie gefunden, das ist die Mutter des Mädchens." Er versuchte, seine Nervosität damit zu überspielen, indem er sich umständlich den Helm abnahm, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Doch sein Plan ging auf, die Männer stellten keine Fragen und hatten augenscheinlich nicht bemerkt, dass er bereits in der Hütte gewesen war, bevor sie die Tür geöffnet hatten. Ser Reklat, der Hauptmann, stellte sich neben ihn und verschränkte die Arme. "Seid ihr euch sicher, Soldat?" Sein Blick klebte prüfend auf der vor Schmerz wimmernden Gefangenen unter ihnen. "Sie sieht aus wie jede andere hier im Dorf... und bald wird sie genauso schreien und schließlich genauso sterben wie alle anderen hier." Er lachte rau und laut, wobei er eine Reihe kräftiger, gelber Zähne entblößte. Jasoph schwieg. "Hat sie schon geplappert?", verlangte Ser Reklat zu wissen. "Nein.", log Jasoph. "Sie griff mich feige wie eine Henne an und ich habe ihr gleich die Federn gerupft. Soll ich ihr ein Gackern entlocken, Ser?"
"Ja. Aber nicht hier. Das Dorf soll hören und sehen, was ihnen blüht, wenn sie weiterhin dieses memmenhafte Schweigen betreiben." Ser Reklat trat ihr in die Rippen und die Frau spie Blut. Daraufhin griff er unter ihr Hemd und riss ihr in einem fließenden Ruck ihre Unterwäsche vom Leibe. Einen Moment lang glaubte Jasoph, er würde sie hier und jetzt nehmen, doch Ser Reklat änderte seine Meinung. "Schafft sie hinaus, in den Dreck. Das ist ja nicht mit anzusehen, diese Unreinheit.", abermals lachte er und machte einen Schritt zur Seite, um Jasoph durchzulassen. Dieser packte die Frau unter den Achseln und zerrte sie durch die zerstörte Hüttentür hinaus auf den matschigen Weg, welcher sich durch das einst friedliche Fischerdorf schlängelte. Hinter sich hörte er, wie der Junge wütend aufbrüllte. Vermutlich beging er soeben den Fehler, den Hauptmann anzugreifen, doch seine Verzweiflung würde ihm nichts gegen die Panzerung Ser Reklats helfen.

Es hatte angefangen zu nieseln und die Luft des Dorfes war mit dem Schreien von Männern und Frauen erfüllt. Der Weg war von hunderten Soldatenstiefeln aufgewühlt worden und der Schlamm schmatzte bei jedem Schritt. Irgendwo starben Männer und ohne hinzusehen wusste Jasoph, dass sie hingerichtet wurden. Damit kannte er sich aus. Im Normalfall war er es, der den Tod der Gefangenen vollendete, wenn der erste Speerstoß nicht sofort das Herz durchbohrte. Doch diese Nacht war anders, er hatte eine Aufgabe und ihm wurde bewusst, dass es bisher nicht gut damit stand.

Die Frau schrie schrill auf, als er sie an den Haaren zur Mitte des Weges zerrte. Er konnte ihr nicht mehr ins Gesicht blicken, so sehr fürchtete er sich vor den Verunstaltungen, die sein Schlag hinterlassen haben musste. Schweigend fesselte er ihre Hände vor ihrem Bauch und trat dann einen Schritt zurück, um Ser Reklat genügend Freiraum für sein "Verhör" zu lassen. Jasoph kannte dieses Spiel bereits und große Trauer erfasste ihn. Schwankend und mit dem Blick auf seine Stiefel gerichtet stand er steif im Nieselregen.
"Knie nieder, Weib!" brüllte Ser Reklat, als er näher kam. Doch die Frau, die Mutter rührte sich nicht. Jasoph ertappte sich dabei, wie sehr er ihre Würde bewunderte, doch ließ er sich weiterhin nichts anmerken. Er musste nun aufmerksam sein, denn wenn der richtige Zeitpunkt kam, musste er schneller sein als die anderen. Der Hauptmann gab ihm ein Zeichen und Jasoph machte einen Schritt vor, trat der Frau in die Kniekehlen und stieß sie gleichzeitig nach vorn. Ihr weißes Baumwollhemd wurde vom Dreck des Weges getränkt, wo sich ihr Blut in Schlieren verwischte. Ser Reklat beugte sich ein wenig zu ihr herunter, sein Kopf war hochrot angelaufen vor Wut. Man konnte sich nicht sicher sein, ob es der Regen war, welcher von seinem Kinn tropfte oder sein eigener Geifer.

"Wo ist sie? Wo ist Deine Tochter, Metze?", brüllte er nun. Doch der Blick der Frau am Boden war voller Hohn und unzerbrechlichem Stolz. "Ich werde sie Euch nicht geben. Mein Mädchen wird Euch nicht in die Hände fallen!", rief sie und spuckte Ser Reklat ins Gesicht. Wutentbrannt wischte sich dieser die Spucke aus dem Auge, packte ihren Haarschopf und riss ihren Kopf in den Nacken. Leise und bedrohlich redete er nun auf sie ein, in seiner ganz persönlichen, grausamen Art, an die Jasoph sich später nicht mehr erinnern wollen würde. Doch erneut befreite sie sich aus seinem Griff, wobei sie ein Büschel Haare ließ und abermals spuckte sie nach ihm. Je mehr sie sich wehrte, umso elender fühlte sich Jasoph. Warum konnte sie nicht einfach aufgeben? Warum nur musste sie ihm zeigen, was für ein Feigling er doch selbst war? Er biss sich auf die Lippen. Was nun kam, wusste er sehr genau. Vorausschauend zog er sein Jagdmesser und wartete vor Abscheu sich selbst gegenüber auf das Zeichen seines Anführers. Als dieses in Form einer barschen Handbewegung über die Kehle kam, fuhr Jasophs Messer mit einer Schnelligkeit vor, dass man sich nicht sicher sein konnte, es wirklich in Bewegung gesehen zu haben. Dies hatte er nun schon oft getan und der Schnitt war tadellos. Er war so perfekt, dass Jasoph sich am liebsten gleich mit aufgeschlitzt hätte. Nur um zu sehen, ob er seine Arbeit nur an unschuldigen Menschen so gut verrichten konnte oder ob es ihm auch bei Verrätern wie ihm selbst gelang. Doch er beherrschte sich. Noch war nicht alles verloren. "Alva..." gurgelte die Frau mit weit aufgerissenen Augen, während sie starb und der Gestank von Urin und Kot von ihr ausging.

Und fast als wäre es den Göttern eine Schmach, vernahm er kurz darauf eine bebende Mädchenstimme, nur ein paar Schritte hinter sich. "Mutter..." flüsterte diese und Jasoph wandte sich voller Schrecken um. Dort stand sie im Schlamm des Weges, in ein blasses Kleid gekleidet und so kreidebleich, als wäre sie bereits seit Stunden tot. Auf ihrem Kleid waren Spuren von einigen gesammelten Beeren zu sehen. Innerlich schrie Jasoph auf, verfluchte dieses dumme, kleine Mädchen. Warum war sie nicht davongelaufen? Wie konnte sie nur so dumm sein... so... jung? Im selben Augenblick wich der Schock aus dem Gesicht des Mädchens und Angst breitete sich stattdessen darin aus. Ein Fünkchen Verstand schien doch noch in ihr zu stecken. Ohne zu zögern machte sie auf der Stelle kehrt und rannte davon, Richtung Wald. Doch Ser Reklat reagierte schnell. "Umzingelt sie und reibt sie auf!", brüllte er in einem Ton, der keine Verzögerung duldete. "Lasst die Hunde frei und, bei den Göttern, beeilt euch!" Und Jasoph rannte, wie noch nie gerannt war. Die letzte Möglichkeit... erinnerte er sich in Gedanken und seine Beine trugen ihn trotz der schweren Rüstung schnell durch den Matsch. Pars pro toto... Pars pro toto...

Schnell begann er schwer zu atmen und seine Lunge brannte. Immer wieder schlugen ihm Äste ins Gesicht, als würden die Götter ihn für sein Vergehen ohrfeigen. Er spürte die brennenden Striemen im Gesicht und die Taubheit seiner Beine, doch hielt er das Tempo bei. Krachend und schnaufend brach er durch Gebüsch und sprang über halb verfaulte, umgestürzte Baumstämme. Immer wieder erhaschte er einen Schatten des Mädchens, immer wieder von irgendwelchen Bäumen verborgen, doch sie war langsamer als er. Jasophs Konzentration wurde zu einem Trichter, all seine Anstrengungen verlagerten sich nun in seine Beine. Er musste schneller sein, als die anderen. Die Umgebung verzog sich schleierhaft ins Dunkle, das Hundegebell erstarb dumpf hinter ihm, nur das Mädchen war für ihn noch von Interesse.

Seine Gedanken sprudelten wild davon, während sein Körper sich total verausgabte. "Sprich mit niemandem darüber.", flüsterte eine mühevoll ruhig gehaltene Stimme in seiner Erinnerung.
"Ich fordere hiermit meinen Gefallen von Dir ein, Dein Leben gegen das meiner Tochter. Spiele damit, doch lass Weisheit gewinnen." Der Imperator lockerte seinen Griff um Jasophs Handgelenk und atmete tief durch. Eine Gruppe Wachsoldaten mit hell lodernden Fackeln liefen im Laufschritt vorbei, der Gang war abgedunkelt und die beiden hatten sich in eine finstere Nische zurückgezogen. Jasoph schwieg. Wie immer, wenn er sich nicht sicher war, ob seine Meinung willkommen war oder nicht. Als der flackernde Schein der Fackeln wieder verschwand, fuhr seine Majestät in ruhigerem Ton und etwas lauter fort. "Ihre Mutter wird sich erinnern. Es wird keine Überlebenden geben, ist das klar? Verhelfe Alva zur Flucht. Minas Belorum wird das Mädchen gut verstecken können. Wache über sie, doch zeige Dich ihr nie. Niemandem. Hast Du das verstanden?" Jasoph nickte, zögernd. "Ja, mein Imperator. Sie wird sehr verzweifelt sein..."
"Schweige!", schnarrte seine Herrschaft. "Wache über sie. Mehr musst Du nicht wissen. Einen Mond lang. Die Wiege meiner Familie muss erst noch gebaut werden. Das Dorf muss brennen, die Politik fordert diesen Schritt von mir. Doch Alva… wenn sie stirbt..." sein Blick bohrte sich in Jasophs Seele. "... dann nur, weil Du schon für sie gestorben bist." Der Imperator wandte sich ab. Im Weggehen sprach er die Worte, welche die Frau zu spät hatten die Wahrheit erkennen lassen. Ohne sich noch einmal umzudrehen fügte er hinzu: "Und nun geh. Enttäusche mich nicht. Ser Reklat hat bereits Befehl erhalten."

"Alva...!" hörte er sich nun selbst rufen, und seine Stimme war heiser und rau durch die enorme Anstrengung. "Alva...!", immer und immer wieder rief er nach ihr. Er sprang, oder fiel vielmehr über eine Hecke hinweg, als er sie plötzlich kurz vor sich sah: nach Luft ringend an eine alte, knorrige Buche geklammert. Sie hatte ihn nicht kommen sehen und gerade, als er sie erreichte und sie ergreifen wollte, hörte er ein eigenartiges, Unheil verkündendes Zischen. Beim nächsten Lidschlag schoss ihm ein unbeschreiblicher Schmerz aus seiner rechten Wade ins Hirn und seine Beine knickten weg. Er war zu schnell gerannt und seine Rüstung zu schwer, um den Sturz abzufangen. Jasoph schmeckte Erde und Blut, wo er sich beim Aufprall auf die Zunge gebissen hatte. Als er aufblickte, sah er durch einen Vorhang aus schmerzhaften Sternchen das Mädchen davon taumeln. Doch da war noch jemand. Aus den Augenwinkeln bemerkte er einen Schatten an sich vorbeihuschen, nur kurz neben seinem Kopf. Ihm war, als würde er von einem irren Kichern begleitet, doch schon war die Erscheinung verschwunden und Jasoph lag allein im feuchten Laub des Waldes.

Er tastete nach seiner Wade und schrie vor Schreck auf, als er den Pfeil berührte, welcher bis zum Schaft in ihr steckte. Hatten seine eigenen Männer ihn erschossen? War sein Schwindel doch noch aufgeflogen? Erneut ergriff ihn Panik und ohne weiter über diese Fragen nachzudenken stemmte er sich am Stamm der Buche hoch, wobei er darauf achtete, sein rechtes Bein nicht zu bewegen. Er griff hinab zu seiner Wade, packte das Federkleid des Pfeils und brach mit einem kräftigen Ruck den Schaft ab. Der Schmerz ließ ihn abermals mit dem Kiefer malen und hingebungsvoll grunzen, doch mit der Zeit gewöhnten sich seine Nerven daran. Er warf einen kurzen Blick auf den Rest des Pfeils. Es waren schwarze Federn verwendet worden und die Herstellungsart erinnerte an alte Traditionen der hiesigen Waldvölker... er warf ihn fort und spuckte darauf. Die pure Verzweiflung ließ ihn nun weiter den Wald hindurch humpeln, dem Mädchen nach und diesem Schatten.

Die wenigen Sekunden, die er sich so fortbewegte, kamen ihm wie Stunden vor. Doch nicht weit entfernt bemerkte er das Schimmern des Himmels durch die letzten Reihen der Bäume. Der Waldrand war nicht mehr weit... und flimmerte dort nicht die Farbe des Kleides, welches das Mädchen trug? Vor Pein stöhnend kämpfte sich Jasoph weiter vor, hatte bereits sein Messer und Schwert von sich geworfen, um beweglicher und leichter zu sein. Dann bemerkte er, dass das Mädchen nicht mehr rannte. Vielmehr sah er sie kniend auf dem Laub, mit gesenktem Kopf, als würde sie ihren Bauch anstarren. Bevor er sie jedoch auch nur annähernd erreichen konnte, war sie zur Seite gefallen und lag regungslos am Boden, als er endlich neben ihr in das Laub fiel und ihren Kopf zu sich heranzog.
"Alva...!", krächzte er, als er die Verzweiflung, Angst und Schmerz auf ihrem Gesicht erkannte. Er schüttelte sie sanft, als könnte er sie aufwecken, doch innerlich wurde ihm klar, dass sie tot sein musste. Aus ihrem Rücken ragte ein Pfeil derselben Machart wie jener von vorhin und während die Tränen Jasophs Wangen hinabrannen, zerbrach er schluchzend auch diesen Pfeil. "Ab ovo... Alva... Ab ovo...", stammelte er und fuhr ihr mit der Hand über die starren Augen, um sie für immer zu verschließen. Noch war Zeit, ihre leere Hülle in Sicherheit zu bringen... ihre Seele war es nun bereits.
04.05.2007, 14:20
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